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„Das hat mich kein bißchen verwundert“

Seit zwanzig Jahren ist der türkische „Gladio“-Ableger „Counter Guerilla“ wohlbekannt/ Die Terror-Organisation, in den fünfziger Jahren von US-Militärexperten aufgebaut, war die brutalste von all jenen, die im geheimen Nato-Auftrag tätig waren  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Ein Geheimbund, der Killerkommandos unterhält, Morde in Auftrag gibt, Massaker inszeniert, über gewaltige Waffenarsenale verfügt und eigene Folterkammern unterhält: die türkische „Counter Guerilla“ des „Amtes für besondere Kriegsführung“ war wohl die blutrünstigste Organisation, die im geheimen Nato- Auftrag tätig war. Die Organisation, in den fünfziger Jahren von US-Militärexperten aufgebaut, ist in der Türkei seit zwanzig Jahren wohlbekannt. Jetzt stellt sich heraus, daß es sich um die türkische Partnerorganisation von „Gladio“ handelt.

Als der ehemalige türkische Innenminister, der Sozialdemokrat Günes, die ersten Nachrichten über den Skandal in Westeuropa hörte, zuckte er die Achseln: „Es hat mich kein bißchen verwundert.“ Schon in den siebziger Jahren, während des faschistischen Terrors erstaunten ihn die supermodernen Waffen, die von den Terror-Organisationen eingesetzt wurden: „Der Verdacht fiel auf das Amt für besondere Kriegsführung.“

Einer der Kronzeugen gegen „Türkisch-Gladio“ ist der ehemalige sozialdemokratische Premier Ecevit. Er befürchtet, daß eine Geheimorganisation des „Amtes für besondere Kriegsführung“ bei Terrorakten aktiv war: Am 1. Mai 1977 schossen Bewaffnete von öffentlichen Gebäuden aus auf Teilnehmer der Erster-Mai-Demonstration. 33 Menschen wurden getötet, Hunderte wurden verletzt. Ein Massaker vor den Augen der Sicherheitskräfte. Nichtsdestotrotz fehlt von den Tätern jede Spur. Als am 29. Mai 1977 ein Anschlag auf Ecevit verübt wurde, verhinderten „Kräfte im Staatsapparat“ die Ermittlungen. Auch nach dem inszenierten Massaker in der mittelanatolischen Stadt Kahramanmaras im Dezember 1978 — 31 Tote — fehlt von den Tätern jede Spur.

Der ehemalige Verteidigungsminister der Nach-Putsch-Ära, Safa Giray, kommentiert Ecevits Äußerungen: „Ecevit soll seine Schnauze halten. Selbst wenn er etwas weiß, ist es notwendig, daß er schweigt.“ Ecevit hatte 1974 per Zufall von der Existenz des „Amtes für besondere Kriegsführung“ erfahren: als nämlich nach dem Einmarsch der türkischen Truppen auf Zypern — die USA hatten ein Waffenembargo gegen die Türkei verhängt — der Generalstabschef um Geld für das „Amt für besondere Kriegsführung“ aus dem Geheimetat nachsuchte. Ecevit wurde — streng geheim — vom Generalstab aufgeklärt: „Ich fragte sie, vom wem die Organisation bis jetzt finanziert wurde. Sie antworteten, daß die USA sie finanzierten. Nach ihren Informationen bestand die Organisation aus ,patriotischen Freiwilligen‘, die in besonderer Kriegsführung ausgebildet wurden. Sie verfügten über geheime Waffendepots.“ Die „patriotischen Freiwilligen“ waren Mitglieder der faschistischen „Graue Wölfe“, die in den siebziger Jahren zahlreiche Intellektuelle und Arbeiterführer ermordeten. Daß das „Amt für besondere Kriegsführung“ mit faschistischen Terroristen zusammenarbeitete, bestätigt auch der ehemalige Nachrichtenchef des Generalstabs, Orkut: „Es war offenkundig, daß einige Kräfte die Türkei ganz nach links ziehen wollten. Die Streitkräfte fürchteten die Bedrohung von links. Deshalb arbeitete man mit der ,Nationalistischen Aktionspartei‘“.

Mittlerweile dementierte der türkische Generalstab die Vorwürfe: „Das Amt für besondere Kriegsführung“ ist eine militärische Einrichtung unter Weisung des Generalstabes. Aufgabe des Amtes ist es, im Falle der Besetzung des Landes durch Fremdtruppen gegen die Besatzungsmächte zu kämpfen. Das Amt war nicht in Anarchie- und Terrorakte verwickelt.“ Für den stellvertretenden Generalsekretär der regierenden Mutterlandspartei, Metin Gürdere, war damit die Sache erledigt: „Ich weiß von nichts. Wie in den Romanen von Agatha Christie ist der Staub aufgewirbelt. Der Generalstab hat in seiner Erklärung betont, daß nichts Illegales passiert ist. Also muß ich dem Glauben schenken.“

Doch in der Türkei wurden Dokumente veröffentlicht, die die Organisation eindeutig als Terrorbande identifizieren. Oberstleutnant Talat Turhan hat zwanzig Jahre seines Lebens dem Kampf gegen die „Counter Guerilla“ gewidmet. Er veröffentlichte das „Field Manuel 31“ — eine Übersetzung einer amerikanischen Army-Order, die komplett von der türkischen Armee übernommen wurde. Ausdrücklich ist in der (streng geheimen) Order die Bildung einer illegalen Gruppe vorgesehen. In der Order, unterschrieben vom damaligen Chef der Heeresstreitkräfte, Ali Keskiner, ist folgendes Tätigkeitsfeld für die Untergrundorganisation beschrieben: „Menschen töten, Bomben werfen, Raubüberfälle organisieren, Folter, Menschenentführung, Brandstiftung, Sabotage, Propaganda, Desinformationspolitik“. In einem Land, wo es eine Verfassung gibt, schreibt die Army-Order vor, daß eine staatliche Untergrundorganisation Morde begehen darf. „Das ist der Geheimbund in den Nato-Ländern“, sagt Turhan. Turhan, ein kritischer Offizier, wurde nach der Militärintervention von 1971 von Angehörigen der „Counter Guerilla“ gefoltert. Vor Gericht packte er später aus und schrieb drei Bücher. Doch kein Staatsanwalt ermittelte. Möge die Beweislage noch so erdrückend sein, möge die Opposition noch so sehr parlamentarische Untersuchungsausschüsse fordern — die Türkei bleibt die Türkei. „Ich bin traurig, daß es in der Türkei keinen mutigen Staatsanwalt wie Felice Casson gibt“, sagt Talat Turhan.

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