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Alles drin — in einem Vokal

■ Die Berliner Kammeroper mit »Das Gastmahl der Schmarotzer« und »Manekiny« im Hebbel-Theater

Die Berliner Kammeroper ist nach beinahe zehn Jahren Existenz und endlich auch mit bescheidener Unterstützung des Kultursenats nun zu den festen Etablissements zu rechnen.

Am letzten Wochenende war Premiere zweier Einakter älteren Datums: eine rumänische Variation über die Geschichte von Graf Dracula und eine polnische über die vom Golem.

Natürlich geht es in beiden Fällen nicht um die sublime Form dieser beiden Figuren, um die Klischees, wie wir sie hier gewohnt sind aus Comic und Kino. Und es kommt auch nicht darauf an, das Gruseln zu lernen. Für Dracula zum Beispiel braucht es keine spitzigen Eckzähne, denn in Rumänien verfügt man über das historische Original: der grausame Fürst Vlad, genannt Dracula, regierte wirklich und wahrhaftig im 15. Jahrhundert, und das Terrorregime, mit dem er das Land überzog, ist dem von Ceausescu durchaus vergleichbar.

So hat der Komponist Anatol Vieru im Jahre 1979 den Stoff zu einer Art Parabel verkomponiert, die prompt nicht durch die Zensur ging: »Das Gastmahl der Schmarotzer«, frei nach einem Drama von Mihail Sorbu. Da lädt der finstere Fürst alle Bettler und Krüppel des Landes ein, um sie erst abzufüttern und dann abzuschlachten — eine Hygienemaßnahme unter dem Vorwand der Wohltätigkeit. Doch geht es in dieser Oper nicht schlicht um die Frage von Gut und Böse — es geht realistischerweise um die Misere des Landes, in der alle gleichermaßen befangen sind: die Büttel des Fürsten geknechtet wie ihre Opfer, die Bettler genauso bösartig wie ihre Mörder. Jeder hat seine eigne kleine aussichtslose Geschichte zu erzählen. Und vom ersten bis zum letzten Ton, vom ostinaten Boogie-Woogie-Rhythmus bis hin zum Stillstand des dumpfen Choralklangs am Ende herrscht nichts als Hoffnungslosigkeit und Angst.

Daß man das dennoch angenehm unterhaltsam finden und gar genießen kann; daß sich dann nach und nach angesichts des gebündelten Elends so etwas wie Müdigkeit einstellt und gepflegte Langeweile; daß das Stück nicht über die Rampe kommen will, sondern dort oben verharrt in papierener Distanz - das liegt wohl weder an der Inkompetenz des wohlstandsgesättigten Publikums noch an der soliden Inszenierung Henry Akinas oder an den glänzenden musikalischen Leistungen des Ensembles. Es liegt auch nicht an der Monotonie der Partitur, die sich auf die Farben weniger Blas- und Schlaginstrumente verläßt und schnell erschöpft in Formelhaftigkeit. Schuld hat einzig der Umstand, daß es sich bei Vierus »Gastmahl« nicht um Oper handelt, wie man meinen sollte, sondern um ein wie zufällig mit Musik versehenes Sprechdrama. Die Sänger erklären sich unentwegt umständlich verbal, die Musik hinkt hintendrein, malt Ornamente und findet keine einzige Lücke, die mit Leben zu füllen wäre. Kurz: das Libretto ist ganz entsetzlich schlecht.

