: Verpflichtung für alle EuropäerInnen
■ betr.: "Verlassen wir Europa!" von Karl Rössel, taz vom 8.11.90
betr.: „Verlassen wir Europa!“ von Karl Rössel,
taz vom 8.11.90 (Eurotaz)
[...] Karl weiß: Jede/r, der ein anderes Europa will, ein demokratisches, dezentralistisches, die ausbeuterischen Beziehungen mit der sogenannten Dritten Welt abbrechendes, ist in Wirklichkeit dabei, alle internationalistischen Analaysen zu verdrängen, alle Alternativvorstellungen zum herrschenden kapitalistischen (Welt)wirtschaftssystem aufzugeben und sich in den Chor der Apologeten des heutigen, real existierenden Europa einzureihen. Schlimmer noch, diese (Un)personen stellen sich damit sogar in die Tradition der verbrecherischen europäischen Geschichte, von Cortéz über Pizarro, Hitler, Stalin bis zu den französischen Mördern des Algerienkrieges.
„Verlassen wir Europa!“ Indem Karl hier ein Fanon-Zitat anwendet, verdreht er seinen Sinn völlig: Fanon sprach zu seinen GenossInnen in der kolonialisierten Welt, daß sie Europa als ihr Vorbild verlassen sollten, sich auf sich selbst und ihre eigene Geschichte statt der verbrecherischen europäischen beziehen sollten. Die europäischen Intellektuellen und Linken interessierten ihn wenig, ihnen hat er nicht geraten, auszuwandern. Die materielle Verwüstung und geistige Ödnis, die Europas Kolonialfeldzug in vielen Teilen der Welt angerichtet hat und noch anrichtet, sind allerdings eine Verpflichtung für alle EuropäerInnen, eine immerwährende Erinnerung an und Verantwortung für diese Verbrechen anzunehmen. Die einfache Negation diesre Geschichte hilft da bestimmt nicht weiter. [...]
Jahrelang war es Karls publizistisches Interesse, daß sich die „Dritte- Welt“-Bewegung von den Mythen und Illusionen über Revolutionen im sogenannten Trikont löst und sich mit den Verhältnissen im eigenen Land beschäftigt, die die Grundlage der ungerechten Verhältnisse anderswo sind. Diese Blickpunktänderung der Bewegung ist mehr oder weniger geglückt. Warum sollen wir uns also nicht verschärft auf die BRD, auf Großdeutschland und Europa konzentrieren, für die Aufhebung aller Grenzen, auch der im Kopf, weiterkämpfen, bis wir Zustände erreicht haben, die diese Staaten und exklusiven Gemeinschaften aufheben. Dafür gibt es genügend Kräfte, die links und internationalistisch denken, trotz Großdeutschlandtaumel etc. Diese Kräfte durch haltlose Anpöbeleien zu spalten, nützt uns nichts, meint wenigstens Thomas Siepelmeyer vom
Arbeitskreis Afrika
(AKAFRIK), Münster
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