„Unfruchtbarkeit wird zur Tragödie hochgespielt“

■ Cynthia Pearson von dem „National Women's Health Network“, einer Frauengesundheitsorganisation in Washington verurteilt die Leihmutterschaft INTERVIEW

taz: Das „National Women's Health Network“ ist eine feministische Frauengesundheitsorganisation. Wie stehen Sie zur Leihmutterschaft?

Cynthia Pearson: Wir verurteilen jede kommerzielle Nutzung der Leihmutterschaft. Als Feministinnen sind wir gegen Leihmutterschaft, weil sie die soziale Beziehung zwischen einer Frau und dem Kind, das sie austrägt, in Frage stellt. Unabhängig davon, wo das Ei oder der Fötus herkommen, ob der Fötus das Produkt einer Reagenzglasbefruchtung oder einer künstlichen Befruchtung ist, diese soziale Beziehung muß Priorität haben. Kein Vertrag, wie er im Rahmen einer kommerziellen Leihmutterschaft eingegangen wird, darf sie in Frage stellen.

Sie betonen „kommerzielle“ Leihmutterschaft. Sie wenden sich also nicht gegen alle Formen der Leihmutterschaft?

Wenn sich eine Frau entscheidet, für ein unfruchtbares befreundetes oder verwandtes Paar ein Kind auszutragen, ist das ihre Sache. Dafür gibt es Adoptionsgesetze. Finanzielle Anreize, Leihmutter zu werden, gibt es nicht. Und sie hat das Recht, es sich nach der Geburt des Kindes anders zu überlegen und das Kind zu behalten. Ich gebe zu, auch ohne finanzielle Anreize besteht noch Gefahr, daß Frauen in machtloseren Positionen — gesellschaftlich und finanziell — als Leihmütter ausgebeutet werden. Doch zumindest gesetzlich behält die Frau ihr Elternrecht für das Kind, das sie zur Welt bringt.

Ist die Unfruchtbarkeit tatsächlich so weitverbreitet? Und warum heute mehr als früher?

Unfruchtbarkeit tritt heute öfters als früher auf, weil viele Frauen bleibende Schäden durch die Verwendung von Intrauterinpessaren erlitten. Die Pessare verursachen Unterleibserkrankungen, die oft zur Unfruchtbarkeit führen. Ebenso trägt die weite Verbreitung von Gonorrhoe zur Unfruchtbarkeit bei, weil sie zur Vernarbung der Eileiter führen kann. Andererseits wird oft übersehen, daß in fast der Hälfte aller Fälle, der Mann keine Kinder zeugen kann. Die Reaktion in den Medien und so weiter bestätigt die existierenden Machtstrukturen. Sie verbreiten traurige Geschichten über Paare, die keine eigenen Kinder bekommen können, so daß Unfruchtbarkeit zu einer Tragödie allerersten Ranges hochgespielt wird. So geraten Frauen unter Druck, jede nur mögliche Technologie zu akzeptieren, um schwanger zu werden. Sie verbringen vier, sechs, elf Jahre ihres Lebens, um zu genetisch verwandtem Nachwuchs zu kommen. Auf der Strecke bleibt die kritische Analyse der neuen Technologien.

Sie haben sich gründlich mit möglichen gesundheitlichen Nebenwirkungen der Reproduktionstechnologien beschäftigt.

Frauen werden im Rahmen der Eingriffe mit hohen Konzentrationen synthetischer Hormone behandelt. Mittels Hormonen wird der Zyklus reguliert und in die Ovulation eingegriffen, damit mehr Eier zum Eisprung gelangen. Wir wissen, daß manche synthetische Steroide, — zwar nicht speziell die am häufigsten verwandten Schwangerschaftshormone —, die Blutzuckerregelung stören, die Neigung zur Bildung von Blutgerinnseln erhöhen und so weiter. Wir haben nicht die geringste Ahnung von den Langzeitwirkungen dieser Behandlungen. Außerdem wissen wir nicht, was die Folgen für die Kinder sind, die mit Hilfe dieser Hormongaben gezeugt werden. Dies, obwohl wir in dieser Hinsicht einen tragischen Präzedenzfall haben: Frauen, die in den fünfziger und sechziger Jahren während der Schwangerschaft mit dem Hormon DES behandelt wurden, brachten Mädchen zur Welt, deren Fortpflanzungsorgane geschädigt sind. Diese Frauen sind unfruchtbar oder haben Komplikationen während der Schwangerschaft, und sie erkranken vermehrt an Unterleibskrebs. Das alles stellte sich natürlich erst heraus, nachdem die Mädchen ihre Pubertät hinter sich brachten. Das älteste In-vitro-Baby, Louise Brown, ist heute elf Jahre alt. Wir wissen nicht, was sie und die tausenden jüngeren In-vitro-Kinder, die dank extremer hormonaler Manipulationen zur Welt kamen, nach der Pubertät erwarten wird. Jede Frau, die einen dieser Eingriffe ins Auge faßt, um Kinder zu kriegen, sollte diese Risiken sehr ernst nehmen. Interview: Silvia Sanides