: Der GAU in Morsleben als Endlagerkonzept
Mit dem Salzstock Morsleben bei Magdeburg ist den bundesdeutschen AKW-Betreibern in den Schoß gefallen, was sie nach BRD-Recht bisher nicht genehmigt bekamen: ein Endlager. Allerdings soll die Endlagerung nach altem DDR-Konzept so stattfinden, wie das West-Atomrecht den GAU definiert. ■ AUS MORSLEBEN JÜRGEN VOGES
Es ist ein Geschenk, wie es sich Bundesumweltminister Töpfer immer gewünscht hat: Kaum drei Kilometer vom ehemaligen Grenzübergang Helmstedt entfernt liegt das atomare Endlager Morsleben. Auf dem Hügel einige hundert Meter über dem Dorf bestimmt ein mit grünem Stahlskelett und Betonplatten verkleideter Förderturm die Kulisse, davor liegt die überdachte „Entladestation“, deren auf Metallschienen laufender großer Kran die Abfallcontainer hineinhebt und neben dem Turm noch ein zweistöckiger Flachbau, das Verwaltungsgebäude. Zwei Tieflader mit gelben Blinklichtern auf den Fahrerhäuschen fahren zwei graue Container vor, in denen wie eh und je die wiederverwendbaren Behälter für flüssigen und festen radioaktiven Müll verstaut sind. Die Grünen- West und -Ost haben seit langem einen Besichtigungstermin beantragt. Der konnte in der vergangenen Woche endlich stattfinden, nachdem am Tag zuvor das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) für das Bergwerk einen erfahrenen westdeutschen Betreiber gefunden hat: die „Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlager für Abfallstoffe“ (DBE). Die DBE hat sich schließlich seit Jahrzehnten — vergeblich — um die Errichtung eines Endlagers in Gorleben bemüht.
Noch zehn Jahre ohne atomrechtliche Genehmigung
Die Bundesrepublik ist durch die deutsche Einigung zu einem Atommüll-Endlager gekommen. Damit es trotz des geltenden Atomrechts weiter betrieben werden kann, steht im Einigungsvertrag, daß die alte DDR- Genehmigung für Morsleben noch weitere zehn Jahre gilt. Ein Plan- Feststellungsverfahren soll es also nicht geben. Bei der Inbetriebnahme der Atommüll-Grube sind die Anwohner in der DDR genausowenig gefragt worden wie deren Nachbarn im nahen Helmstedt.
Den Eingang des zum Endlager gehörenden Verwaltungsgebäudes zieren bunte Glasbausteine. Drinnen hängt noch eine Urkunde des „Rates des Bezirkes Magdeburg“, der das Endlager als „Betrieb der vorbildlichen Sicherheit und Ordnung“ ausweist. Vor diesem Hintergrund begrüßt der DBE-Geschäftsführer Dr. Hans Jürgen Krug zusammen mit den Herren vom BfS das Vorstandsmitglied der Grünen Sachsen-Anhalt, Michael Rost, den Landtagsabgeordneten der niedersächsischen Grünen, Hannes Kempmann, und die kleine Gruppe der sie begleitenden Journalisten.
In dem ausgedienten Morslebener Salzbergwerk lagern schon 13.000 Kubikmeter radioaktiver Abfälle. 8.000 Kubikmeter radioaktive Flüssigkeiten und 5.000 Kubikmeter feste Abfälle sind seit 1979 in die Abfallkavernen in 500 Metern Tiefe unterhalb der vierten Bergwerkssohle ohne weitere Abschirmungen eingesprüht oder gekippt worden. Nach Ansicht des Sprechers des Bundesamtes für Strahlenschutz, Dr. Eckart Viehl, lagern diese Abfälle dort auch „sicher“. „Nach der Genehmigung dürfen hier nur Abfälle eingebracht werden, die nicht mehr als 108 Bequerel/m3 an Aktivität von Alpha- Strahlen enthalten“, sagt der Sprecher des Bundesamtes. Für solche Stoffe erlaube die Internationale Atomenergiebehörde sogar die oberflächennahe Deponierung.
Was lagert bereits in den Schächten?
