: Tagesgurke zum Liebhaben
■ Neu - alte Abziehbilder von Meisterstein bei Voller Ernst
Da hängen sie nun, die Originale, die jeder kennt: die staubsaugende Gasmaske mit Hausfrau dran, der Sandwichzermalmer im Mattscheibengespräch, die Fönfrau in Airbrushzahnbürstenformat. Allerdings erinnert letzteres Meisterstein-Werk, dessen breite Streuwirkung ein geschickt in der Ausstellung ausgelegtes Faltblatt verkündet (und realpoetisch von verstorbener Bewegung zeugt: taz, Ran, Vorwärts, Konkret, Spontan, Pardon...), verdächtig an die letztgültige Pepsicolawerbung, in der nicht nur Lockenpracht, sondern die ganze Frau hexengleich und pepsikoffertragend die Schwerkraft überwindet. Oder war's schon wieder der Meister selbst?
Die Meistersteine gliedern sich in zwei Abteilungen: die kolorierten Schnappschüsse und die komischen Alltage. Unter erstere fallen beispielsweise zwei Landfrauen sozialdemokratischer Prägung, deren jägergrüne Visagen mit den knetgelben Haaren und giftgrünen Blusen Ton in Ton harmonieren und deren blutiges Zahnfleisch beim Lächeln ineinanderläuft. Ein blondgepinselter, blauäugiger Hitler wird nur von einem blixableichen Bohemien mit grün geschwollenen Lidern übertroffen, sein zarter Hals ragt aus dem Kippenhügel. Drunter trägt er nix. Werke der zweiten Abteilung sind, scheint es, arbeitsintensiver, was die Herstellung betrifft. Schließlich mußten dafür Käthe Bes und andere Modellierer eingekauft, drapiert und Requisiten beschafft werden: Bierdosen, Zeitungen, Fernseher, Bücher... Geheimnisvolle Fototricks verbergen sich, wenn aus der Hemdenbrustpackung, auf Marmor ausgelegt, ein nackter Männerkopf ragt, eine Jungfer ohne Unterleib. Und aus einem aufgeschlagenen Buch fallen gar alle Buchstaben ins Kunstfoto hinein oder heraus, je nach Standort. Ein kritischer Beitrag zur Relevanz der Intelligenz?
Manches kommt authentisch übertrieben daher. Beispielsweise die riesigen Küchenschaben (aus Michelingummi, über Otto-Versand?) vor abgefuckter Fabrik, besprüht von einem Norm-Feuerlöscher in der Hand eines tapferen Drachentöters. Ähnlich verzweifelt das Bild des wannenbadenden Jungmanns, der sich eine Kakerlake aus der Schaumkrone zieht. Aber hier wird's auch schon eklig. Man stelle sich vor: Der arbeitslose Tarifbrecher Alois W. sitzt für eine Pauschalgage seit Stunden im kalten Wasser, die Haut ringelt sich lustig an den Kuppen, und immer noch ist nicht die richtige Einstellung zur Welt gefunden: »Nein, du mußt die Kakerlake zwischen zwei Finger nehmen, so, verdammt, wie oft soll ich dir's noch zeigen, und jetzt in die Kamera schauen...!«
Ein Meisterwerk findet sich schließlich doch noch. Glitschig grüne Gurke auf wolkenblauem Grund, zwei Ärmchen und zwei Beinchen recken sich vertrauensvoll in die Welt. Eine embryonale Attacke, ein frauenfeindlicher Affront gegen die Eigentumsbäuchlerinnen? Eine Tagesgurke zum Liebhaben? Ein Wachsmolch bleu, zart gewässert und deftig gesalzen? Wie auch immer, dies Bild macht Appetit auf mehr. Dorothee Hackenberg
Meisterstein bei Voller Ernst, bis 3.2.1991 in Schöneberg, Innsbrucker Straße 37, Dienstag bis Sonntag 12-19 Uhr.
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