Etwas zum Aufzeichnen

■ „Von deutschem Haß und deutscher Seele“, Do. 21.45 Uhr, West 3

Also ich kannte den Namen Julius Langbehn zumindest nicht. In seinem bis in die 30er Jahre hinein laufenden Bestseller Rembrandt als Erzieher nahm dieser kulturpessimistische, antisemitische Demagoge als Wunschvorstellung schlichtweg den Pogrom vorweg. Sein vor 100 Jahren erschienenes Buch, aus dem Axel Bornkessel in seiner Dokumentation reichlich zitiert und das Alexander Delarge aus Kubricks Uhrwerk Orange wohl anerkennend als „richtige Horrorshow“ bezeichnen würde, bündelte das sprachliche Rohmaterial, aus dem später unter anderem der Nationalsozialismus geschmiedet wurde.

Es gibt ja einige Leute, die um die Jahrhundertwende „interessante“ Dinge formuliert haben. Zum Beispiel Daniel Paul Schreber (dessen Vater wir diese hübschen Gärten zu verdanken haben) mit seinen „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ (von Fachleuten ungern gelesen, weil Schreber Schizophrenie als Wissenschaft betreibt). Oder Otto Weiningers sexistische Neutronenbombe „Geschlecht und Charakter“ (heute noch ein Kultbuch, nicht nur unter FeministInnen). Doch Langbehns imperialistische Schollenmystik, seine systematisch irrationale Verzerrung und Verunglimpfung alles Städtischen, seine perfiden Sigfried-Arien und seine vehemente Verdammung der 1895 wieder zugelassenen Sozialdemokraten sind unüberbietbar. Bismark meinte, Langbehn schreibe „wie mit Keulen“; es würde mich nicht wundern, wenn ein gewisser A. Schickelgruber in seinem Mein Kampf Passagen einfach abgeschrieben hätte. Fürwahr eine Entdeckung.

Bornkessels Dokumentation ist etwas zum Aufzeichnen, so etwas gibt es wirklich nicht alle Tage. Die Form der Darstellung ist zwar manchmal etwas zu moderat. Dieses Nachstellen von halb-fiktiven Szenen (Langbehn am Schreibtisch, über dem Bild von Rembrandt meditierend) buhlt um Zuschauer, die nicht so lange zuhören möchten und durch das Bildhafte zwischendurch immer mal „belohnt“ werden. Das hätte man angesichts des brisanten Themas ruhig etwas krasser gestalten können. Etwa „Traumszenen“, in denen der selbsternannte Prophet Langbehn als Bhagwan-Guru auftritt. Langbehns fokusierter Haß gegen Aufklärung, liberale Ideen und Wissenschaft findet in gewisser Weise schon ihre Fortsetzung in dieser zum Managertraining rationalisierten, Authentizitäts-hysterischen Idee der „Neuen Innerlichkeit“, bei der auch alles nur noch „empfunden“ und nicht mehr gedacht wird. Würde man Langbehns völkischen Hochmut stilistisch etwas aktualisieren, wer weiß, vielleicht würde seine Schrift heute die ideale Hetze gegen Asylanten und ausländische Arbeiter abgeben.

Bornkessels Dokumentation regt die grauen Zellen an. Und das kann man wahrlich nicht von jedem Fernsehfilm sagen. Das habe ich auch einem Freund hinterher am Stammtisch erzählt und wir haben über seine völkischen Theorien diskutiert, bis wir vollkommen besoffen waren. Langbehn haßte übrigens alle Biertrinker („Öffentliche Bäder statt Kneipen!“) — und er haßte Zugluft. Manfred Riepe