Doch schon die Antwort auf die Frage, ob dieser Grenzwert in der Vergangenheit auch eingehalten worden ist, muß die Betreiberrunde schuldig bleiben. Fest steht nur, daß die DDR bis auf abgebrannte Brennelemente allen radioaktiven Müll in Morsleben eingelagert hat, die „normalen“ Abfälle aus dem Betrieb der AKWs genauso wie die aus Störfällen, und auch den radioaktiven Müll aus Forschung und Medizin. Eine genaue Dokumentation, die Voraussetzung für jede Sicherheitsanalyse wäre, fehlt. „In einer Statuserhebung durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit im Auftrage des Bundesumweltministeriums soll jetzt festgestellt werden, was mit welchem Nuklidinventar eingelagert worden ist“, sagt Dr. Ernst Warnecke, Experte des Bundesamtes für Strahlenschutz für radioaktive Abfälle. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit habe einen Überblick über Störfälle in den AKWs der DDR und könne daraus Rückschlüsse ziehen, versichert Eckard Viehl vom BFS.
Endlager mit ungewisser Endlagerung
Auch wenn es die nunmehr vereinigten deutschen Atomexperten nicht wahrhaben wollen: Das Endlager Morsleben wird als Experiment mit höchst ungewissen Ausgang betrieben. „Der Verschluß des Schachtes und die Stillegung der Anlage ist nicht Bestandteil der Genehmigung“, sagt Dr. Warnecke später. Die Genehmigung, die Bundesumweltminister Töpfer nun noch zehn weitere Jahre nutzen will, erlaubt damit zwar die Einlagerung von Atommüll in Morsleben, läßt aber die für jedes Endlager entscheidende Frage offen: wie denn nach Ende des Betriebes, die „Langzeitsicherheit“, der dauernde Abschluß der Radionuklide von der Biosphäre, bewerkstelligt werden soll.
Allerdings hatte das „Staatliche Amt für Sicherheit und Strahlenschutz“ (SASS) der DDR ein „Verwahrkonzept“ für die Nachbetriebsphase von Morsleben entwickelt. Doch aus guten Gründen schweigt sich Dr. Warnecke darüber aus, inwieweit dieses Konzept überhaupt Eingang in die jetzt nur noch per Plan-Feststellungsverfahren änderbare Genehmigung gefunden hat. „Das bisherige Verwahrkonzept sieht nach Ende der Einlagerung die Füllung des Endlagers mit gesättigter Magnesiumchlorid-Lösung vor“, sagt der Endlager-Fachmann des Bundesamtes für Strahlenschutz. Durch Ausbreitungsrechnungen habe man festgestellt, daß selbst bei einem Auspressen der Lösung die Grenzwerte eingehalten würden.
Mit diesem „Verwahrkonzept“ wird zum Nachweis der Langzeitsicherheit, was nach der landläufigen bundesdeutschen Endlagerphilosopie bisher als GAU als „Größter anzunehmender Unfall“ galt: Das Absaufen des Endlagerschachtes.
Der geplante GAU als Endlagerkonzept
Technisch funktioniert das so: Im Endlagerbergwerk zurückbleibende Flüssigkeiten sind immer ein Transportmedium für das radioaktive Inventar. In den Flüssigkeiten lösen sich die eingelagerten Radionuklide und sie werden im Laufe der Zeit, durch den Druck der hier 500 Meter dicken Gesteinschichten, nach oben oder außen gepreßt. Davon geht das „Verwahrkonzept“ für Morsleben aus. „Etwa 50 Jahre nach der Flutung beginnt die Freisetzung“, erläutert Dr. Warnecke. „Spuren der eingelagerten Radionuklide gelangen dann nach außen.“ Doch das Endlager liege im grundwasserreichen Urstromtal der Aller. Nach der Ausbreitungsrechnung, die dem Verwahrkonzept zugrunde liegt, wird dadurch die austretende kontaminierte Lösung so verdünnt, daß die Grenzwerte nicht mehr überschritten werden, wenn die radioaktiven Abfallstoffe schließlich die Erdoberfläche erreichen.
Doch die Ausbreitungsrechnung, so stellt sich auf Nachfragen heraus, wurde allein für radioaktives Cäsium 137 durchgeführt. Dieses Radionuklid kommt zwar in dem Morslebener Abfall am häufigsten vor, hat aber mit nur 30 Jahren eine kurze Halbwertzeit und ist damit unter dem Gesichtspunkt der Langzeitsicherheit keineswegs der gefährlichste Bestandteil des atomaren Abfalls.
