In aller Unschuld

■ Jad Fair im Ecstasy

Jad Fair, Mastermind der alten Wunderband (Diederichsen) als Noiseband »Half Japanese«, ein »mad scientist« als Teenager (oder vice versa), Freund und Genosse von Maureen Tucker, Jello Biafra, Kramer usw. sowie Förderer des Sinnbilds neuer Aufrichtigkeit schlechthin Daniel Johnston, mit dem er als Abschluß der achtziger Jahre den augenaufschlagenden, kleinen Hit per se einspielte — Happy Talk. Jad Fair, der mit einem unhörbaren Dreieralbum gestartet war, dessen Plattenfirma »50000000... Watts (in the hand of babies) records« hieß, dessen Musik als »Acid-Literaturwissenschafts-Blues« ('Spex‘) klassifiziert wurde, ist inzwischen 36 und kehrt, nur begleitet von Gilles Rieder an diversen Drums, zurück zu seinen minimalistischen Wurzeln. Spätabends kommt er auf die kleine Bühne im Erdgeschoß des Ecstasy.

Er sagt: »Die Industrie hat den Markt der interessanten Musik ganz sich selbst überlassen, was für Leute wie uns ziemlich gut ist, weil wir uns so besser beeinflussen können.« Das hat zwar zur Folge, daß er im Presseinfo noch nach Auftrittsmöglichkeiten sucht: »For hospitality enough drinks, warm meal in the evening and a good breakfast would be very appreciated.« Es sind nur ein paar da; zufällig oder als Fans oder immer noch, und so ist es ein wenig wie vor mehr als zehn Jahren, als Pop wieder begann, mit der Freude darüber, daß man die Gesichter der einzelnen unterscheidet wie ihr Klatschen — »the only sound of a one hand clapping«, wie es im amerikanisierten Zen heißt.

Bei Jad Fair gibt es keinen Klangteppich, keinen weichen Untergrund, der schützend zusammenhalten könnte, was sich so zerklüftet erhebt. Mit Cronenberg-Brille, den Kopf zur Seite ans Mikrophon gelegt, schrammelt er mal auf der bunten Kindergitarre herum, spielt dann wieder auf der richtigen. Oft ist er wie ein kleiner Junge, der, ohne Gitarre spielen zu können, versucht, seine Verwirrungen in Tönen abzubilden. Was Jad Fair neurotisch in aller Unschuld (sein Lieblingswort) ausagiert, hält Gilles Rieder unbewegt, in monotoner Wildheit, mit japanischem Zopf, wie ein freundlicher Mönch als »little tin soldier« zusammen. Im Lärm lassen sich merkwürdige Dinge ausmachen, die weit zurückliegen: »Twist and shout.« Kaum ein Song dauert länger als anderthalb Minuten; dann bricht er ab, nachdem Fair oder der Drummer es geschafft haben, in 90 Sekunden 15 Breaks gespielt zu haben. Es geht weiter: »I change my style.« Schutzlos, nie seinen Dreitönebereich verlassend, singt Jad Fair von King Kong, dem in der Höhe amerikanischer Wolkenkratzer einsam verliebten Helden, von Zombies, die angreifen, singt ein paar Songs von Daniel Johnston, der zunächst mit auf Tour kommen sollte, aber wieder in der Psychiatrie gelandet ist. »Violent Femmes on speed« sagte man früher, und die Straße des Pop führt nirgendwo hin.

Manchmal klingt es wie im Radio, wo sich sich die Stimmen im Rauschen verwirren. Nur noch selten dringen die Geschichten des sozialistischen Patientenkollektivs an die freundliche Oberfläche, die der Markt mit den Lügen von Tiefe, Geheimnis und Gefahr verstellt.

Ein neuer Hippie im Publikum steht mit seinem Teddy im Arm — den würde er bis zum letzten Blutstropfen verteidigen — einfach nur da. Später eilt er durchs Ecstasy und singt mit voller Stimme immer wieder: »If I had a hammer«, und denkt vermutlich dabei an Splatterfilme und feindliche Köpfe, in die der Hammer haut. Detlef Kuhlbrodt