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INSELN ZWISCHEN DEN ZEITEN

■ Eine Reise zu den Zentralmolukken

Eine Reise zu den Zentralmolukken

VONERIKABRETTSCHNEIDER

Die Banda-See leuchtet durch das Fenster der Düsenmaschine königsblau. Zweieinhalbtausend Kilometer und zwei Zeitzonen von Jakarta entfernt, schieben sich Ambon, Haruku und Saparua — die einstigen Gewürzinseln — in den Blick. Wie Heißgesottenes im Backöl hocken die Zentralmolukken im gekräuselten Meer, das flache Schelf türkisfarben umspült.

„Woher kommen Sie in Deutschland?“ Erstaunt schaue ich Dr. Radjawane an, als er sich auf der Abendfähre nach Ambon-City vorstellt. Er freut sich, die indonesische Frage „Darimana?“ auf deutsch zu stellen. In Mainz hat er Geologie studiert, jetzt ist er Rektor der Universität Kristen in Ambon.

Entlang der tiefeingeschnittenen Bucht erheben sich tropisch überwucherte Bergkegel, wie aus glühendem Eisen senkt sich die Sonne hinter den Horizont. „Honky-Tonk-Woman...!“ Die Boxen der Fähre scheppern unter dem unverwüstlichen Mick Jagger. „Dort oben, das ist Martha Christina Tiahahu, unsere Freiheitskämpferin aus dem letzten Jahrhundert!“, weist mich Dr. Radjawane auf die Bronzestatue mit den wehenden Haaren und dem Speer in der Hand hoch über der Provinzhauptsadt hin. Ambon — deine Vergangenheit ist weiblich! Tatsächlich kamen im Schlepptau europäischer Eroberer auch Missionare ins Land, die die matrilinearen molukkischen Stämme eines „Besseren“ belehrten.

Nahe den demolierten Bollwerken des Forts Victoria, das die Holländer der iberischen Konkurrenz zu Beginn der Handelskämpfe im 16 Jahrhundert abspenstig machten, führt die Hafenmole. Es herrscht ein Gewimmel wie in einem orientalischen Basar. Asiatische Kleinhändler betreiben seit altersher Geschäfte im Archipel. Umgeben von anatomischen Bildchen, preist ein lockenköpfiger Schnurrbart seine Medizin. Diese Obat sei für alle heilsam, ob Christ, Moslem oder Hindu. Bhinneka Tunggal Ika, Einheit in Vielfalt, die indonesische Staatsphilosophie am kleinen Mann praktisch angewandt.

Ohne Religion ist man Kommunist

Neben Bahasa Indonesia sprechen viele Molukker niederländisch. Doch Atus, ein Lehrer aus Kaitetu auf der Westseite Ambons, möchte sein Englisch mit mir praktizieren. „Ich übe abends am Radio mit BBC und vor dem Spiegel“, meint er. „Aber man weiß nicht, ob man verstanden wird. Viele von uns kommen über Ambon-City nie hinaus, es ist zu teuer.“ Ganze 80.000 Rupien verdient er, 80 DM. Damit kommt man nicht weit. „Ich bin Moslem“, bedeutet er gewichtig. Ohne Religion gilt der Mensch als Kommunist in Indonesien — ein lebensgefährlicher Umstand. In den Zentralmolukken leben die meisten Christen der Republik Indonesia. Während die eine Hälfte der insgesamt 1,8 Millionen Molukker ihr Haupt gen Mekka beugt, findet die andere ihr Heil im christlichen Erlöserglauben. „Doch wir leben friedlich nebeneinander“, meint Atus nicht ohne Stolz. „Wir wissen um unsere gemeinsamen Wurzeln. Du mußt mich in Kaitetu besuchen, ich zeige dir, was wir unter Saudara verstehen!“ Saudara übersetzt ein Wörterbuch mit „Schwester“ oder „Familie“. Plötzlich singt Atus ein Lied mit, das gefühlvoll aus einem Kassettenshop schnulzt. „Ambon manisé...!“ — Schönes Ambon. Die Molukker sind musikversessen. Kein öffentlicher Bus, keine Apotheke oder Restaurant, in dem nicht ambonesische Popmusik, Rame Dendang Muda, ertönt. Hawaiigitarren erklingen hemmungslos sentimental. Der Toto buang, auf dem die fernen Javaner meditativen Gamelan intonieren, ertönt hier als percussives Gewitter, das an den Ölfässerrhythmus iberoamerikanischer Länder erinnert. Die Molukker sind Nachfahren der Portugiesen, Malaysier, Holländer und Javaner, die mit den melanesischen Alfuren dieses eigenwillige Bevölkerungspuzzle zeugten.