Anatol Vieru hat es persönlich angefertigt — der gar nicht so seltene Fall, daß ein Komponist sich selbst ins Knie hackt. Da nutzen denn auch die schönsten Erklärungen nichts, die er über die Konstruktion seiner Musik abgibt: »Meine Oper hat ein melodisches Ethos«, meint Vieru — ein Ethos hat sie gewiß und auch Melodie, aber es ist, wie gesagt, keine Oper. Auch fürs zweite Stück des Abends — »Manekiny« von Zbigniew Rudzinski — hat der Komponist das Libretto selbst geschrieben. Aber diesmal weiß er um die Fußangeln dabei: »Was im dramatischen Theater realistisch ist, wird in der Oper zu einer unwahren Dimension«, schreibt Rudzinski — und das heißt umgekehrt: was auf der Sprechbühne kitschig und im wirklichen Leben wie eine Lüge wirkt, das wird in der Oper erst echt und wahr. Etwa der große Auftritt der Haushälterin Adela in »Manekiny«. Für die Romanvorlage von Bruno Schulz ist diese Figur stumm, erst Rudzinski gibt ihr Stimme: weit ausschweifende Melismen ohne Worte, auf einem Vokal — und wer dazu schweigt, das ist das Orchester. Mit simplen Mitteln, in kürzester Frist wird da kaum erträgliche Spannung erzeugt und die ganze verwickelte psychologische Szenerie auf den Punkt gebracht. Alles ist drin in diesem einen Vokal: das Bedrohliche ebenso wie das Komische der Lage sowie die liebevolle Zärtlichkeit der Personen untereinander — die Gefühle der Adela und zugleich die derer, die ihr zuhören. Das Publikum inbegriffen.

In »Manekiny« — die Mannequins oder auch die »Gliederpuppen« — mischen sich die uralten Stoffe von Pygmalion, Frankenstein und Faust: es geht um die vergebliche Geschichte von der Schaffung des neuen Menschen. Der Puppenmacher Jakob träumt von einer besseren Welt, wobei ihm zwei entzückend alberne Nähmädchen, die übrigens eines der schönsten Duette der modernen Opernliteratur zum Besten geben dürfen, hilreich zur Hand gehen. Nur die Haushälterin findet das Treiben ebenso dumm wie gefährlich. Und siehe, die Puppen machen sich wie gewünscht selbständig, aber sie richten nur Unheil an. Oder vielmehr: sie tun genau das, was ihnen als Rolle auf den Leib geschneidert wurde. Die unglückliche Königin Draga besingt koloraturenreich ihr Pech, der impotente Edi mit dem dritten Bein schmettert carusomäßig von Liebe und nichts als Liebe, die Frau mit der Peitsche schwingt dieselbe hochdramatisch und wird dann pünktlich und wahllos vom Anarchisten Luccheni (dem, der Kaiserin Elisabeth von Österreich erdolcht hatte) erschossen, weil ein Anarchist eben wahllos schießt. Am Ende sitzt der Puppenmacher vor dem Scheitern seiner Utopie: großer lyrischer Monolog, der Mensch allein mit der Nähmaschine.

Die eigentliche Utopie aber liegt in Rudzinskis Musik. Er sammelt für sein Stück sämtliche Lumpen der alten und neueren Operngeschichte zusammen und macht daraus etwas eigenes Neues, das genau so »süß und bitter« wird, wie die Nähmädchen es am liebsten haben wollen. Natürlich ist das reinster Kitsch, aber es klingt nicht zu schön, um wahr zu sein. Die Musiker im Graben und die Sänger auf der Bühne haben hörbar ihren Spaß daran — und sogar dem gestrengen Kapellmeister, dem unfehlbar perfekten Brynmor Llewelyn Jones, rutscht beinahe das Hemd aus der Hose.

Die Berliner Kammeroper hat den Blick diesmal ostwärts gerichtet und uns bekannt gemacht mit den Nöten unserer neuen Nachbarn: das eine Stück hat zu tun mit dem stalinistischen Terror, das andere mit der sozialistischen Utopie — beide Themen bleiben dem westlichen Opernfreund einigermaßen äußerlich. Daß »Manekiny« dennoch den Sprung in die Herzen des Publikums schafft, gelingt nur, weil es so gut gemachtes Musiktheater ist. Elisabeth Eleonore Bauer

Weitere Vorstellungen noch heute und morgen abend im Hebbeltheater, Beginn jeweils um 20 Uhr.

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