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat noch nicht entschieden, ob es an dem „Verwahrkonzept“, diesem Konzept der Sicherung des Endlagers durch den kontrollierten GAU, festhalten will. Als Alternative will man die Möglichkeiten prüfen, das Bergwerk oder zumindest die Teile, die als Endlager dienen, nach Abschluß des Betriebes mit festem Material zu verfüllen. Allerdings haben die DDR-Experten, die das Verwahrkonzept entwickelten, sich nicht von ungefähr für die kontrollierte Flutung des Bergwerkes entschieden. Bei der Stillegung eines Endlagers im Salz müssen möglichst alle Hohlräume gefüllt werden, sonst senkt sich der Salzstock ab, das an sich plastische Salz kann reißen, es enstehen Wege für das Grundwasser, der Schacht säuft ab. „Das könnte die Folge haben, daß das eintretende Süßwasser Teile des Salzstocks auflöst und anschließend, wie bei alten Salzbergwerken schon oft geschehen, das Grubengebäude einstürzt“, erläutert in der Runde der Sprecher des Bundesamtes für Strahlenschutz Dr. Eckart Viehl. Diesen unkontrollierten Zutritt von Süßwasser will das „Verwahrkonzept“ durch die Flutung des Endlagers mit schon gesättigter Magnesiumclorid- Lösung vermeiden, die die Stützen des Grubengebäudes nicht mehr angreift.
Etliche Probleme stehen dagegen in Morsleben einer Sicherung nach bundesdeutschem Konzept entgegen, nach dem das Endlager trockzuhalten wäre und die Hohlräume mit Gestein gefüllt werden müßten, um Bewegungen des Salzstockes nach Betriebsende gering zu halten. Schon jetzt sind durch die in Morsleben angewandte Einlagerungstechnik große nicht mehr zugängliche Hohlräume entstanden.
„Die neue Betreiberin, die DBE, kann keine Angaben über die bisher eingelagerten Stoffe machen. Die Langzeitsicherheit der Endlagers wird halbherzig behauptet, aber ist nicht im entferntesten nachgewiesen“, faßte der Grünen-Landtagsabgeordnete Kempmann die Ergebnisse des Besuchs in Morsleben zusammen. Es sei kein Sicherheitsnachweis, sondern der blanke Zynismus, wenn man damit rechne, daß irgendwann aus Morsleben radioaktiv verseuchtes Wasser in die Aller abfließe und dadurch verdünnt werde.
Ab Februar 1991 auch West-Atommüll?
„Bisher läßt sich für Morsleben kein sicherheitstechnisch relevantes Risiko erkennen“, hatte das Bundesamt für Strahlenschutz noch tags zuvor anläßlich der Übernahme des Endlager durch die DBE mitgeteilt. Doch davon ist nicht einmal der neue Betreiber überzeugt. „Es gibt einzelne Punkte, die auch aus unserer Sicht einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden müssen“, sagte in Morsleben selbst DBE-Geschäftsführer Dr. Hans Jürgen Krug. An einer Sicherheitsbewertung des Endlagers arbeitet gegenwärtig die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS). Erst wenn diese Bewertung Anfang des kommenden Jahres vorliegen wird, werde darüber entschieden, ob auch Abfall aus der alten Bundesrepublik in Morsleben eingelagert werde, erklärte der BFS-Sprecher Dr. Eckart Viehl beiläufig. Die bisherige Genehmigung erstrecke sich zwar nur auf radioaktive Abfälle aus der DDR. Doch nach der deutsch-deutschen Vereinigung sei der Geltungsbereich der Genehmigung „rechtlich ungeklärt“.
Aus dem Gutachten der GRS sind sicherheitstechnische Konsequenzen allerdings kaum zu erwarten. Das Bundesamt für Strahlenschutz will zwar einiges im Nachbarschacht von Morsleben tun, dem Bergwerk „Marie“, das mit dem Endlager auf mehreren Ebenen durch Stollen verbunden ist. Dort eingelagerte, zyanidhaltige Salzschlacke soll gehoben werden und auch einen 20 Meter großen See will man abpumpen, der einst durch Abwässer einer im Nachbarschacht betriebenen „Broilerzucht“ entstanden ist.
Keine Änderungen am Endlagerbetrieb
„Änderungen am Endlagerbetrieb sind bisher nicht geplant, weil solche Änderungen nur im Rahmen der bestehenden Genehmigung möglich wären“, erklärte Dr. Warnecke in Morsleben. Wenn Bundesumweltminister Töpfer das Endlager Morsleben noch zehn Jahre nutzen will, muß er so weitermachen, wie es in der DDR usus war. Jede Änderung der Genehmigung bedarf eines Planfestellungsverfahrens, und in einem solchen Verfahren würde Morsleben wohl nach den Anforderungen bundesdeutscher Sicherheitsbestimmungen glatt durchfallen.
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