Der Kunde ist König — und klaut

Warum sich die Verfolgung des Ladendiebstahls nicht lohnt  ■ Von Peter Huth

Der Kunde ist König. Dieser Spruch gilt besonders hier und heute, in der bürgerlichen Gesellschaft. Wissen wir doch, daß Könige schon immer Diebe waren, und daß wir diesen Dieben gehörig auf die Finger schauen müssen, wollen wir das Eigentum von Herti, Horten, Karstadt & Co schützen. Immerhin können die Könige auf der Haben-Seite die stattliche Summe von 45 Millionen DM jährlich verbuchen — Tendenz steigend —, wozu es allerdings knapp 400.000 königlicher Akte bedarf. Da gilt es natürlich, dem blaublütigen Kunden die notwendige Referenz zu erweisen und ihn standesgemäß zu eskortieren. Nicht durch Personal, das ja aus Kostengründen abgebaut werden muß, sondern mit den Argusaugen der Viedeokameras. Am Eingang offensichtlich, später verdeckt hinter durchsichtigen Spiegeln und Dekorationen. Pfiffige Geschäftsführer empfangen den Adel bereits am Eingang mit Handschlag und sichern so prophylaktisch die Fingerabdrücke.

Mit den Kameras ist es natürlich nicht getan. Die einzelnen Produkte müssen ebenfalls vor den Langfingern geschützt werden. Je nach Art eine differenzierte Überwachung: So werden kleine, besonders schwer zu sichernde Warengruppen wie Lebensmittel, Kosmetik, verpackte Textilien und Hartwaren durch spezielle Klebeetiketten gesichert, die von herkömmlichen Preisschildern nicht zu unterscheiden sind. Daneben werden durchsichtige Aufkleber verwandt, die sich dem geübten königlichen Auge nur durch einen dünnen Silberfaden als Diebstahlsicherung zu erkennen geben. So tappt unser Hochwohlgeborener im Glauben, es reiche aus, das Preisschild zu manipulieren, in die Falle.

Bei den Warengruppen, die zu den beliebtesten Objekten königlicher Begierde gehören, wie Schuhe, Pelze, Leder, Kleidung insgesamt, haben sich mit Firmenlogos getarnte elektronische Hartetiketten als sehr zuverlässig erwiesen. Man sagt zwar dem Adel eine gewisse Debilität nach, doch auch hier haben Findige Auswege gefunden. Die erkannten elektronischen Gegner werden einfach aus dem Produkt herausgeschnitten. Andere haben das Gut in Alu-Koffer oder Gefriertaschen versteckt, um es so in der Schleuse zu isolieren. Eigentum verpflichtet zu Taten. So haben denn die Anbieter von Artikel-Sicherungs-Systemen die Hände nicht in den Schoß gelegt. Als Non-plus-ultra gilt derzeit die auto-aktive Etikette mit integrierter Farbampulle namens „Scorpion“. Es ertönt die Nationalhymne, wenn der Kunde die Ware an der Kasse vorbeischleust. Und sie bespritzt den Dieb, sollte er am Etikett etwas beschädigen. Selbstverständlich standesgemäß in Königsblau!

Ein bedenkenswerter Nachtrag

Jeder gefaßte Ladendieb kostet den Ladenbesitzer etwa 300 DM. Das setzt sich zusammen aus 50-100 DM Fangprämie für das Personal. Weitere 100 DM Kosten entstehen durch den Arbeitsausfall, wenn ein Mitarbeiter als Zeuge vor Gericht erscheinen muß. Schließlich müssen 25 bis 50 DM an einen Rechtsanwalt gezahlt werden, um ein Hausverbot für den Dieb schriftlich aufzusetzen. Dem steht bei einfachen Ladendiebstählen ein durchschnittlicher Warenwert von nur 128 DM gegenüber, ermittelte das Bundeskriminalamt. Daraus folgt: Diebe fangen lohnt nicht. Hinzu kommt die Vermutung, daß die Anschaffung teurer Sicherungssysteme sowieso eine Fehlinvestition ist, weil die Mehrzahl der Ladendiebstähle vom eigenen Personal durchgeführt wird.

Zum Schluß noch einen Tip für geplagte Ladenbesitzer: Vielleicht sollten die Videoaufnahmen aufgezeichnet werden und am Jahresende dem Kunden unter dem Titel „Ihr persönliches Jahr in unserem Geschäft“ zum Kauf angeboten werden, um so wenigstens einen Teil der Kosten wieder einzuspielen.