KOMMENTAR
: Wird Israel zum Sündenbock?

■ Zweierlei Maß verspielt die Glaubwürdigkeit der westlichen Position

Gewissermaßen repräsentativ für die derzeitige Stimmung im Westen hat letzte Woche Rudolf Augstein in einem 'Spiegel‘-Kommentar seiner Empörung gegenüber Israel einmal mehr freien Lauf gelassen. Anstatt nüchtern die Ereignisse zu bewerten, redete sich Augstein wieder in Rage. Keine Frage: Der Versuch israelischer Polizisten, einen blutigen Angriff von mehreren tausend Palästinensern auf betende Juden mit scharfer Munition zu beenden, war unentschuldbar. Daß die israelische Regierung den verhängnisvollen Fehler nicht eingestanden und ihr Bedauern über den tragischen Vorfall bekundet hat, kommt erschwerend hinzu. Aber: Die harte Maßregelung Israels entspringt keineswegs humanitären Überlegungen, sondern einem politischen und wirtschaftlichen Kalkül. Nirgends wird dieser Umstand in diesen Tagen deutlicher als durch das internationale Schweigen über das syrische Massaker an christlichen Libanesen. Über achzig Anhänger und Milizionäre des christlichen Generals Aoun wurden vor einer Woche durch syrische Truppen hingerichtet. Ihre Körper wiesen Genickschüsse oder durchschnittene Kehlen auf. Kein weltweiter Aufschrei folgte, keine UN-Sondersitzung wurde anberaumt; nicht einmal die Medien zeigten Interesse an diesem Blutbad. Der Grund für die verlogene Doppelmoral ist naheliegend: Im Westen ist man sich insgeheim der Mitverantwortung für die syrischen Grausamkeiten bewußt. Immerhin hatten sich die Syrier zuvor das westliche Plazet für ihren Angriff auf den mit Irak verbündeten Aoun eingeholt. Zudem würde eine Verurteilung des syrischen Massakers oder auch nur eine UN-Untersuchung der Vorkommnisse die antiirakische Koalition, der Syrien angehört, gefährden. Deshalb werden die USA und die EG „im Fall der syrischen Gewalttaten beide Augen zudrücken“, so die 'FAZ‘.

Solange der Westen Diktatoren mit Giftgas und Atomtechnologien aufrüstet und totalitäre Staaten wirtschafltich und politisch stabilisiert anstatt zu ächten, solange sollte nicht von eigenem Versagen abgelenkt werden, indem man einen geeigneten Sündenbock sucht. Nach ihrer harschen Bestrafung Israels wäre es für die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen nunmehr angebracht, das syrische Massaker mit der gleichen Elle zu messen. Und diejenigen Friedensfreunde hierzulande, die bei israelischen Vergehen den Mund nicht weit genug aufreißen können, sollten endlich ihr Schweigen brechen. Benny Peiser

Der Autor ist Sprecher des Frankfurter AK gegen Antisemitismus.