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Der schwarze Baron

■ René Pétillon und Yves Got im Französischen Kulturzentrum

Die Grundidee besteht aus einem Figurenpaar: zwei uralte Antagonisten der Tierwelt, um die sich ein ganzes Ensemble gruppiert. Da ist das Bähschaf, explitzit als Herde vermasst, und damit sowohl anonym als auch unerschöpflich. Unerschöpflich als Nahrungsquelle für den Baron Noir, einen Raubvogel kompilierter Natur, halb Adler, halb Geier — schwarz, wie der Name sagt, eloquent die bestehende Ordnung als die naturgemäße mit den Schafen diskutierend. Unten, da sind die Schafe. Und dies nicht nur im horizontalen, sondern auch im sozialen Sinne. Oben schwebt der Baron. Er darf alles. Er darf rauben. Er fragt Berthe, den Specht, den Reporter: »Eine Welt ohne Raubvögel, wollen Sie das?... Trostlos, ein einziges Schafsgewimmel unter leerem Himmel.«

Opfer und Täter. Das ist alltäglich, und auch in den Comic-Strips nicht neu. Aber bei Got/Pétillon gibt es kein Happy-End. Der Schwarze Baron ist keine Witzzeichnung, sondern ein Aphorismus. Doch Opfer und Täter sind nicht allein in dieser Strip-Serie. Da ist Hald, der Elefant, ein kynischer Intellektueller, der mit aufklärerischer Geste den Schafen Sympathie erweist: »Ich habe auch einmal versucht zu blöken.« Und da ist Hilde, die Schildkröte, die resigniert lediglich für mehr Verantwortung plädiert. Die Ordnungshüter, die mit geschlossenen Augen am besten denken können, sind die Nashörner. Und ein zierliches Eichhörnchen ist der Sonderbevollmächtigter der Regierung für Artenschutz.

So sieht die Besetzung des kleinen Theaters aus. Groß und klein. Oben und Unten. Präzise. Lediglich der Baron vermag zu relativieren, denn, Tatsache, er mag die Schafe. Nun ja, er braucht sie auch. Und darum schützt er sie vor dem Krokodil, seinem Gegenspieler.

In klassischer Stripform — mit oder ohne Rahmen — rekapituliert Yves Got des Äsop'schen und Krylow'schen Kanon der antropomorphen Fabelwelt. Selten einmal zeichnet Got zwei Streifen untereinander, oder füllt gar eine Seite ganz. Ihm genügt zur Entwicklung seines Gags eine einzige ungemein stereotype Situation. So klar umrissen wie der Aufbau der Geschichte, des Streifens und der Figurenwelt ist auch der Topos der Idee. Anflug, Greifzu, Abflug. So auch die Kamerafahrt: Nah, Totale, Nah. Auf einer zweiten Ebene, welche sich semantisch von der bildlichen abtrennt, textet Réne Pétillon schwarze Lakonie in den Comic-Strip hinein. Diese zweite Reizschicht kommentiert die Bilder Gots nicht, ergänzt nicht, untermalt nicht, sondern verschafft der klaren zeichnerischen Aussage von Raub und Freveltat seine intellektuelle Dominanz — ähnlich wie bei Charles M. Schultz und seinen »Peanuts«.

Got unterscheidet sich in dieser Minimierung seines Storyboard ganz erheblich von anderen französischen aktuellen Stripzeichnern. Hier wird nicht leger-lümmelnd wie bei Bretecher disputiert, und auch Wolinksi mit seinem blattfüllenden Stammtischhumor erlangt nicht die graphische Knappheit wie Le Baron Noir. Trotz aller Eindeutigkeit der Fabel gibt es bei Got aber keine Sympathieerklärung für den armen Unterdrückten, das Schaf. Der Abseitsfalle der didaktischen Parteinahme entgeht das Zeichner/Texter- Team durch die schon angeführte Vermassung der Schafe zu einer Herde. Mit Herden empfindet man allenfalls Mitleid. Schafs- Individuen tauchen nur auf, wenn sie einmal Glück haben, so wie Leon, der noch einmal davongekommen war, weil er ein Toupet trug.

Ansonsten ist Glück zu haben ein Privileg, dessen sich einzig der Baron erfreuen darf. Er hat das Glück, fliegen zu können und Klauen zu haben; er hat das Glück, einflußreiche Persönlichkeiten zu kennen, und selbst der Verlag, der die Geschichte eines Schafes...: »In den Klauen des schwarzen Baron«... herausbrachte, gehört ihm. Wieder einmal Glück. Glück? Yves Got und Réne Pétillon malen ganz gewiß keinen Bilderbogen von Glück und Unglück, Kismet, Karma und Schicksal. Der Schwarze Baron ist Sinnbild einer Weltordnung und Reflexion einer Aufbruchstimmung aus den Sechzigern, der auch Got und Pétillon entstammen.

Expressis verbis ist der Schwarze Baron sogar noch mehr: er ist tradtionell antigaullistische Kritik der französischen Linken. Les Barons, das waren die gaullistischen Politiker der Siebziger; Repräsentanten einer autokratischen Präsidialdemokratie. Aus diesem — allerdings nur einem Franzosen verständlichen — Wortspiel ergab sich auch die Popularität der Geschichte von Schaf und Räuber, die im März 1977 in der frisch gegründeten Le Matin de Paris ihren Anfang nahm. Die klare, dramaturgische Staffelung des Figurenensembles in Le Baron Noir wird im Finale eines jeden Strips von der Lamorianz des vent parisien umhüllt, jenes als Pariser Wind bezeichneten Luftzuges, der die politische Satire in der Karikatur, beispielsweise der Wochenzeitschrift Le Canard enchainé, von allzu hartleibigem politischen Bekennertum entkleidet.

Bevorzugt Claire Bretecher den Disput und die Statik geringer Intervalle zwischen den einzelnen Bildern, gibt es bei Wolinksi den zitatreichen Dialog und bei Ungerer das hintergründige Einzelbild, so ist Yves Got sicher der comicspezifischste aller aktuellen französischen Strip-Zeichner. Seine Anschnitte und Kamerafahrten sind stark filmischer Natur. Die Gestaltung der Geschichte immer eine Form der Bewegung. Dominiert bei Ungerer das Bild und bei Bretecher das Wort, so haben Got/Pétillon ihre spezifische Synthese gefunden, die sich auf beiden Gestaltungsebenen spartanisch einander bedingt.

An der Visual Art School of New York, wo er von 1957 bis 1959 studierte, zählte Yves Got den Tarzan-Zeichner Burne Hogarth im Fach Anatomie zu seinen Lehrern. Unter dem Pionier des neuen französischen Comics, Henri Fillipini, wirkte er in der Nullnummer des Magazins Underground Comics mit. Auch Réne Pétillon, 1945 geboren, hat seine Spuren im französichen Comicgeschäft hinterlassen. Neben Le Baron Noir kann er den Großen Comicpreis 1988 des Comic-Mekkas Angoulème und seinen Detektiv Jack Palmer zu den Erfolgen rechnen.

Die Ausstellung »Der Schwarze Baron« im Französischen Kulturzentrum, Unter den Linden, Berlin-Mitte, ist bis 17.1. geöffnet. Dominique Paillarse, der die erste internationale Comicausstellung in der DDR (1988) initiierte, gab hierzu einen Katalogband heraus, der erstmals Yves Got und seinen Le Baron Noir in deutscher Sprache vorstellt. Volker Handloik

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