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Kleine Plastiktragödien

■ Gió di Sera in der Arndtstraße

Vernünftig ist es allerdings, »Recycling« nicht in Kästen zu denken oder in großen graugrünen Tonnen, hier Blech, dort Plastik oder Papier, weiter hinten dann Flaschen. »Wieder in den Kreislauf aufnehmen«: viel faszinierender wird an dieser Vorstellung der ganze Ewigkeitswahn, dieses postnietzscheanische, kryptograekophile »Wiederkehr des Gleiche« - Mutieren im Denken. Da war was vergessen, lag 20 Jahre auf dem Eis der Erinnerungen, im Wunderblock festgeschrieben, und dann zack — wird es wieder integriert in Denken, Tun, Geist und Welt. Gió di Sera versucht, sich mit engelhafter Unschuldsmiene ein Erinnerungsmenu aus der Knabenzeit der 70er Jahre zusammenzustellen und mit der Wucht des »So war es — so wollte ich es« als Kunstwerk an die Galeriewand gepinnt zu bannen.

Aussortierte kleine Kaugummisammelfiguren, viele, viele vergammelte Plastiksoldatenfigürchen und jede Menge Buchstaben aus dem Ministeckkoffer wimmeln die Hintergründe seiner Objektkästchen voll. Vorn erscheint aus allerlei Abfall ein Szenario aus Hochhauskulissen und kleinen dramatisch verkitschte Tragödien aus dem Spielzeugland. King Kong hält die weiße Frau fest in der stecknadelkopfgroßen Pranke.

In den Titeln erklingt das naive Ungestüm des Laiensituationisten, der Ceaucescu, den heiligen Sebastian oder sich selbst ins Werk zitiert. Doch die Verwendung der verschiedensten Abfallprodukte ist nur oberflächlich angewandter Umweltschutz, der sich der Wiederverwertung verschreibt. Umgewertet erscheinen die Bruchreste von Autoverkleidungen, Fernseh- und Radioapparaturen oder Haushaltsgeräten: Mit dem pelzigen, abgewetzten Erscheinungsbild der Gegenstände geht ein Resakralisierungsinteresse einher. Unpraktischer Schnickschnack wird reliquienhaft in oftmals religiöse Kontexte eingebettet, immer wieder erscheint ein kleines Kreuz, ein Jesusamulett oder sonstwas Geweihtes.

In dieser Wiederverwertung wird vieles einer christlichen Weihe unterzogen, bei der Kitsch und Kult zusammenfallen. Im Miniknabenhirn war es vielleicht ein Staunen, das früher das Zusammenspiel von Kirchgang und Spielzeugwelt begleitete. In den Erinnerungsbauten verwächst der unreflektierte Verbund des geopferten Soldatenmännleins mit dem Plastikmonster und dem Christusbildchen zu einer wirren Kunstschöpfung. Nicht allein das schillernd Schrille steht ihr ins Gesicht geschrieben, sondern ebenso als still gestelltes Bild das Beharren auf der jugendhaften Idylle. Ein wenig mehr als nachträgliches Entzücken ob der bunten Welt der Knabenjahre darf es das nächste Mal schon ein. Harald Fricke

»Recycled time« von Gió di Sera noch bis 16.12.; Do-So 14-18 Uhr in der Galerie Arndtstraße, ebendortselbst Nr. 26, 1-61

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