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Halberstadt — von der Abrißschneise zur Modellstadt

Die ehemalige Bischofsstadt in Sachsen-Anhalt wurde vom Bundesbauministerium als Lernwerkstatt der Stadterneuerung ausgewählt  ■ Aus Halberstadt Eva Schweitzer

„Das war ein Verbrechen“, empört sich die junge Frau und deutet auf die grauen Häuser Marke „Platte“. „Hier standen noch bis 1985 alte Fachwerkhäuser, die wurden alle abgerissen.“ Nur ein paar davon sind stehengeblieben, windschief und in jammervollem Zustand. Halberstadt, die 1.200 Jahre alte, ehemalige Bischofsstadt in Sachsen-Anhalt, hat schon bessere Tage gesehen.

Die sollen nun wieder kommen. Halberstadt wurde zusammen mit vier anderen Städten — Meißen, Weimar, Brandenburg und Stralsund — vom Bundesbauministerium als Modellstadt der Stadterneuerung in der Ex-DDR auserkoren. 40 Millionen D-Mark stellte das Ministerium pro Stadt zur Verfügung, teils aus dem Reisedevisenfond, teils aus Städtebauförderungsmitteln, die 1990 für die ganze DDR eine Milliarde betrugen. In dem 47.000-Seelen- Ort Halberstadt soll neben der Sanierung der technischen Infrastruktur vor allem der Rest der mittelalterlichen Bausubstanz um den Dom gesichert werden. Dazu kommen weitere Gelder, damit die Kommune selbst die Bauleitplanung entwickeln kann — in der früheren DDR nicht üblich. Und um dieses Projekt vorzustellen, lud der Staatssekretär des Bundesbauministerium, Jürgen Echternach (CDU), eine Schar von JournalistInnen zur Städtetour ein.

In smoggetränkten Nieselregen, der auf Dauer Mörtel in Gips verwandelt, turnen Bauarbeiter auf den Dächern. Das Kopfsteinpflaster, unbequem, aber original erhalten, führt von einer Abrißschneise zur nächsten. Auf einer der innerstädtischen Freiflächen wird nun der Architektenwettbewerb „Europan“ veranstaltet. Am 8.April 1945 war die Stadt, Standort der kriegswichtigen Junkers-Flugzeugwerke, in Schutt und Asche gelegt worden. Ähnlich schlimm sei die Stadtzerstörung durch die SED-Politik gewesen, sind sich die neuen Städtväter einig.

„Nur 600 alte Gebäude haben wir noch, 300 wurden nach dem Krieg abgerissen“, sagt Baudezernent Rainer Schöne vom Neuen Forum. Die mittelalterliche Peterstreppe, die von der Unterstadt zum Dom führte, brach vor zwölf Jahren zusammen und wird erst jetzt wieder aufgebaut. Zu Füßen des gotischen Doms, dessen Bombenschäden noch nicht vollständig repariert wurden, liegt eine weitere Stadtbrache. „Das wurde noch letzten Winter abgerissen und ein Scheiterhaufen von Fachwerkbalken errichtet“, erzählt Kirchenmitarbeiter. Von der Synagoge — in Halberstadt war bis 1933 eine der größten jüdischen Gemeinden — sind nur noch die Fundamente übrig. Erst im April dieses Jahres verhängte die Stadt einen Abrißstopp.

Die meisten Probleme bereiten der Stadt ungeklärte Eigentumsfragen. Nach dem Einigungsvertrag dürfen frühere Eigentümer ihre Häuser zurückfordern. Etwa 1.500 Anträge auf Rückübertragung liegen vor, 12.000 Wohnungen hat die VEB Gebäudewirtschaft, 5.300 die Genossenschaft „Thomas Müntzer“. „Es gibt keine gesetzlichen Ausführungsbestimmungen dafür, was geschieht, wenn die Stadt oder ein Privatunternehmer in ein Haus investiert und das Haus an einen alten Eigentümer zurückgeht“, sagt Stadtverordnetenvorsteher Hinz. Deshalb traue sich niemand zu investieren, bislang würde nur die Wintersicherung der Häuser gemacht. Echternach bleibt unbeeindruckt. „Sanieren Sie doch einfach, trauen Sie sich“, sagt er. Interesse, sagt Hinze weiter, gebe es nur für Gewerbegrundstücke am Stadtrand, von denen schon welche verkauft seien. Wann die Eigentumsfrage geklärt wird, wisse niemand, denn das Amt für Liegenschaften sei noch im Aufbau, wie die ganze Verwaltung, entschuldigt sich Bürgermeister Gabriel (SPD).