Noch schimmert in Ambon-City der kleinbürgerliche Glanz durch, den niederländischen Pensionäre vor der Zerstörung in den Kriegswirren der vierziger Jahre so schätzen. Die Straßen zieren gußeiserne Laternenmasten, die Rinnsteine saubergefegt, ein Polizist wacht über die Zebrastreifen.

Muskelbetriebene Becacks warten neben Autotaxen auf Kunden. Hat auch kein Holländer mehr das Sagen, so gibt die moderne Gegenwart doch nur das Gewand ab, in dem der konservative Lebensstil von einst noch obwaltet. An keinem anderen Ort des indonesischen Archipels hat die Präsenz der einstigen Kolonialherren so nachhaltig Spuren hinterlassen wie auf den Molukken. Wunderbar unausrottbar bleibt hingegen die merkantile Geschäftigkeit indonesischer Marktplätze. Die Frauen in erdfarbenen Sarongs hocken auf dem Boden, vor ihnen weißgraue Sagoquader, das Hauptnahrungsmittel der Molukken. Der Geruch von Tamarindenpaste und Fischmehl, von Knoblauch, Tomaten und Erdnüssen hängt in der Luft. Nur Nelken und Muskatnüsse sehe ich nirgendwo. Die Gewürzernte, von Amsterdamer Kontoren einst in Gold aufgewogen, geht noch immer in den Export — zu kaum nennenswerten Preisen.

Saudara — der Respekt vor dem Anderen

Die Straße nach Kaitetu üerwindet die konischen Berge im Inselinneren. 60 Prozent der Landfläche Malukus besteht aus erloschenen Vulkankegeln. Begleitet von Vogelstimmen und Moskitosurren scheint das dichte Urwaldkleid nach dem schmalen Asphaltband zu greifen. Reisterrassen, wie sie sich in andernorts in Indonesien um die Berge schmiegen, versagen bei dem steilen Auf und Ab als landwirtschaftliches Konzept. Die Küstenbewohner leben von Fischfang und Gemüsezucht.

In Kaitetu wartet Atus vor der Schule. Wir paradieren die Hauptstraße entlang, begleitet von neugierigen Kindern. Für ihre Großeltern war die Gegenwart weißhäutiger Menschen nichts besonders. Für die Enkel hingegen ist es ein Ereignis. Es ist eine kindliche Mutprobe, die weiße Haut anzutippen, um dann kreischend wegzuspringen. Am Straßenrand liegen Baumwolltücher, auf denen Nelken trocknen: grün gepflückt, dörren sie schließlich tiefbraun aus, wie man sie in unseren Supermärkten kauft.

Auch in Kaitetu haben Wellblechdächer den Geschmack der Landbevölkerung erobert. Atus' Großmutter döst in der Mittagshitze auf der Veranda, seine Tochter turnt auf dem Bambusgeländer. Ein Nachbarjunge klimpert auf seiner Gitarre. Für einen Teenager heißt die Welt hier Ambon-Citty. Wo denn seine Frau sei? „Arbeiten in Ambon!“

Atus führt mich zur Kirche St. Immanuel, der ältesten auf Ambon. Aus Holz, in holländischem Stil, dient sie seit 1780 zum Gottesdienst. Vergilbte Fotos zeigen ernste Männer in europäischen Anzügen.

