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Die kleine Hauptstadt von nebenan

■ Ein Gespräch mit der Potsdamer Kulturstadträtin Saskia Hüneke (Neues Forum) über preußische Tradition, Kulturchefs, Architektur, das Deserteursdenkmal und die militarisierte Garnisonsstadt

Preußens Gloria wurde in der DDR viele Jahre erbittert bekämpft. Geführt wurde diese Schlacht vor allem mit der Architektur — und mit der Abrißbirne. Erst am Ende ihrer Epoche versöhnte sich die SED wieder mit dem Erbe der Hohenzollern. Wie in keiner anderen Stadt Deutschlands ist all dies in Potsdam präsent: der Bombast der Preußenkönige und die Kasernen ihrer Armeen, aber auch ihr zeitweilig weltläufiger, aufklärerischer Anspruch. Nur Schritte daneben stehen die Zeugnisse des gnadenlosen Kampfes der SED gegen das monarchistische Erbe. Panorama, Stadtgrundriß und Bausubstanz wurden durcheinandergewirbelt — ehe man schließlich mit einer putzigen Vorzeigefußgängerzone Frieden mit den Friedrichs schloß. Nun steht alles in einem wilden Durcheinander da — und bevor die Stadt überhaupt groß nachdenken konnte, ist sie schon wieder in einen Strudel geraten: Die Deutschen der neunziger Jahre brauchen wieder prunkvolle Nationalheiligtümer — und das preußische Versaille scheint diese Sehnsucht auf geradezu ideale Weise zu befriedigen. Wird Potsdam ein Freilichtmuseum voll kalter Pracht, imperialer Geschichtstümelei und Massentourismus — oder kriegt die neue brandenburgische Landeshauptstadt nun noch einmal eine Chance, eine eigenständige Kultur zu entwickeln? Darüber sprach die taz mit Saskia Hüneke, Potsdams neuer Kulturstadträtin. Die 37jährige Kunsthistorikerin vertritt schon durch ihre Biographie sehr unterschiedliche Aspekte der bröselnden Barockstadt: Als Vertreterin des Neuen Forums kommt die Politikanfängerin aus dem Dunstkreis der alternativ-ökologischen Bürgerinitiative »Argus«, als Wissenschaftlerin aus den Gemächern Sanssoucis, wo sie sich vor dem Umzug in die Verwaltung der Skulpturensammlung gewidmet hat.

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taz: Sanssouci + Friedrich der Große = Potsdam. Glauben Sie, daß es Ihrer Stadt gelingen kann, gegen ein solches museales übermächtiges Potsdam-Bild ein ganz anderes, eigenes Kulturleben zu entwickeln?

Saskia Hüneke: Ja. Potsdam hat in seiner Kulturtradition eine sehr wertvolle Komponente: Diese Stadt hat immer das Einheimische zu verbinden gewußt mit der Innovation von außen, mit der Erneuerung durch Fremde, die in die Stadt gezogen sind. Genauso muß es jetzt auch wieder sein: das Provinzielle mit seinen gemütlichen und kostbaren Seiten immer wieder zu pieken mit der internationalen Komponente. Dabei kann etwas herauskommen, was auch dem Repräsentationsbedürfnis einer Landeshauptstadt entspricht. Dazu müssen verschiedene Komponenten entwickelt werden: Professionelle Kunst auf sehr hohem Niveau, Alternativszene und Laienkultur müssen ein Konglomerat bilden — aber keine reine Repräsentationskultur.

Denken Sie da an ein Nebeneinander, oder können Sie sich auch vorstellen, daß dieses deutsche Bombastimage, dieses deutsche Versailles, der »Geist von Potsdam« etc. gestört werden könnten — oder sogar gestört werden müssen?

