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Den Tyrannenmord üben

■ »Es ist kalt in Brandenburg (Hitler töten)« — ein Film nicht nur über einen gescheiterten Attentäter im Regenbogenkino

Der 22jährige Schweizer Missionsschüler Maurice Bavaud wollte Hitler töten. 1938 folgt er dem Führer; von NeuchÛtel nach Berlin, von Berlin nach Berchtesgaden, von Berchtesgaden nach München. Mit gefälschten Papieren versucht er vorgelassen zu werden und wird abgewiesen. Der Versuch, Hitler während des SA-Gedenkmarsches am 9. November in München zu töten, scheitert. Er kommt dem Diktator am Gedenktag des zunächst gescheiterten faschistischen Putsches, obgleich er auf der Ehrentribüne sitzt, nicht nahe genug, um ihn mit seiner kleinkalibrigen Pistole erschießen zu können. Der Einzelgänger Bavaud gibt auf, weil er kein Geld mehr hat. Im D-Zug München-Paris wird er ohne Fahrkarte aufgegriffen und der Gestapo überstellt. Man findet gefälschte Papiere und die Pistole. Ein Geständnis wird erpreßt. Er wird zum Tode verurteilt. Im Mai 1941 wird er in Plötzensee hingerichtet.

1955 wird der Prozeß in einem Wiedergutmachungsverfahren wiederaufgenommen, das die Schweizer Eidgenossenschaft angestrengt hatte, nachdem deren Berliner Vertreter Frölicher vor Bavauds Hinrichtung keinen Finger für den Attentäter gerührt hatte. Das Landgericht Berlin entschied zehn Jahre nach dem Selbstmord Hitlers, das Leben des Diktators »als geschütztes Rechtsgut anzuerkennen«. »Maßnahmen«, d.h. Tyrannenmord, hätten nur von »verantwortungsbewußten, ideentragenden Personenkreisen« getroffen werden dürfen. Allerdings sei das Strafmaß zu hoch ausgefallen — man entschied sich, den toten Bavaud auf fünf Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Verlust der Bürgerrechte zu verurteilen. So entging man zunächst der Zahlung einer Abfindungssumme. Um gutnachbarliche Beziehungen mit der Schweiz zu wahren und um Aufsehen in der Öffentlichkeit zu vermeiden, wurde das Urteil 1956 revidiert: Es habe »noch keine unmittelbare Verwirklichung seines Ziels der Tötung Hitlers« vorgelegen, heißt es dazu in der Begründung. Der Familie Bavauds wurde eine Abfindung von 40.000 Franken überwiesen. Mit dem Erhalt der Summe mußten die Familienmitglieder eine Erklärung unterschreiben, in der sie versichern, daß sie nun keine Ansprüche mehr geltend machen werden und daß sie »die Angelegenheit »als definitiv liquidiert« betrachten.

1978-1980 sind die Schweizer Filmemacher Villi Hermann, Niklaus Meienberg und Hans Stürm »mit der Kamera bewaffnet« dem 22jährigen Schweizer Missionsschüler Maurice Bavaud nachgereist, »welcher mit der Pistole bewaffnet war und einem Diktator nachgereist ist«.

Der zweieinhalbstündige Film Es ist kalt in Brandenburg (Hitler töten), der dabei entstanden ist, will nach dem Selbstverständnis der Macher kein Dokumentarfilm sein, »mit scheinbar unparteiischem, alles wissendem Kommentar«. Der Film sucht aktuelle Bezüge und will getragen sein von der subjektiven Erfahrung der Autoren. So führt man einen Schauspieler ein, der die Rolle von Maurice Bavaud übernimmt, ohne ihn zu spielen, denn es ist kein Spielfilm. Roger Jendly, nachdenklich ein wenig wie Achternbusch, mit französischem Akzent, ist der Spurensucher, der Verwandte oder Verantwortliche, der Zeitzeugen befragt; ist die Stimme, die Gefängnisbriefe Bavauds zitiert. Jendly stellt Szenen nach; kauft noch einmal, in Bern, die gleiche Pistole beim Sohn des Waffenhändlers, der sie Bavaud verkaufte, macht Schießübungen auf dem Ammersee; wiederholt den Weg des Schweizers im Auto oder mit der Bahn, stellt sich vor großformatige Fotos des Volksgerichtshofs.

