: Das „Phänomen Tyminski“ als Reaktion auf Polens Identitätskrise
■ Wer ist Stanislaw Tyminski?/ Immerhin ein Fünftel aller Polen will dem Unbekannten mit den drei Nationalitäten aber ohne Profil und Programm seine Stimme geben PORTRAIT
Stanislaw Tyminski wurde am 27. Januar 1948 in der Ortschaft Pruszkow bei Warschau geboren, wanderte 1969 nach Kanada aus und kehrte 1990 nach Warschau zurück, um Präsident Polens zu werden. Dies ist alles, was man von Stanislaw Tyminski sicher weiß — so steht es in seiner Wahlreklame. Viel mehr wußte man in Polen auch nicht, als Tyminski seinem Konkurrenten, Polens Premier Mazowiecki, Volksverrat vorwarf und die Meinungsforscher plötzlich Alarm schlugen: Mit 21 Prozent lag Tyminski in der Wählergunst vor Mazowiecki. Es scheint somit nicht ausgeschlossen, daß es zu einer Stichwahl gegen Mazowiecki kommen wird. Seine Attacke, die ihm nun ein Ermittlungsverfahren wegen Herabwürdigung eines Staatsorgans eingebracht hat, begründete Tyminski mit einem Geheimpapier der Regierung, aus dem hervorgehe, daß diese Polens beste Betriebe zu Spottpreisen an ausländische Investoren abstoßen wolle. Die „Geheimpapiere“ erwiesen sich allerdings als seit Monaten in der Presse bekannte Parlamentsvorlagen, die Tyminski nicht einmal richtig gelesen hatte: Den Umsatz der aufgeführten Betriebe verwechselte er mit dem angeblichen Verkauf, der in Wahrheit noch gar nicht stattgefunden hat. Tyminski wurde auf einer eigens von ihm einberufenen Pressekonferenz schlicht ausgelacht. In der Bevölkerung hat ihm das kaum geschadet: Nach den neusten Umfragen hat er immer noch 17 Prozent. Das Lachen ist vielen Beobachtern inzwischen allerdings vergangen, seit sich herauszukristallisieren beginnt, wer Stanislaw Tyminski wirklich ist. In Emigrationskreisen ist er gänzlich unbekannt, der Redakteur einer polnischsprachigen Wochenzeitung, die in Toronto, dem bisherigen Wohnort Tyminskis, erscheint, erklärte im Fernsehen, der Betrieb Tyminskis habe ganze 15 Angestellte. Tyminski, der bisher als erfolgreicher „Onkel aus Amerika“ aufgetreten war, besitzt angeblich außerdem noch eine Kabelfernsehstation in Peru und — nach eigenen Angaben — ein Jahreseinkommen von ca. einer halben Million Dollar. Bei den letzten Parlamentswahlen in Kanada kandidierte er als Chef seiner „Freiheitspartei“, die sage und schreibe 0,3 Prozent der Wählerstimmen erreichte.
Tyminski, der einen peruanischen, polnischen und kanadischen Paß besitzt, erfreute sich vor seiner Kandidatur offenbar der Gunst der polnischen Machthaber. Er erhielt mehrmals problemlos ein Visum, meldet die 'Gazeta‘. Die Warschauer Tageszeitung 'Zycie Warszawy‘ berichtete, Tyminski sei 1968 und 1969 vom Militärdienst befreit worden, „aufgrund von Geisteskrankheit“. „Sind wir Polen verrückt geworden, oder sind die Kanadier nicht reif für die Demokratie?“, fragte sich ein Kommentator der 'Gazeta Wyborcza‘ sarkastisch angesichts der Tatsache, daß Tyminski ernsthaft Chancen hat, vor Mazowiecki in die zweite Wahlrunde zu ziehen. Die Unterstützung für Tyminski, so meinen Beobachter, sei eine Reaktion auf die Identitätskrise Polens selbst. Bei den Parlamentswahlen vom Sommer letzten Jahres war noch alles klar: Die „Guten“ hatten den Stempel von Walesa und Solidarność, die „Bösen“ den der Kommunisten. Inzwischen sind die Fronten für viele Polen undurchschaubar geworden, das Solidarność-Lager hat sich gespalten, die Welt ist nicht mehr schwarz-weiß, sondern graugetönt. Der einzelne weiß nicht mehr, wohin er gehört.
Tyminski verkauft einen Mythos: den des erfolgreichen Polen, der zu beweisen scheint, daß man seine Würde nicht aufgeben muß, um zu Geld zu kommen. Er muß wissen, wo es langeht in der Wirtschaft, so die Argumentation seiner Anhänger, auch wenn sein Programm sehr diffus und nebelhaft ist. Mehr noch: Tyminski hat der Westen nicht verdorben, auf Schritt und Tritt beweist er seinen Patriotismus: Sein Vater sei von Hitlers und der Kommunisten Schergen eingekerkert gewesen, seine Mutter sei mit Pilsudskis Tochter in die Schule gegangen, und als er reich wurde, „da quälte ihn der Gedanke an sein unterdrücktes Polen“, wie es in einer seiner Broschüren heißt. „Er kam zum Schluß, daß Reichtum nur glücklich macht, wenn man ihn mit den Armen teilt.“
Tyminski scheint nicht nur so zu sein, wie viele Polen gerne wären. Er verkörpert auch deren Vorstellung von Europa: jenes reichen Europas, das Polen hilft, und es doch in seinem Stolz und seinen Mythen unterstützt. Das hat keiner der anderen Kandidaten, schon gar nicht Mazowiecki, zu bieten.
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