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Nachrufe zu Lebzeiten

■ Chefs, portraitiert von Nina G.

Nina hat zwölf tolle Männer kennengelernt, und das ohne Kontaktanzeige. Sie sind kerngesund, bodenständig und bescheiden, kurz: gewinnend, voller gesellschaftlichen Feingefühls, sie sind freimütig, klar, geradlinig, weitblickend, diplomatisch, vorsichtig, ohne Allüren, in Krisen hellwach und konzentriert, ihr Stil ist persönlich, ihrGestaltungswille enorm, sie haben Charme und Ernsthaftigkeit. Sie sind allesamt feine Menschen, denn trotz dieser Vorzüge sind sie überhaupt nicht kokett. Wenn es ganz dicke kommt, dann wird einer schwierig, ein einsamer König, oder auch ein absoluter Monarch. Aber schlimmer wird es nie, zumal sie mit den Jahren, trotz ihrer Herrschernatur, milder, gelassener, auch amüsierter werden. Sie sind allesamt um die sechzig, also leider nicht mehr taufrisch, aber sie verdienen nicht schlecht. Über eine Million Jahresgehalt, diverse Bezüge, die ihr Einkommen gar verdoppeln oder verdreifachen, nicht gerechnet. Trotzdem bleiben sie auch in dieser Hinsicht souverän und vor allem bescheiden, weil man das Geld nicht ausgeben kann — wohin auch damit, bei so viel Zurückhaltung, Bescheidenheit, Ernsthaftigkeit, Pflichtgefühl? Es sind allesamt feine Menschen und tolle Männer, und das ist kein Wunder, denn sie sind nun einmal Manager nach Maß.

Nina ist froh darüber, sie kennengelernt zu haben. Sie wollte sie von Anfang an nicht heiraten, sondern nur interviewen: um zu wissen, was das für Menschen sind, die Chefs. Und sie hat es herausgefunden, obwohl sie nicht gern über sich selbst sprechen. Und das ist vielleicht auch gut so, denn was dabei herauskommt, raubt nicht immer den Atem, selbst Nina nicht. So sagt der eine zum Beispiel, in Europa empfände er keine großen nationalen Unterschiede mehr. Sicherlich, in Frankreich spricht man französisch... Aber objektive Wahrheiten, das wußte bereits Austin, sind nun mal meist idiotische Sätze. Und auf etwas anderes als objektive Wahrheiten lassen sich die Chefs nicht gerne ein, Unwägbarkeiten sind ihre Sache nicht. Oben angelangt ist derjenige, der die Wenn und die Aber, die der Zweifel eingibt, am besten abblocken konnte. Was sie so attraktiv macht, ist nicht zuletzt ihr Weltbürgertum, ihreInternationalität. Wie haben wir uns die vorzustellen? Nicht mehr als blasse Abstraktion, sondern als gelebtes Leben: Ihre Kinder sind in Frankreich zur Schule gegangen, ihre Frauen haben in Amerika eingekauft, die Männer haben in Indien Autos zugelassen. Kurz: Sie versetzen Grenzen, sie bauen Europa um, sie sind schon Weltbürger geworden.

Was hat das alles mit Nina zu tun? Hat es ihr Weltbild vielleicht erschüttert? Das kann man so nicht sagen, denn im Grunde mag sie die Eroberer. Auf ihren Reisen haben sie viel Zeit, um sich kennenzulernen „und alle Länder durchzusprechen“, sie sind von Natur aus neugierig und immer aufnahmebereit und in der Regel Optimisten, die tatendurstig in die Zukunft sehen. So wie ihr aller und auch Ninas Vorbild, der legendäre Herr Abs, verbinden die Herren, sogar auf ihren nimmermüden Fahrten, deutsche Solidität und nonchalante Weltläufigkeit. So rief einer dieser „Weltbürger der Geschäftswelt“ (Helmut Schmidt), der nicht pünktlich zu Hause sein konnte, seine Frau aus dem Auto an. „Wir haben es den Japanern wieder mal gezeigt“, sagte er ihr als erstes und fragte dann locker und beiläufig: Hatte wenigstens sie ihn im Fernsehen bewundert? Du meine Güte, sie hatte den Weißen Hai gesehen, nicht ihren Mann. Und der lachte sich halbtot, als er das hörte. Ja, so ist das mit der Internationalität, wenn man viel arbeitet: Auch über die fünf Jahre, die er anschließend noch einmal in Paris verbrachte, fällt ihm nicht viel ein. Bekannt ist nur, daß die französische Küche ihren Eindruck auf ihn verfehlt hat. Bis heute blieben Spaghetti sein Leibgericht. „Ich tue so“, sagt der Kollege des Spaghettiliebhabers, „als ob ich bis zum Jahre 2020 den ganzen Mist noch wegschaufle. So wie ich nach Spanien gegangen bin und nach China, so gehe ich jetzt in die DDR“. Ein Tor, wer da nicht an die größten Vorbilder denkt. Nina tut das sofort, sie hat für ihre Apostel der regsamen Tätigkeit den passenden Vergleich sogleich zur hand: Die zwölf Konzernherren, die in der 'Zeit‘-Serie „Die Chefs“ vorgestellt werden, ...sind die Abeitegeber von 1,5 Millionen Menschen — ein Heer, das fast drei mal so groß ist wie jenes, das Napoleon nach Rußland führte. Dausend! Solche Männer braucht das Land — solche, bei denen der Bundeskanzler Kohl Entspannung sucht und deren Intelligenz, Klarheit und Solidität, gepaart mit common sense, auch dann nicht verloren geht, wenn die Macht dem Menschen zu schaffen macht: Sollte ihn dennoch mitunter die Einsamkeit des Feldherrn überfallen, so läßt er es nicht merken. Dabei dirigiert auch dieser ein Weltreich — „er dominiert es“, sagen gute Beobachter — vor dessen Ausdehnung Karl V. erblassen würde. Doch das belastet ihn nicht. Nur manchmal werden sie traurig, die Weltbürger der Wirtschaft, die ernst und bescheiden ihrem Tagwerk nachgehen, im Streben nach Vollkommenheit: Das Motiv des „Mächtigen im Opfergang“ ruft ihn an. Er sieht, beobachtete jemand, Macht als schwere, verpflichtende Last an, die jemand auf sich nimmt, um die Welt nicht untergehen zu lassen.

Da sei Gott vor. „In dieser Hinsicht stimmen uns Nina Grunenbergs Portraits zuversichtlich“, meint auch der Alt-Bundeskanzler. Solange es Journalistinnen wie Nina gibt, wird diese Welt nicht untergehen — und erst recht nicht die 'Zeit‘. Elke Schmitter

Nina Grunenberg: Die Chefs. Zwölf Portraits aus den Führungsetagen großer Unternehmen. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt. Bouvier Verlag, 167 Seiten, 32 DM.

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