Walzwerk mit blutigem Handschuh

■ Wie eine Malerin bei Klöckner zwischen Männern und Maschinen arbeitet und sich trotzdem ihre Sicht der Dinge erhält

Wir stehen im Sitzungszimmer des Betriebsrats vor einem ihrer großen Ölbilder. Aus einem blau- metallfarbenen Menschenkörper wachsen eine Vielzahl von Köpfen und Hände, die schrauben, hämmern, auswechseln. Ihre schnellen Bewegungen sind in verwischten Linien eingefroren. Für die zentrale Reparaturkolonne des Werkes, die „Poolarbeiter“, gibt es diesen Streß jeden Tag. „Als die Arbeiter mein Bild gesehen haben“, erzählt die Malerin, „meinten viele: Ja genau das ist es, so fühlen wir uns“. Einigen ist es zu abstrakt gewesen.

Doris Lenkeit, 43 Jahre alt, arbeitet seit zweieinhalb Jahren als Malerin auf dem Gelände der Klöcknerwerke und sammelt Eindrücke. Was hatte sie sich damals vorgenommen? Eine Lücke in der Kunst zu schließen. „Die normale Maloche wird doch in der Malerei gar nicht wahrgenommen“, sagt sie. Außer in den 70er Jahren, wo Arbeiter mit großen Fäusten gemalt worden sind. „Aber so sind sie ja nicht.“ Agitation, das betont sie immer wieder, sollen ihre Bilder auf keinen Fall sein. „Ich möchte meine eigenen Eindrücke und das, was die Leute mir über ihre Gefühle erzählen, zusammenfassen.“

Als Doris Lenkeit zum ersten Mal eine Betriebsbesichtigung machte, war sie beeindruckt. „Das ist ja hier wie Afrika, dachte ich, ein richtiges Exotenland“. Ihr Entschluß stand fest: „Ich bleibe“. Den Vorschlag, einen Arbeitsraum im Verwaltungsgebäude zu übernehmen, lehnte sie jedoch ab. „Ich wollte von Anfang an in die Produktion und dort malen, wo die Leute arbeiten“.

Doris Lenkeit neben den Poolarbeitern aus der Klöckner-ReparaturkolonneFoto: Jörg Oberheide

Gleich zu Beginn ihrer ABM- Stelle zog sie in ein leerstehendes Zimmer in der „Kaue“ (Belegschaftshaus mit Umziehräumen) mitten auf dem Gelände. Um sie herum das Warm-und Kaltwalzwerk, „und dazwischen sitze ich“.

Später wurde die Möglichkeit, auf dem Gelände zu arbeiten, immer wieder verlängert. Finanziert wird ihre Arbeit jedoch nicht mehr. Klöckner hat offensichtlich

hierhin bitte

das Foto

von der Frau

neben Gemälde

mit Arbeitern

kein Interesse daran, Doris Lenkeit ganz zu übernehmen. Die Ölbilder, die sie während ihrer ABM-Zeit gemalt hat, sind Senatseigentum, wurden aber als Dauerleihgabe dem Betriebsrat überlassen. Heute lebt sie von 1.300 Mark Arbeitslosenunterstützung. Wie es weiter gehen soll, weiß sie noch nicht.

Wir stehen in ihrem kleinen Atelier und sehen auf die riesigen Schlote des Stahlwerkes. Dicke

weiße Schwaden ziehen um das Dach, aus einem der Schornsteine schießen ununterbrochen Flammen. Auch jetzt ist Doris Lenkeit noch begeistert von dem Anblick der Industrielandschaft. „Die Industrienatur an sich sagt schon unheimlich viel aus. Eigentlich brauchst du nichts anderes tun als hingucken und abmalen.“ Das hat sie getan, wenn auch nicht im wörtlichen Sinn. Ergebnis: Düstere Hochofenlandschaften im

Regen, graue Geisterwiesen und Schienen, die sich ins Unendliche strecken.

Auf dem Rückweg zum Verwaltungsgebäude werden wir immer wieder angehalten und begrüßt. Man kennt Doris Lenkeit inzwischen auf dem ganzen Gelände und scheint sie zu akzeptieren. Wie fühlt sie sich als Frau unter lauter Männern und Maschinen? Am Anfang sei es schwierig gewesen, erzählt sie. „Genauso exotisch wie die Welt hier für mich war ich auch für die Leute“. Vor zweieinhalb Jahren haben noch viele gedacht: was will die denn hier?

„Als das erste Bild fertig war (es entstand in der Flämmerei, wo die Oberfläche der Stahlplatten mit einem Flammenwerfer von Dreck und Unebenheiten gesäubert wird) fanden es die Leute dann doch gut, daß ich über ihre Arbeitssituation male und wollten Abzüge haben.“ Noch heute hängen diese ersten Versuche im Aufenthaltsraum der Halle. „Ich war ziemlich geschockt, als ich zum ersten Mal in der Flämmerei stand, denn ich wußte ja nicht, daß es noch so schwere Arbeit gibt.“ Mit jedem Bild und jeder Diskussion darüber wuchs das Vertrauen und die Selbstverständlichkeit, „daß ich dazu gehöre mit meinem Handwerk“.

Was ihr als Frau und als einer, die außerhalb der Produktion steht, aufgefallen ist: der Humanitätsverlust in „dieser Zwangsanstalt“. Das ganze Schichtsystem und die verordnete Disziplin „entwickelt sich gegen die Menschen“, sagt Doris Lenkeit. Aber das verdrängen die Männer offensichtlich, auch, daß sie oft an gefährlichen Arbeitsplätzen sitzen. „Einmal habe ich mit Kollegen über einen Unfall gesprochen, der zwei Monate zurücklag, und die hatten das schon vergessen“. Das Bild, das sie daraufhin malte (eine Schienenlandschaft mit blutigem Handschuh) löste dann aber erregte Diskussionen bis in die Geschäftsstelle aus. „Genau das will ich, daß die Leute anfangen nachzudenken.“ Birgit Ziegenhagen