Der Film — durchgängig in Schwarzweiß gehalten — beginnt mit Briefen aus der Todeszelle und endet auch dort. Seine Subjektivität besteht zum einen in Weitwinkelaufnahmen; manchmal fast anstößig nachdenkliche Bilder von Schießübungen auf dem Ammersee, von schwarzen Berliner Häuserschluchten, von der bretonischen Klosterkirche, in der der Schweizer Missionsschüler betete, von tristen Autobahnfahrten im Schneeregen, zum anderen in der Cello-Musik von Frank Wolff. Auseinandersetzungen mit der deutschen und der eigenen Geschichte, die »verdrängt und totgesagt, fort und fort, die den deutschen Herbst 77 bannte und auf dem Oktoberfest mitten im gespenstischen Wahlkampf von 1980 explodierte. Solche Erfahrungen habe ich in Musik gesetzt.« Doch es sind gerade diese subjektiven Faktoren, die den Film (zumindest teilweise und vielleicht auch erst 1990) behindern: Wenn das Cello, »zerrissen und gehaucht« Mein Deutschlandlied intoniert und »im Niemandsland zwischen Geräusch und Musik« auch noch »was anderes« passiert (Wolff), wenn Jimi Hendrix oder Cream traurig verloren, betont karg und zurückhaltend daherkommen, wenn einen über die Hälfte des Films, melancholischstrenge Weitwinkelbilder einsaugen, versickert der Film in der narzistischen Betroffenheit seiner Zuschauer, zumal die formlose Emotion und nicht die eigene Geschichte den Gegenwartsbezug herzustellen sucht. Eine Ungenauigkeit, die bis in die skandalöse Formulierung vom »Hitler in uns« wirkt, den wir bekämpfen müßten. Diese Formulierung findet sich allerdings nicht im Film, sondern in einem Text der 'Frankfurter Rundschau‘ über den Film.

Das ist jedoch nur ein Teil, mit dem allerdings einiges an Möglichkeiten verschenkt wird: der Film funktioniert da, wo er den Spuren Bavauds nachgeht, wo er in Gesprächen unterschiedliche Tiefen der Gegenwart von Vergangenheit deutlich machen kann. Die Geschwister von Bavaud können ruhig von ihrem Bruder erzählen, während der, der in Plötzensee damals dafür zuständig war, die Gefangenen zu rasieren, unter dem Ansturm der Erinnerung am gleichen Ort zu weinen beginnt. Die Passage, in der er den ehemaligen Bundespräsidenten und Ex-Nazi Carstens als Ex-Nazi beschimpft, wurde vom ZDF bei der Ausstrahlung des Films 1981 geschnitten.

Ein wirklicher Gegenwartsbezug wird da aufgespürt, wo an den Rändern der Geschichtsspuren »das Volk« befragt wird und sich eine Mischung zeigt aus antistaatlicher Renitenz und völkischem Fremdenhaß und wo diese Passagen in ihrer Ambivalenz unkommentiert übernommen werden; wo ein »kleiner Hitler« am Nebentisch in Berchtesgaden sitzt und zur Karnevalszeit immer den Arm hochreißt. Der Volksschauspieler erzählt, daß er mit seiner Rolle schon bei den amerikanischen Soldaten große Heiterkeit hervorgerufen habe. Sonst ist er Feinkostladenbesitzer und wünscht sich auch wieder einen »kleinen Hitler« in einem »kleinen Deutschland«.

Und noch an anderen Stellen bricht die Gegenwart durch: Neben dem faschistischen Gefängnis Plötzensee steht mittlerweile ein Hochsicherheitstrakt. Erschreckender als die Terroristenfahndungsfotos in der Jugendstrafanstalt Plötzensee oder im Münchener Bürgerbräukeller, bezeichnender als die Berliner NS- Aktensammlung, die unter Aufsicht der Amerikaner und aus politischen Gründen nie freigegeben wurde, sind die erdrückenden Faschingsfreuden oder ist ein Schild in den unterirdischen Gängen von Hitlers Berghof am Obersalzberg, das die Besucher darauf aufmerksam macht, daß das »Verunstalten der Wände« zur Anzeige gebracht wird.

Was im Film manchmal zu leicht untergeht und vielleicht nicht darzustellen ist, gelingt im dazugehörigen und dennoch eigenständigen Buch von Niklaus Meienberg; nicht nur weil Fakten und Zahlen sich über die Schrift besser im eigenen Kopf festsetzen können, sondern vor allem weil sich die Subjektivität oder die gegenwärtige Geschichte hier zumindest genauer wiedergeben läßt, ohne ins Diffuse abzudriften. Detlef Kuhlbrodt

Es ist kalt in Brandenburg (Hitler töten) läuft heute und morgen und am Sonntag jeweils um 20.30 Uhr im Regenbogenkino, Lausitzer Straße 22, Berlin 36. Das Buch von Niklaus Meienberg ist im Wagenbach Verlag erschienen.

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