: „Alexander der Große kam auch in Babylon um!“
Großdemonstrationen in 20 Städten der USA gegen Truppenentsendung an den Golf/ Protestbewegung gegen eine US-Intervention wächst allmählich/ Auch in den Meinungsumfragen sinkt die Zahl der „Bush-Fans“ und „Golfkrieger“ ■ Aus Washington Rolf Paasch
„No, no, we won't go, we won't die for Texaco!“ Die 10.000 DemonstrantInnen, die sich an diesem wunderschönen Herbstsamstag am New Yorker Columbus Circle versammelt haben, sind sich einig. „Kein Blut für die Profite der Ölkonzerne“, so lesen sich auch ihre Spruchbänder. Keine militärische Intervention der USA in der Golfregion, steckt die Gelder in Sozial- und Bildungsprogramme. Die Reste der nach dem Kalten Krieg versprengten Friedensbewegung, Gewerkschafter, Palästinenser, Aids-Aktivisten und Sozialarbeiter marschieren am Samstagmittag zielstrebig auf den Times Square zu, um bei der dortigen Abschlußkundgebung weitere Botschaften loszuwerden.
Das Spektrum der DemonstrantInnen war mit insgesamt 85 teilnehmenden Organisationen breiter als bei den Antikriegsprotesten der 60er Jahre. Doch auch diesmal waren es die Veteranen der Vietnamkrieg- Opposition, die das Profil dieser ersten landesweiten Protestaktionen in 20 Städten der USA bestimmten. In New York war es der ehemalige Bundesstaatsanwalt der Johnson-Administration, Ramsey Clark, der George Bush von der Rolle als Weltpolizist im Golf nachdrücklich abriet: „Alexander der Große ist auch in Babylon umgekommen, George Bush! Laß die Finger von anderen Ländern!“ In Los Angeles war es der an den Rollstuhl gefesselte Vietnamkrieg-Veteran und Buchautor Ron Kovic, der sich vor der versammelten Menge gegen ein erneutes militärisches Abenteuer der USA aussprach. Seit Donnerstag erscheint Kovic, nach dessen Buchvorlage der Oliver-Stone-Film „Born on the 4th of July“ gedreht worden war, auch in einem in 50 US-Städten ausgestrahlten TV-Commercial. Amerikanische Soldaten, so die Botschaft seines 30 Sekunden-Spots, seien nicht zur Verteidigung der Demokratie, sondern der Ölkonzerne an den Golf geschickt worden. Die ersten Regungen einer Oppositionsbewegung kommen zu einem Zeitpunkt, wo auch die Meinungsumfragen ein schwindendes Vertrauen in die Führungsqualitäten Georg Bushs und nachlassende Unterstützung für die Truppenentsendung an den Golf konstatieren. Vor allem unter Afro- Amerikanern und Latinos wächst die Abneigung gegen den Einsatz US- amerikanischer Truppen gegen Saddam Hussein.
Wie sehr die Kriegsfrage in den USA immer auch eine Rassen- und Klassenfrage ist, wurde am Samstag in New York auch auf einer Pressekonferenz der Organisatoren deutlich. Reservisten und aktive Soldaten, die jetzt den Kriegsdienst verweigert haben, berichteten, mit welchen Versprechungen sie als 17jährige in den Militärdienst gelockt worden seien: neben allgemeiner Orientierungs- und Alternativlosigkeit ist es vor allem die Aussicht auf eine Finanzierung der College-Ausbildung, die viele Mitglieder ethnischer Minderheiten die Soldatenkarriere einschlagen lassen. „Davon, daß ich einem Feind gegenüberstehen und eine M 16 laden würde, hat mir damals niemand etwas gesagt“, so eine Verweigerin. Diese Generation, die den Krieg nur noch aus Dokumentarfilmmaterial und Hollywoods Vietnamkrieg-Aufarbeitung kennt, war auf den Ernstfall am Persischen Golf sichtlich unvorbereitet. „Meine Blutspende haben sie zurückgewiesen“, so ein aus Haiti stammender Reservistenverweigerer, „aber zum Sterben ist mein Blut jetzt gut genug.“ Amerika so sagt er, sei sehr wohl ein Land, zu dessen Verteidigung er sein Leben einsetzen werde. „Aber nicht nur für die Reichen, und darum geht's doch hier.“
Jetzt haben die Golfkriegsgegner zum ersten Mal die Aufmerksamkeit der US-Medien erreicht. Zwar hatte sich unter der Führung Ramsey Clarks in New York bereits wenige Tage nach der Entsendung von US- Truppen nach Saudi Arabien eine „Koalition zur Beendigung der US- Intervention im Mittleren Osten“ gebildet, alle bisherigen Proteste hatten jedoch nur im Rahmen von Sit-ins an Universitäten und bei lokalen Veranstaltungen — oft im Stil der frühen 60er Jahre — stattgefunden.
Und nicht gerade hilfreich war, daß sonst kritische Stimmen, wie die der ehemaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Jesse Jackson und George McGovern, George Bushs Truppenentsendung gegen die Aggression des Saddam Hussein guthießen. „Wo ist denn die Opposition“, hatte das linke Wochenblatt 'The Nation‘ noch am 10. September auf seiner Titelseite gefragt. Am Wochende gab es darauf zum ersten Mal eine hörbare Antwort.
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