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■ NOCH 3316 TAGE BIS ZUM JAHR 2000Außergewöhnliche Leistungen

Für jeden Menschen gibt es irgendeine Spezialität, in der er die Nummer eins sein möchte. „Ich erreiche das mit meinen Stelzen“, so erklärt Seikichi Hirosawa, Busfahrer aus Kyoto, sein ebenso interessantes wie außergewöhnliches Hobby. Hirosawa läuft nicht einfach nur herum mit seinen Stelzen, nein, er erklimmt Berge mit den Dingern. Auf Bambusstelzen hat er bereits den Atogo bei Kyoto bestiegen, und die Spitze des Fujijama (3.776 Meter) hat er bereits 1980 erreicht. Jetzt ist Afrika dran. Mit stählernen Stelzen will der Japaner im nächsten Sommer den 5.893 Meter hohen Kilimandscharo in Tansania besteigen.

Die Spezialität des 23jährigen Sowjetbürgers Elchan Antipow sind Puppen. Er entwarf eine traditionelle russische Holzpuppe, eine Matrjoscha, in Gestalt des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow. Die kleinen Spielzeuge gingen weg wie nichts. Antipow verkaufte sie vorzugsweise an amerikanische Touristen für 60 Dollar das Stück. Doch dann mußte der tüchtige Geschäftsmann und talentierte Puppenbastler feststellen, daß es mit Glastnost noch nicht allzu weit her ist in seinem Land. Er wurde festgenommen und wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes angeklagt. Vor dem Volksgericht im Moskauer Stadtteil Kiewskaja mußte er sich verantworten. Dabei geriet er an den Staatsanwalt Waleri Kruglow, einen Mann mit dem Humor wie eine SS-20. Kruglow zog auch gleich das umstrittene „Gesetz zum Schutz der Ehre und Würde des Präsidenten vor vorsätzlicher Herabsetzung in unanständiger Form“ heran und forderte die Verurteilung des Angeklagten. In seinem Plädoyer erinnerte sich Kruglow an die Erfahrungen, die er in seiner Kindheit gemacht hatte: „Es war nicht üblich, Spott mit dem Namen des Dorfpopen zu treiben, selbst wenn dieser sich erlaubte, etwas zuviel zu trinken.“ Nach Angaben des humorlosen Staatsanwalts hatte es die Puppe in sich. „In einem entfernt an Michail Sergejewitsch (Gorbatschow) erinnernden Gesicht steckten in chronologischer Reihenfolge die Genossen Breschnew, Chruschtschow, Stalin und Lenin“, berichtete er empört.

Gott oder wem auch immer sei Dank mochte das Gericht der Argumentation des scharfen Staatsanwalts nicht folgen. Es verurteilte den Angeklagten aber trotzdem, weil dieser Dollar für seine Holzpuppen kassiert hatte. Antipow erhielt eine „dreijährige Freiheitsstrafe ohne anschließende Verbannung“, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Karl Wegmann

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