Potsdam steht jetzt vor der Wahl, welche seiner Traditionslinien es pflegen will. Es gibt sehr verschiedene, Potsdam ist beispielsweise auch eine Garnisonsstadt. Da könnte man einsteigen und würde sich dann diesem bombastischen Potsdam- Verständnis nähern, das ja immer noch irgendwo ist. Es gibt aber auch die Traditionslinie des Bruchs mit der militärischen Tradition. Oder die Linie der Toleranz Andersdenkenden gegenüber. Und schließlich auch die des Internationalismus. Die sind alle in Potsdam seit Jahrhunderten lebendig, und diese Linien wurden auch von den in Potsdam seßhaften Herrschenden zum großen Teil unterstützt und betrieben. Das sind die Traditionen, an die wir nun anknüpfen können. Es ist für mich deshalb sehr erfreulich, daß die Stadtverordneten nun beschlossen haben, hier nicht nur das Deserteursdenkmal aus Bonn für ein halbes Jahr zu beherbergen, sondern zudem auch noch beschlossen haben, daß sie sich wünschen, daß die ganze Stadt Potsdam militärfrei werden soll. Das hat zwar zunächst keine Rechtswirksamkeit, aber ich freue mich darüber. Allerdings gibt es hier unglaublich viele Kasernen — und die drohen nun in die Rechtsträgerschaft der Bundeswehr überzugehen...

Also auch ein bewußter Bruch mit einer jahrhundertelangen Potsdamer Geschichtslinie?

Genau. Wir wollen die friedlich nutzen.

Sie haben vor zwei Wochen die Direktoren, Intendanten und Leiter aller großen Kultureinrichtungen gefeuert. Warum?

Das war ein Beschluß, den Magistrat und Stadtverordnetenversammlung mitgetragen haben. Es ging dabei um den Anspruch der neugewählten Stadtregierung, eine Türe aufzumachen und selbst zu entscheiden, wer diese Stellen besetzen soll. Wir wollten uns nicht einfach mit dem abfinden, was übernommen worden ist. Diese Stellen müssen einfach ausgeschrieben werden.

Stecken dahinter auch individuelle Bestrafungen einzelner Kulturchefs?

Nein. Das war Klar-Tisch-Machen. Die einzelnen Personen haben ja sehr unterschiedliche Akzeptanz, sowohl in ihren Einrichtungen als auch in der Öffentlichkeit. Es ist durch den Bürgermeister ausdrücklich gesagt worden, daß es kein Mißtrauensantrag ist und auch nicht eine Würdigung der fachlichen Kompetenz.

Können sich die Betroffenen nun auch wieder zurückbewerben?

Ja.

Stichwort große Nachbarin Berlin. Kann eine kleine Stadt neben einem solchen Kulturmoloch überhaupt ein modernes Profil entwickeln, das über die Landkreisgrenze hinauswirkt?

Ich hoffe, daß die Stadt das können wird. Potsdam darf sich nicht als Konkurrentin verstehen, sondern muß eine eigene Klangfarbe in ihrem Kulturleben entwickeln. Es ist ja auch eine befruchtende Angelegenheit, eine so große Kulturstadt neben sich zu haben. Das ist gar nicht so schlecht, wenn man hier so einen kleinen Stachel hat, der einen immer wieder piekt — gerade in der alternativen und experimentellen Szene.

Wenn man als Westberliner früher auswärtigen Besuch kriegte, dann führte kein Weg an Mauer und Brandenburger Tor vorbei. Mittlerweile hat sich das geändert. Jetzt muß man mit den Gästen nach Potsdam fahren. Man steigt aus, guckt die Schlösser an und fährt wieder nach Berlin zurück. [Hoffentlich mit Bus und S-Bahn! d. säzzer] Dem Stadtbild sieht man diesen Kurztourismus inzwischen an. Schreckt Sie das?

Ja, das erschreckt mich natürlich. Ziel meiner Arbeit muß es sein, dies zu verändern. Der Eintagestourismus schädigt eine Stadt mehr als er ihr nützt. Das, was wir hier den Leuten zeigen wollen — die kostbaren Schlösser der Vergangenheit —, wird dadurch nur verbraucht. Wir benötigen in Potsdam eine Kulturarbeit, die so vielfältig und qualitätsvoll ist, daß bei den Leuten die Lust aufkommt, hier zu übernachten und mehrere Tage zu bleiben. Die Leute sollen die Schlösser besichtigen, aber auch das vielfältige andere Angebot der Stadt wahrnehmen, das wir jetzt entwickeln wollen.

Wie sieht es denn in Ihrer Kasse aus? Wissen Sie denn überhaupt, wieviel Geld Sie nächstes Jahr ausgeben können?