Das islamische Gegenstück, die Moschee Mapauwe, stammt aus dem 14. Jahrhundert. „Sie ist vom Berg der Ahnen ins Dorf gekommen!“, trägt Atus die Legende weiter. „Als das Bambusdach bei einem großen Sturm zusammenbrach, reparierten alle aus dem Dorf, ob Christen oder Moslems, mit. Umgekehrt halten wir auch die Kirche instand. Das ist Saudara!“ Auf dem Land gehört der Respekt vor Adat, dem Wissen der Vorfahren — die heilig gehaltene Gebrauchsanweisung für das Überleben eines Dorfes, einer Familie, des einzelnen — zum Alltag. Atus zeigt mir ein „Ahnentelefon“. In dem Bambus-Baileo steht ein hoher Pfahl mit einem Loch und einem Spint darin. Dadurch ruft man die Verstorbenen ins Dorf. Man „weiß“, daß sie sich auf der eigens eingerichteten Bank versammeln, wenn die Lebenden feiern. „Sie können uns sehen, aber wir sie nicht!“ Atus lächelt, wankend zwischen Ahnenglauben und Aufklärung.

Am Strand von Kaitetu sammeln alte Frauen, respektvoll Omas genannt, Kokosnußschalen als Brennmaterial. Wurden die Frauen auf Ambon dank der Missionare gänzlich in die Kochnische der molukkischen Gesellschaft verwiesen?“ „Oh, die Männer arbeiten auch im Haus. Dafür verdienen die Frauen ihren Teil am Haushaltsbudget“. Wie es denn bei uns in Europa sei, will Atus wissen. Frauen lassen sich nicht mehr die Butter vom gesellschaftlichen Brot nehmen..., hole ich weit aus. „Ja, ja, meine Frau erzählt mir auch nie, was sie verdient, aber ich soll immer alles offenlegen!“, seufzt Atus. An der Bustür stimmt der Lehrer Atus wieder eine dieser wunderbaren Schnulzen an — die zu den traditionellen Lenso-Tänzen, den Taschentuchtänzen, gesungen werden, die zur Inselkultur des Abschiedwinkens gehören.

Der Abstand zwischen Mensch und Natur ist gering

Auf der Nachbarinsel Haruku lerne ich Theo kennen. Der ehemalige Soldat der Indonesischen Armee schaut zuversichtlich in die Zukunft: „Indonesien ist kein Entwicklungsland mehr“. Sein Beitrag dazu war Straßenbau auf Kalimantan und Sumatra. Bald siebzig ist er jetzt.

Durch sein Zwei-Zähne-Grinsen erzählt Theo, daß er damals in der KNIL, der Königlich-Niederländischen Armee, in Sold war. Die Japaner steckten ihn in ein Lager auf Java. Sukarno führte Indonesien schließlich in die Unabhängigkeit. Die Holländer aber wollten sich, versteckt hinter den Australiern und Engländern, wieder ins Land schleichen. „Das ist eine lange Geschichte!“, für einen Moment spannt sich der verbrauchte Männerkörper unter der Erinnerung des Soldatenlebens.

Er will in das 300-Seelen-Dorf Kabau. Mitkommen soll ich, den Raja, den Bürgermeister, besuchen. Die Straße am Meer entlang liegt einsam in der Hitze. Es zirpt und knistert im Seitengebüsch. Riesige Spinnen hängen in weitgespannten Netzen zwischen den Palmen. Der Abstand zwischen den Menschen und der Natur ist gering, schon durch das Baumaterial der Häuser: Bambuswände auf einem Tonpodest montiert, getrocknete Sagopalmenblätter decken die Dächer, die in der Ferne kaum von der übrigen Vegetation zu unterscheiden sind.

