Carepakete für Gorbatschow: Jetzt kommt der Onkel aus Germany
■ Die Hilfsaktionen für die UdSSR erinnern an die US-Spenden für Nachkriegsdeutschland/ Die UdSSR-Bürger sollen sehen, wer die wahren Freunde in der Not sind/ Noch herrscht Chaos bei den Helfern
Arbeitminister Norbert Blüm bekommt einen roten Kopf, so gerührt ist er: „Es war jedesmal wie Weihnachten, als bei uns zu Hause das Carepaket ankam. Erdnüsse, Milchpulver und Kokosnußbutter waren drin.“ Das Päckchen habe sein Onkel geschickt, der Frisör in New York war, erzählt Blüm den Bonner JournalistInnen. Die Hilfsorganisation „Care“, deren Kuratoriumsmitglied er heute ist, erinnere ihn immer noch „an den Onkel und an Amerika“.
Norbert Blüm, Kanzler Kohl, Michail Gorbatschow, der 'Stern‘ und das ZDF rufen gemeinsam auf, für Carepakete in die Sowjetunion zu spenden. Mit den Parolen „Laßt uns hilfreich sein“ und „Ein Herz für Rußland“ unterstützen 'Die Zeit‘ und 'Bild‘ die Aktion. Sechs Millionen haben die Bundesbürger für „Care“ bereits locker gemacht. Burda und 'Stern‘ spendeten jeweils eine halbe Million, Familienministerin Usula Lehr und der Berliner CDU-Vorsitzende Eberhard Diepgen (laut 'Bild‘) je 100 Mark.
Für das Geld werden in Hamburg die Pakete gepackt: Kaffee, Kakao, Schokolade, Reis, Dauerwurst und Dosenobst sind unter anderem drin — ungefähr dasselbe wie vor 45 Jahren in den amerikanischen Paketen. In 14 Tagen sollen die ersten 20.000 Carepakete mit Lastwagen in acht sowjetische Städte transportiert werden. Nach welchen Kriterien die Städte ausgewählt wurden? „Vorrang haben solche, die unter dem Zweiten Weltkrieg besonders gelitten haben“, sagt ein Vertreter von „Care“. Also Moskau, Leningrad, Kiew, Wolgograd, Minsk, Charkow, Smolensk und Brest. Für Norbert Blüm erfüllt sich in diesen Tagen „ein biblischer Traum — Schwerter zu Plugscharen“. Die Aktion sei ein Beitrag zur „Demokratisierung und Friedenssicherung“ in der Sowjetunion, denn: „Der Friede ist noch nie von einer Demokratie gefährdet worden.“ Und: „Wir exportieren nicht nur den Kapitalismus, sondern auch den Sozialstaat“, tönt der Arbeitsminister. Auch der außenpolitische Berater des Bundeskanzlers, Horst Teltschik, schwärmt von einer „riesigen Welle der Hilfsbereitschaft“ bei den Bundesbürgern. Die Deutschen hätten „jetzt die Chance, Freundschaften zu entwickeln in Richtung Verständigung und Aussöhnung“ mit den Sowjetbürgern, sagt Teltschik. „Denn die richtigen Freunde findet man in der Not.“
Trotz solch peinlicher Begleittöne ist „Careaktion“ wohl eine echte Hilfe für die Sowjetunion. Sinnvoller jedenfalls als Tausende von Päckchen, die von den Leuten selbst gefüllt, beim Roten Kreuz abgegeben werden. In Meckenheim bei Bonn sind zahlreiche HelferInnen nur damit beschäftigt, verdorbene Konserven und sinnlosen Kram herauszusortieren. Trotzdem konnte gestern bereits der erste Rot-Kreuz-Konvoi mit 5.000 Lebensmittelpaketen losfahren. Auch andere Organisationen rühren die Werbetrommel für Spendenaktionen: die katholische Caritas, der Reichsbund der Kriegs- und Wehrdienstopfer, die Arbeiterwohlfahrt in Zusammenarbeit mit der SPD und die evangelische Kirche.
In Bonn trafen sich gestern 19 Hilfswerke, um ihre Aktionen zu koordinieren. Dabei stellte sich heraus, daß einigen sowjetischen Städten von mehreren Organisationen, anderen wiederum von keiner einzigen geholfen wird. Die Vertreter der Werke vereinbarten, daß die großen Unternehmen die Hilfsgüter der kleineren „im Huckepackverfahren“ in die Sowjetunion mitnehmen werden. Sie raten allen Bundesbürgern davon ab, im Alleingang Päckchen zu schicken, da nur bei den organisierten Hilfstransporten gewährleistet wäre, daß die Sachen auch bei den Bedürftigen ankämen.
Horst Teltschik und Staatssekretär Jürgen Sudhoff vom Auswärtigen Amt versuchen zur Zeit etwas Ordnung in das Spendenchaos zu bringen. Sie koordinieren die Aktionen der privaten Hilfsorganisationen und der Bundesregierung. Neben den Berlinreserven — Nahrungsmittel im Wert von 500 Millionen Mark, die für den Kriegsfall in Berlin eingelagert wurden — spendet die Bundesregierung noch 28 Tonnen Einsatzverpflegung aus überflüssigen Bundeswehrbeständen. Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow hatte darum gebeten, die Deutschen möchten besonders die Region um Tschernobyl und den Aralsee unterstützen. Insgesamt würden 500.000 Tonnen Fleisch und 200.000 Tonnen Butter benötigt. Zum Vergleich: Allein die 60 Millionen Bundesbürger aßen 1987 fast fünf Millionen Tonnen Fleisch. Teltschik sagte seinen Gesprächspartnern in Moskau, ihre Wünsche könne die Bundesrepublik alleine nicht erfüllen. Er werde sich jedoch dafür einsetzen, daß die europäische Gemeinschaft der Sowjetunion helfe.
Teltschik warnt die Deutschen vor „historischen Vergleichen wie Luftbrücke Berlin und Winterhilfe“. Auch sollten die JournalistInnen die Bundeswehr nicht länger auffordern, Hilfstransporte in die Sowjetunion zu organisieren. Präsident Gorbatschow hatte ihm wohl klargemacht, daß er auf Hilfsdienste der Bundeswehr keinen Wert legt. Die Berlinreserve will er zum Beispiel mit der Eisenbahn selbst abholen lassen.
Die Bundeswehr hat indes den Transport von Hilfsgütern bereits bis ins Detail geplant. Sie wollte ihr Versorgungsschiff „Odenwald“ nach Leningrad schicken. „Ich kann mir aber auch vorstellen, daß ein sowjetischer Lkw die Sachen hier abholt — wir drängen uns nicht auf“, sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Bonn. Das Rote Kreuz hatte sich mit der Bitte an das Ministerium gewandt, Lastwagen aus NVA-Beständen zu verleihen. Die Hilfsgüter könnten, so ein Sprecher der Organisation, unter der Verantwortung des Roten Kreuzes innerhalb der Sowjetunion auch von Fahrzeugen der sowjetischen Armee und des KGB transportiert werden. Tina Stadlmayer
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