piwik no script img

Von Hofheim nach Samarra — Deutsche Gaskammern für Irak

Eine deutsche Firma lieferte „Inhalationssysteme“ für Tierversuche in den Irak/ Hinter der harmlosen Bezeichnung verbergen sich Gaskammern/ Weil der Bedarf der für Tierversuche gedachten Anlagen rapide sinkt, ist die Firma inzwischen pleite/ Geschäftsführer verschwunden  ■ Von Henryk M. Broder

Berlin (taz) — In der Kleinstadt Hofheim im Taunus sitzt die Firma Rhema Labortechnik. Vielmehr, sie saß dort, denn im Dezember 1989, vor genau einem Jahr also, wurde aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Frankfurt ein Konkursverfahren über die Rhema Labortechnik eröffnet. Im März dieses Jahres fand eine Versteigerung der beweglichen und verkäuflichen Güter der Firma statt, zum 30. März 1990 wurde der Telefonanschluß abgemeldet. Wer die Nummer 06192-25095 anruft, dem antwortet eine Stimme vom Band: „Kein Anschluß unter dieser Nummer“.

So etwas kommt in der freien Marktwirtschaft öfter vor, ein anständiger Konkurs ruiniert weder den Ruf noch behindert er die weitere geschäftliche Tätigkeit. Es liegt auch nicht einer jener Fälle vor, da im Gefolge einer Pleite Massenentlassungen für Aufregung sorgen. Die Firma Rhema Labortechnik war ein mittelständischer Betrieb in der Form einer GmbH. So weit ist alles ziemlich gewöhnlich. Bemerkenswert ist allenfalls das Gebiet, auf dem sich das Unternehmen betätigte: „Entwicklung und Fertigung von zeitgemäßen Laborsystemen“, wie es in einem Firmenprospekt heißt, vor allem „Entwicklungen im Bereich der Pharmaforschung“.

Gaskammer: ein Inhalationssystem

Was so harmlos klingt, bedeutet im Klartext: Anlagen für Tierversuche, die von Pharmabetrieben unternommen wurden. Unter anderem bietet die Rhema Labortechnik in ihrem Prospekt „die maßgeschneiderte Herstellung von Inhalationssystemen für toxikologische Untersuchungen“ an, die mit „Aerosolen, Stäuben, Gasen“ betrieben würden. Was freilich soll sich der Laie unter einem „Inhalationssystem für toxikologische Untersuchungen“ vorstellen? Es handelt sich um kleine Gaskammern mit bis zu 5 m3 Volumen, in denen Tiere vom Leben zum Tode befördert werden, um die Wirkung von Aerosolen, Stäuben und Gasen am lebenden Objekt auszuprobieren. Was man doch mit der Sprache alles anstellen kann: Eine Gaskammer ist ein Inhalationssystem für toxikologische Untersuchungen. Damit läge ein Tatbestand vor, der sowohl Philologen wie Tierschützer zum sofortigen Einschreiten bewegen müßte. Aber das ist noch nicht die ganze Geschichte. Die „Inhalationssysteme“ genannten Gaskammern der Firma Rhema Labortechnik Hofheim im Taunus wurden — über eine andere Firma — in den Irak geliefert. Report München hat dies in einer Sendung Ende Oktober enthüllt, in der es um die Verwicklung deutscher Firmen in Waffengeschäfte mit dem Irak ging. In dem Bericht kam auch ein deutscher Techniker zu Wort, der in der Anlage von Samarra nördlich von Bagdad gearbeitet hatte. Man wolle, hieß es in dem Betrieb, „alle möglichen Pflanzenschutzmittel“ herstellen; eines Tages habe er, der deutsche Techniker, einen der irakischen Mitarbeiter gefragt, wozu man die Chemikalien brauchen würde, wo es doch kein Getreide gäbe, worauf der irakische Kollege geantwortet habe, es gäbe „Wanzen, Flöhe, Läuse, Heuschrecken, Perser und Israelis“.

