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Kitsch der Großkotze

■ »Art of the American West« im Amerika-Haus

Der Hubbard-Kunstpreis ist mit 250.000 Dollar einer der höchstdotierten Kunstpreise in den Vereinigten Staaten. Doch die Dollars des Glasfabrikanten aus New Mexico erhalten nur Künstler aus dem »Bereich der realistisch darstellenden Kunst«. Ob die sie verdienen, darüber mag man noch bis zum Wochenende im Amerika-Haus befinden.

Ein Foto im Katalog »The Hubbard« hält als schlagender Beweis her: das Ehepaar Joan Dale und R.D. Hubbard gibt es wirklich. Sonst hätte ich diese ständigen Gründer von Firmen und Stiftungen glatt für die Erfindung eines Serienautors von Soap-operas gehalten. Ihr Porträt im Katalog in englischer, deutscher, russischer und japanischer Sprache strotzt vor Superlativen. R.D. Hubbard, Gründer und Generaldirektor von AFG-Industries, einem der größten Glaswerke Nordamerikas, und seine Frau Joan Dale setzen auf Schönheit und Leistung. Deshalb haben sie nicht nur eine Stiftung zur Förderung der höheren Ausbildung gegründet, nein, sie züchten auch Rennpferde und sind Eigentümer der »Ruidoso Downs Race Track«. Besondere Attraktion im Rennkomplex: das Hubbard-Museum, 1989 gegründet, mit der Hubbard-Sammlung amerikanischer Maler der Jahrhundertwende bestückt. Die Hubbards haben erkannt, daß Kunst auch nicht anders als ein Leistungssport funktioniert, und folglich setzten sie einen Preis von 250.000 Dollar aus, den »Hubbard Art Award for Excellence 1990«, jährlich für ein Meisterwerk des »amerikanischen Realismus« zu vergeben. Eigens für diesen Wettbewerb schufen die »amerikanischen Meister« 1989/90 hochmotiviert Bilder und Skulpturen, die in der Gala- Nacht der Preiskürung den geladenen Gäste zum Verkauf angeboten wurden. Doch bevor die glücklichen Käufer ihre kolossalen Schinken über dem Kamin drapieren konnten, wurden sie nach Moskau und Berlin auf Tournee geschickt, »um die Großartigkeit des amerikanischen Realismus zur Schau zu stellen«.

Der »amerikanische Realismus« ist nicht nur eine gigantomanische, sondern vor allem auch treue Tradition. Unverändert behält er seit Jahrhunderten seine Motive bei. Was die alten amerikanischen Meister konnten, das können die heutigen schon lange. Die Maler des 18. und 19. Jahrhunderts tasteten sich am Rand der vorrückenden Zivilisation entlang: Als Vorhut der Veränderung und Kolonisierung hielten sie das Bild der Wildnis kurz vor oder bald nach ihrem Verschwinden fest und erhöhten es noch einmal zum Versprechen der Freiheit. Ihre Indianerbilder romantisierten die gerade bekämpfte Kultur; wenige unter ihnen verstanden sich als Dokumentaristen, die dem vernichteten Volk wenigstens ein Gedächtnis im Bild stiften wollten. Von solchen überflüssigen Skrupeln und trauernden Abschiedsgesten, von dem romantischen Gespür für die Ambivalenz der Besitznahme und Zerstörung haben sich die Hubbard-Bewerber allerdings befreit.

So leuchtet bei Paul Calle aus Connecticut des fellbemützten Trappers roter Rock im winterlich verschneiten Wald, daß jedes Rotkäppchen vor Neid erblassen könnte. Da zerteilt bei Michael Coleman ein Sonnenstrahl den dramatisch wogenden Nebel in den zerklüfteten Höhen der Rocky Mountains; unschuldig weiß strahlt das flockige Fell dreier Bergziegen. Über die Tafelberge, durch die John Wayne einst ritt, spannt Wilson Hurley einen Regenbogen. Als hätte es nie Reservate gegeben, als wären die Indianer noch immer die Besitzer des Landes, zeigt Frank McCarthy die wilde Horde nackter, mit großen Federbüschen geschmückter Indianer, auf ihren Pferden vorwärtsstürmend. Weichgezeichnete Indianerkinder und -frauen in rotgrüne Technicolor- Kontraste gekleidet, reiten bei Brownell McGrew einen rosa Hügel hinauf. Dave McGarys edle Bronze- Kämpfer sind kleine Heldendenkmäler. In impressionistischer Manier läßt Howard Terpning seinen Medizinmann von weißen Rauchschwaden umwehen. James Bama dagegen porträtiert einen Pow Wow Dancer wie das ethnographische Schaustück eines Museums, ganz lebensecht.