Nein. Das weiß ja jetzt noch kein Mensch bei einem völlig neu installierten Steuersystem. Ich habe in diesem Halbjahr einen Kulturhaushalt von 18,9 Millionen Mark gehabt und hoffe sehr, daß der erhalten bleibt. Zugleich wollen wir aber auch versuchen, dieses Geld effektiver zu verwenden, als das früher der Fall war. Als Kulturstadt sollten wir schon versuchen, einen Haushalt zu gewährleisten, der diesem Anspruch auch entspricht... effektiver.

...der also höher ist, als in vergleichbar großen anderen Städten?

Ja.

Zeitweilig sind Investoren, Filialketten oder Gastronomie über diese Stadt hergefallen wie Heuschreckenschwärme, weil Potsdam eben einen so klangvollen Namen hat. Lassen die absehbaren Wohn- und Gewerbemieten alternativen Kunstszenen hier überhaupt noch eine Chance?

Ich bemühe mich sehr darum. Ich versuche für einzelne Gruppen zu verhindern, daß sie von vorneherein abgewürgt werden. Aber noch ist für die potentiellen Investoren gar nicht soviel entschieden. Daran sind die unklaren Rechtsverhältnisse schuld. Das wird nun in diesem Herbst intensiv ins Rollen kommen. Wir versuchen jetzt bei der Vergabe der Häuser den kulturellen Aspekt zu berücksichtigen und dabei stadtplanerisch und nicht zufällig zu handeln. Wir überlegen uns sehr genau, was welche Wirkung hat und wo man Kultur ansiedeln kann.

Im Moment bietet Ihre Stadt an vielen Stellen einen sehr chaotischen, manchmal komischen und bisweilen scheußlichen Anblick: Denkmäler aus allen Epochen deutscher Geschichte sehen mitten in der Innenstadt nebeneinander herum. Wenn da jetzt Denkmalschützer und Planer aufräumen, kommt dann eine Fachwerk- und Blumenkastenidylle heraus?

Ein guter Anfang war, daß es uns gelungen ist, das Amt für Denkmalpflege im Kulturdezernat anzusiedeln. Dadurch ist eine unabhängige Kontrollinstanz für das Baugeschehen in der Stadt entstanden. Nun soll der Erhaltung des Vorhandenen eine primäre Bedeutung zufallen. Darin unterstützt mich auch der Baustadtrat Kaminski. Die Sanierung der Häuser sollte denkmalpflegerisch korrekt, aber nicht in übertriebener Weise stattfinden. Es darf kein Disneyland entstehen, das Alte an den Häusern muß noch zu sehen sein. Da, wo nichts mehr steht, sollte der alte Stadtgrundriß wieder gesucht werden. Danach ist es meiner Meinung nach aber besser, sich im alten Maß der Stadt für moderne Architektur zu entscheiden. Ich bin dagegen, die alte Stadt nun perfekt wieder aufzubauen. Das wäre eine unechte, nicht glaubwürdige Kulisse — und damit eine kulturtötende Angelegenheit.

Haben auch Baudenkmäler aus der DDR-Zeit, besonders aus der Honecker-Ära, Anspruch auf Denkmalschutz?

Nein. Ich habe überhaupt keine sentimentalen Gefühle für diese Architektur. An verschiedenen Stellen der ehemaligen DDR wird man vielleicht schon exemplarisch diesem Anspruch Genüge tun — aber nicht in Potsdam. Hier ist diese Architektur bewußt dazu eingesetzt worden, die alte Stadt zu zerstören.

Wenn hier irgendwann einmal Wohlstand herrscht, können Sie sich vorstellen, daß es dann Gebäude wie dieses scheußliche Interhotel nicht mehr gibt?

Natürlich kann ich mir das vorstellen. Man muß die Stadt jetzt schon so planen, daß man die Entwicklung der nächsten 30, 40 Jahre berücksichtigt. Diesen Häusern sollte man aber momentan ihre gesunde Restnutzungsdauer noch zugestehen.

Sie träumen aber auch von vielen Abrissen in Potsdam?

Ja, aber wir müssen dabei zunächst noch vernünftig bleiben. Interview: Thomas Kuppinger

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