Nicht nur westliche Gelder, auch westliches Know-how wurde nach Halberstadt importiert. Die niedersächsische landeseigene Stadterneuerungsgesellschaft „Nileg“ lernt die Halberstädter Verwaltung an. Der Rat der Stadt vor der Wende wollte den „Hag“, den ehemaligen Hauptauftraggeber in SED-Zeiten, als Sanierungsträger haben, erzählt Schöne, also genau die Leute, die die Abrisse zu verantworten hätten. Aber man habe den Hag aufgelöst. Wo die Leute jetzt seien? Schöne zuckt halb entschuldigend mit den Schultern. „Meist in der Verwaltung“, sagt er, und: „Wo sollen die denn hin? Die können sich doch nicht in Luft auflösen.“

Auch die Verwaltung hat Westhilfe importiert: Die Dezernenten für Recht, Ordnung, Wirtschaft und Finanzen sowie der Rechtsamtsleiter kommen aus Niedersachsen. Selbstredend, daß auch niedersächsische Bauunternehmer hier tätig sind. Ehemalige DDR-Unternehmern oder von Westlern „geschluckte“ DDR- Unternehmen hätten aber inzwischen 85 Prozent der Aufträge, beruhigt Gabriel, obwohl das fast daran gescheitert wäre, daß die DDRler ihre Leistungen zunächst überteuert angeboten hatten.

Wegen des desolaten Zustands der Innenstadt galten deren Bewohner als „asozial“, wie Schöne sagt. „Nach einer Modernisierung werden hochwertige und teure Wohnungen die Altstadt salonfähig machen“, meint er. Jetzt zahlt der Halberstädter zwischen 35 und 100 D-Mark für seine Wohnung. Die Bundesmittel für die Stadtsanierung werden von der Stadt an die meist privaten Eigentümer vergeben, teils als Zuschüsse, teils als zinsverbilligte Kredite, die fünf Jahre tilgungsfrei sind. Mindestens 15 Prozent Eigenanteil muß der Eigentümer selber tragen. Die Mieten bleiben auf zehn Jahre gebunden und sollen sich „in etwa an dem orientieren, was in den neuen Ländern im sozialen Wohnungsbau genommen werden wird“, sagt Gabriel. Das ist vermutlich das Vierfache der heutigen Mieten.

Nach dem Rundgang können die JournalistInnen Fragen stellen. Wo denn die Bürgerinitiativen geblieben seien, will jemand wissen. Es habe „tüchtige junge Leute“ gegeben, die ein paar Häuser „im guten Sinne“ besetzt hätten, um sie vor dem Verfall zu retten. „Bitte nicht vergleichen mit der Mainzer Straße!“ sagt Hinz. Es habe damals „einen emotionalen Schub“ gegeben, aber nun seien ja die Nileg und das Bonner Geld da. Wie es mit den Stadtfinanzen aussehe? „Unsere wichtigste Einnahmequelle ist die Hundesteuer“, sagt Gabriel. Was die Stadt gegen die Wohnungsnot tue? Man wolle die 318 Wohnungen der VEB-Gebäudewirtschaft wieder herrichten, die völlig unbewohnbar seien, was allerdings 100.000 D-Mark pro Wohnung kosten werde, berichtet Gabriel. Was man dafür nachher an Miete zahle? Eine private Modernisierung dürfe mit elf Prozent pro Jahr umgelegt werden, erläutert Echternach. Also über tausend D-Mark monatlich pro Wohnung, rechnet jemand nach. Echternach wird ein wenig unwirsch. Schließlich sei damit auch eine Standardverbesserung verbunden, über die sich die Mieter freuen würden, meint er. Die Mieten im Bestand würden nur mit den Einkommen steigen. Im Durchschnitt. „Also“, hakt jemand nach, „wenn die Einkommen um zehn Prozent steigen, steigen die Mieten um zehn Prozent?“ So genau möchte sich Echternach da nicht festlegen.

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