Zu welchem Zweck im Irak Giftgase hergestellt werden, ist längst kein Geheimnis. Vor nur zwei Jahren wurden Tausende von Kurden einem „toxikologischen Versuch“ unterzogen, den sie nicht überlebten. Daß die Israelis demnächst mit einem ähnlichen Großversuch rechnen müssen, hat Saddam Hussein unmißverständlich angekündigt. Die dazu notwendigen Grundstoffe wurden bereits von deutschen Firmen geliefert. Nun kommt noch ein weiteres pikantes Detail hinzu: Es war eine deutsche Firma, die Mini-Gaskammern baute und lieferte, damit die Wirkung der Gase in einem Laborversuch an Tieren erprobt werden konnte. Man muß nicht die Geister von Auschwitz anrufen, um dies ein Verbrechen zu nennen, Vorbereitung, Beihilfe zum Völkermord.

Die Pleite als göttliche Vorsehung

Nun ist die Firma pleite, Gott sei dank, man könnte von einem Akt der Vorsehung sprechen und den Vorgang für abgeschlossen erklären. Aber wissen möchte man, ob die Firma vielleicht unter einem anderen Namen woanders weitermacht. Möglich wäre es ja. Die IHK Frankfurt, Außenstelle Hofheim, verweist alle Anfragen die Firma Rhema Labortechnik betreffend an den vom Gericht eingesetzten Konkursverwalter Dr. Walter in Frankfurt. Es handle sich um einen Routinefall, sagt Dr. Walter, so was komme eben vor, die Firmeninhaber hätten es eben versäumt, sich rechtzeitig auf andere Produkte umzustellen. Wegen der verschärften Tierschutzbestimmungen und weil Tierversuche in der Öffentlichkeit schlecht angesehen wären, sei der Umsatz gefallen, bis der Betrieb nicht mehr zu halten gewesen sei.

Ein Gerät für Lungenfunktionsprüfungen bei Ratten koste zum Beispiel rund 50.000 DM und die Nachfrage nach Apparaten dieser Art sei zum Schluß nicht mehr allzu groß gewesen. Ja, er habe von Exporten in den Irak gehört, aber die seien über eine andere Firma abgewickelt worden. Bei der Rhema Labortechnik habe man vermutlich von dem eigentlichen Besteller keine Ahnung gehabt. Konkursverwalter Dr. Walter verweist auf den Geschäftsführer der Rhema Labortechnik, Herrn Hans Peter Engler, wohnhaft in Kronberg.

Herr Engler aber ist nicht zu erreichen. Am Telefon meldet er sich nicht, Telegramme beantwortet er nicht. Er wohnt in einem zehnstöckigen Haus am Rande von Kronberg, sein Briefkasten wird geleert, an der Wohnungstür steht sein Name, nichts spricht für eine Aufgabe der Wohnung, Umzug oder Flucht. Vielleicht ist Herr Engler geschäftlich unterwegs, vielleicht macht er Ferien am Ufer des Euphrat, vielleicht sitzt er auch zu Hause und mag sich einfach nicht äußern. In jedem Falle ist es nicht möglich, den Geschäftsführer und vermutlich auch Mitbesitzer der Firma Rhema Labortechnik zu fragen, was er sich denn so gedacht habe, als ihm schließlich bewußt wurde, wozu die von seiner Firma hergestellten Gaskammern gebraucht würden. Hat er, wie einst auch die Hersteller von Zyklon B, von nichts gewußt? Hat er reinen Herzens oder mit bedingtem Vorsatz gehandelt? Oder hat er nur seine Pflicht getan und sonst gar nichts?

Wir werden die Antworten auf die Fragen sicher eines Tages bekommen. Wie auch die Antworten auf andere Fragen, die bis jetzt noch nicht einmal gestellt wurden. Was denn die Herren, die uns im Fernsehen als Geiseln vorgeführt wurden, im Irak eigentlich zu suchen hatten? Welchem Broterwerb sie nachgingen? Warum uns, die wir um ihr Wohlergehen bangten, ihre beruflichen Qualifikationen auch dann nicht mitgeteilt wurden, als sie längst sicher in Frankfurt gelandet waren? Und wie es kommt, daß einige der Geiseln, die Willy Brandt eigenhändig heimgeholt hatte, inzwischen wieder höchst freiwillig in den Irak zurückgeflogen sind? Wie die Antworten auch ausfallen werden, eines sollte jetzt schon klar sein: Die Ausrede, er habe niemanden persönlich umgebracht, hat auch Adolf Eichmann nicht vor der verdienten Strafe retten können. [Niemand verdient einen Strick als Strafe!, säzzer]

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen