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Zwei weitere Wahlniederlagen für die Torys

Schlappe für die britischen Konservativen bei Nachwahlen in Bradford und Bootle/ Diskussion um Thatcher angeheizt  ■ Aus Bradford Ralf Sotscheck

„Margaret Thatcher und die Konservativen füllen sich nur die eigenen Taschen. Wie es der Bevölkerung geht, ist ihnen völlig egal.“ Der pakistanische Taxifahrer in der mittelenglischen Stadt Bradford hatte noch nie Illusionen über die Torys: „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und habe immer Labour gewählt. Das werde ich auch heute tun.“ Dasselbe taten am Donnerstag bei der Nachwahl für den Parlamentssitz von Nord-Bradford jedoch auch viele traditionelle Tory-WählerInnen. Vor dem Wahllokal, einem alten Schulgebäude, sagte die 59jährige Hausfrau Charlotte Maxwell: „Die Konservative Partei ist tief zerstritten. Deshalb habe ich heute zum ersten Mal Labour gewählt.“ Wegen des britischen Wahlsystems, bei dem es nur einen Gewinner gibt und alle anderen — selbst wenn sie nur um eine Stimme zurückliegen — leer ausgehen, ist bei der Auszählung der Wahlzettel für Spannung gesorgt.

Die Nachwahl vom Donnerstag war durch den Tod des Abgeordneten ausgelöst worden. In der Turnhalle der Schule, wo die Auszählung in der Nacht zum Freitag stattfand, herrschte Silvesterstimmung: noch drei Minuten bis zur Verkündung des Ergebnisses, noch zwei... Dann betrat der mit Schärpe und Orden dekorierte Bradforder Bürgermeister kurz vor ein Uhr die Bühne: „William Beckett, allgemein bekannt unter dem Namen ,Wild Willie‘: 210 Stimmen.“ Der in einen Arztkittel gekleidete und weiß geschminkte „wilde Willie“ vollführte mit einem Widderkopf unter dem Arm einen Freudentanz, als habe er soeben den Parlamentssitz gewonnen.

Den gewann jedoch der Labour- Kandidat Henry Rooney mit 52 Prozent der Stimmen. Für die Torys traten die schlimmsten Befürchtungen ein: Ihre Kandidatin Joy Atkin landete mit 17 Prozent auf dem dritten Platz, acht Prozent hinter David Ward von den Liberalen. Für Atkin war das Ergebnis völlig normal: „Was wollen Sie denn, es passiert doch oft, daß die Regierungspartei nach der Hälfte der Legislaturperiode bei Wahlen einen Einbruch erlebt. Die Kopfsteuer und die hohen Zinsraten sind unpopulär, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Ich werde den Sitz bei den nächsten Parlamentswahlen gewinnen.“

Ihr Optimismus entbehrt jeder Grundlage. Das weiß auch der Tory- Parteivorsitzende Kenneth Baker: „Bradford war schon immer fest in Labour-Hand. Das knappe Ergebnis vor drei Jahren war eine Ausnahme.“ Diesmal kam noch ein äußerst ungeschickter Wahlkampf hinzu. Joy Atkin war auf den Wahlplakaten inmitten eines Friedhofs abgebildet — wohl kaum der richtige Ort für die Kandidatin einer Partei, mit der es angeblich wieder aufwärts geht. Atkin sieht das schlechte Ergebnis keineswegs als Kritik an Margaret Thatcher: „Absoluter Blödsinn. Sie ist die beste Parteiführerin, die wir je hatten.“ David Ward war mit dem Wahlergebnis zufrieden: „Wir können den Konservativen vor allem in Südengland zahlreiche Sitze abnehmen. Wir können sogar die nächsten Wahlen gewinnen.“

Bei den Nachwahlen in Liverpool- Bootle, die ebenfalls am Donnerstag stattfanden, gelang es den Liberalen jedoch nicht, die Torys vom zweiten Platz zu verdrängen. Labour gewann hier 78 Prozent der Stimmen, die Konservativen kamen auf neun Prozent.

In Bradford nahm zum ersten Mal die vor einem Jahr gegründete „Islamische Partei“ an Wahlen teil. Ihr Knadidat, der Parteivorsitzende David Musa Pidcock, gewann zwei Prozent der Stimmen — fast doppelt soviel wie die Grünen. Er sagte nach der Wahl: „Unser Ziel war der vierte Platz. Das haben wir geschafft, und zwar ohne viel Geld für den Wahlkampf und ohne Parteimaschine.“ Bradford ist die Stadt mit dem höchsten Anteil an Moslems in Großbritannien. Nach Angaben ihres Generalsekretärs Sahib Mustaqim Bleher hat die Islamische Partei 1.000 Mitglieder, jedoch 20.000 „aktive Sympathisanten“. Nur Moslems können Vollmitglieder werden und über die Parteipolitik entscheiden. Für Nicht- Moslems gibt es eine assoziierte Mitgliedschaft. Es geht der Partei darum, die Bevölkerung „mit alternativen Gedanken bekannt zu machen“. Bleher sagt: „Wir wollen den Moslems Gehör verschaffen, die von den anderen Parteien enttäuscht sind, weil man dort gegen neue Ideen Barrieren aufbaut.“ Die Islamische Partei tritt dafür ein, das Todesurteil, die „fatwa“, gegen den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie einstweilig auszusetzen und eine Untersuchung darüber einzuleiten, ob der Autor voll zurechnungsfähig sei. „Die Satanischen Verse sind eine autobiographische Widerspiegelung der inneren Konflikte Rushdies“, sagt Bleher. „Das deutet darauf hin, daß er psychisch krank ist.“ Die fatwa spielte im Wahlkampf jedoch keine Rolle. Die Partei konzentrierte sich hauptsächlich auf Wirtschaftsfragen: Sie fordert getreu dem Islam die Abschaffung von Zinsen, die für die hohe Inflation in Großbritannien verantwortlich seien. Statt dessen soll die Regierung ihr Recht in Anspruch nehmen, genug Geld in Umlauf zu bringen. Experimente auf den britischen Kanalinseln in dieser Richtung würden den Erfolg dieser Maßnahmen beweisen, meint Bleher. Er glaubt, daß das Wählerpotential der Islamischen Partei groß genug sei, daß sie eines Tages bei Parlamentswahlen das Zünglein an der Waage spielen könnte. Deshalb werde die Partei von Labour so gefürchtet.

Vorerst befindet sich die Labour Party jedoch weiter im Aufwind. In Bradford konnte sie im Vergleich zu den letzten Wahlen neun Prozent zulegen, während die Torys 23 Prozent verloren.

Die Ergebnisse von Bootle und Bradford haben die Diskussion um die Tory-Führung weiter angeheizt. Der konservative Hinterbänkler Tony Marlow sagte gestern: „Die Kollegen in den Wahlkreisen, wo wir nur knapp vorne liegen, machen sich ernsthafte Sorgen um ihre Sitze. Ich glaube, eine Ablösung an der Spitze würde die Partei wieder vereinigen und eine neue Zeit der Flitterwochen mit der Wählerschaft einleiten.“ Eine Umfrage der BBC vor den Wahllokalen in Bradford beweist jedoch, daß die traditionellen Tory- WählerInnen keineswegs zu Hause geblieben sind, sondern, daß die Hälfte von ihnen anderen Parteien die Stimme gegeben hat. Als Grund dafür gaben 80 Prozent die Spaltung der Konservativen an. Erfreulich für Thatcher ist lediglich die Tatsache, daß genauso viele der Befragten erklärten, daß sie auch nach einer Ablösung der Premierministerin durch ein anderes Kabinettsmitglied ihre Meinung nicht ändern würden. Thatcher kann weiterhin darauf hoffen, daß sich bis zum Ablauf der Frist am nächsten Donnerstag kein Tory- Abgeordneter finden läßt, der bereit ist, gegen Thatcher für die Parteiführung zu kandidieren.

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