Der Raja von Kabau jedoch, Aba Pattimatu, besitzt ein Steinhaus. Er setzt sich den Peci, die zum indonesischen Symbol gewordene Kappe aus Samt, auf und zieht das Maßband vom Hals. Der Raja schneidert hauptberuflich. Wir nehmen in der plüschüberzogenen Sitzecke Platz. Gehäkelte Wollarbeiten schützen den Kassettenrecorder vor Staub, Plastikblumen stecken in der Vase. Natürlich möchte der Raja wissen, woher ich komme. Er zeigt sich erstaunlich beschlagen über die bundesdeutsche Wirtschaftskraft. Immerhin liegt Haruku an der Grenze zwischen moderner Entwicklung und traditioneller Existenzweise. Ich habe beim Spaziergang durch Kabau keine der Antennenschüsseln entdecken können, wie sie auf Ambon die Verbindung zur Restwelt halten.

Die Frau des Rajas stellt die Teetassen auf die mit Kreuzstickerei verzierte Tischdecke. Am Tisch sitzen nur die Männer und der weibliche Gast aus Deutschland. Platzmangel oder patriarchale Sitte? Es bleibt mir verschlossen. An die Wand hinter ihrem Mann gelehnt, nimmt die Frau an dem Tischgespräch jedoch rege teil: das Selbstbestimmungsrecht der Molukker wird unser Thema.

So ganz andere Vorstellungen von der Unabhängigkeit Indonesiens 1947 hegten sie als die vorherrschenden Javaner. Sie träumten von einer unabhängigen Republik Maluku, RMS. Ende der sechziger Jahre ergaben sich die letzten Rebellen. „In den Bergen von Haruku wurde auch gekämpft!“, der Raja wiegt seinen Kopf bedächtig und weist zum Fenster, „die RMS, das ist vorbei.“ 200 javanische Soldaten wachen auf den Molukken.

Die Zukunft heißt Tourismus

Vor allem ökonomisches und technisches Know-how eignen sich die 1.700 Studenten in der Universität Kristen an. „Sie helfen bei der landwirtschaftlichen Entwicklung aktiv mit“, erklärt Dr. Rajawane bei einem Rundgang durch den Campus.

Die Lebensbedingungen auf den Molukken erfordern Hilfe zur Selbsthilfe. Dazu gehört die Unterstützung der touristischen Entwicklung. Die Honoratioren Ambons, wie Dr. Radjawane, erwarten von der 1989 gestarteten, archipelweiten Tourismuscampagne Sadar Wisita, eine Verbesserung des Lebensstandards der Dörfer. „Die Menschen müssen ein Bewußtsein für die touristischen Potenzen der Inseln entwickeln, Gasthäuser herrichten, wie in Bali vor zwanzig Jahren! Doch die Reisenden dürfen sich nicht wildwüchsig über unsere Kultur und Natur hermachen!“

Namaluta, südlich von Ambon- City, ist ein Geburtsort für Inselträume. Die Banda-See brandet gegen Korallenkrater, die bei Ebbe aus dem Wasser ragen. Das Wasser ist so klar, daß die Fischer aufrecht an der Spitze ihrer Boote stehend, nach mariner Beute in der üppigen Meeresflora spähen.

Eine Kulisse für Joseph Konrad- Geschichten. Der Himmel flirrt in bewegungslosem Blau. Die Mittagshitze zwingt zum Schlummer im Schatten. Späht nicht der Chinese und sein Alfuro-Weib aus der Novelle „Sieg“ hinter dem Felsen hervor? Nein, Agus Bagus, ein Fischer, will 300 Rupien Recreation-Gebühr kassieren, bitte! Mögen die Gewürzinseln mit ihren Nelken und Muskatnüssen auch in die Geschichtslosigkeit zurückgesunken sein, die Zukunft könnte Maluku in ein touristisches Rampenlicht schieben.

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