Dieser »amerikanische Realismus« hat nichts mit Realität oder gar mit Gegenwart zu tun. Er widmet sich einem zeitlos Schönen, das schon immer bloß fiktiv war. Mochten solche den Völkermord verleugnenden und die Kultur der Indianer zu einer romantischen Chimäre stilisierenden Schinken im 19. Jahrhundert als Mittel nationaler Geschichtsverdrängung und Identitätsstiftung noch eine historische Funktion haben, so mutet ihre Wiederauflage 1990, präsentiert von einer Institution — dem Amerika-Haus — dessen Kulturprogramm sonst zumindest seriös erscheint, doch reichlich reaktionär und angesichts des langsamen Todes der Indianer im Elend der Städte und ihrer anhaltenden Verdrängung von den letzten Inseln ihres Bodens als Zynismus an. Als naiv läßt sich solch großkotzige Schau nicht abtun. Scheinbare Rückbesinnung auf Tradition und die Säuberung der Kunst von allen Bildern des Unreinen vereinen sich hier mit der Ignoranz wiedererstarkender konservativer Werte.

Der Fotorealismus der sechziger Jahre ließ sich immerhin als Reaktion auf die Aushöhlung des Glaubens an eine umfassende Abbildbarkeit verstehen. Er reflektierte den Wirklichkeitsverlust angesichts der von den Medien geschaffenen Bilder und könnte als Ankündigung des Abrutschens in die Simulation verstanden werden. Doch die Hubbard-Realisten negieren die Verzerrung der Wahrnehmung durch die überlieferte Bilderflut und behaupten unverfroren Authentizität für Szenen, die immer nur Erfindung waren. Kein Hauch von Gefühlen des Verlusts ist in dieser glatten Malerei zu spüren. Eine größere Entfernung von der Realität ist kaum denkbar.

Falsch wäre nun der Eindruck, die Hubbard-Realisten hätten außer Trapper-Romantik und Indianer- Folklore nichts zu bieten. Clark Hulings malt in biedermeierlicher Armuts-Romantik den Waschtag in den Pyrenäen. James Browning Wyeth liefert in seinem Bild einer jungen Frau mit einer Möwe im Arm vor aufgerissenem Erdreich so etwas wie den Blut-und-Boden-Typ der Hard-Rock-Generation. Gordon Snidow erklärt den Tramps der Neuzeit seine Liebe mit einer Hippie- Frau im Stroh. Woody Gwyn und Chuck Forsman schließlich wissen, daß die USA nichts ohne ihre Verkehrswege wären. Der Highway, der sich wie eine Schneise schnurgerade durch die Felsen schneidet, und die Eisenbahn, deren Lichter sich in dunkler Nacht im Eis unter der Brücke spiegeln, verkünden ungebrochen den Traum von der Unendlichkeit des Landes, der Ressourcen und der Chancen. Auf Henry Cassellis Bild Vortrag ist eine Vertreterin jener Gesellschaft inszeniert, für die man malt: Delikat am Rand einer spannungsvollen Dunkelheit ins Bild gesetzt, droht die hochtoupierte, straßgeschmückte, noch in die Besinnung versunkene Schönheit jeden Moment in eine Ode auf Amerika und seine Wohltätigkeitsbasare auszubrechen.

Noch nie war eine Ausstellung so geeignet, sich seine krassesten Vorurteile bestätigen zu lassen. Ob es sich bei »The Hubbard« nicht doch um einen von Amerikas größten Feinden plazierten Fake handelt? Ganz sicher bin ich nicht. Katrin Bettina Müller

»Art of the American West«. Eine Ausstellung des Hubbard Art Award for Excellence 1990 im Amerika-Haus Berlin, bis 1. Dezember. Es erscheint ein Katalog.

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