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Entwertung der Gefühle

■ Jan Henderikses »Geld und Liebe« in der Galerie Ermer

Rot und grün blinken die Glühbirnen in den weihnachtlich geschmückten Fenstern der Berliner Mietskasernen. Rot und grün pulsiert die Technicolorästhetik in Jan Henderikses Geld und Liebe in der Galerie Ermer. Der Fotograf, Alltagsethnologe und Liebhaber des banalen Bildausschusses, hat 1964 Blätter amerikanischer Kalender gesammelt, die man sich nach eigener Wahl zusammenstellen und mit Monatsdaten versehen konnte. Rot leuchten die Münder, die Blusen, die Kissen und die Satinbetten von sauber geschrubbten Pin-up-Girls; grünlich-soft dagegen schimmert der Hintergrund von Jesus, dem Hirten und der Heiligen Familie im Stall. Graugrün bedruckt waren die amerikanischen Dollarnoten, die nun, von der Bank entwertet, durch die Shreddermaschine gejagt und zu Lametta zerschnitten, wie Heu aus einer Türöffnung in der Galerie quellen; idealer Füllstoff für Weihnachtskrippen.

Henderikse, der seit 1968 in New York lebt, verglich in einem Katalog anläßlich einer amerikanischen Ausstellung die Entstehung seiner Arbeiten mit dem plötzlichen Öffnen einer Tür: für ihn selbst überraschend fügen sich Idee und Material zusammen. Seine übrige Zeit verbringe er ohne Fixierung auf ein Kunstprodukt à la Bohemien, Freunde treffend, beobachtend, redend, sammelnd.

So kam das Bündel der Kalenderblätter, angeblich eine Zeitlang verschollen oder vergessen, jetzt erst in Berlin zum Einsatz. Die Motive dokumentieren, zu Abziehbildchen gefroren, die Grundfesten des american way of life, als der Dollar noch als unerschütterliche Währung galt. In god we trust heißt die Inszenierung zweier betender Kinder, fein herausgeputzt, die behandschuhten Hände gefaltet. Healthy and Happy, wie das krähende Baby mit Flasche hat der allgemeine Gemütszustand zu sein. Den spielenden Kleinkindern schließt sich das beliebte Motiv »junges Mädchen mit Hund« an. Von dieser kreatürlichen Mischung ist einerseits der Sprung nicht mehr weit in die grenzenlose Landschaft — Autumn reflections, Gebirgswelt im Herbst, Fasane (rotgrünes Federkleid) im Vordergrund — andrerseits zur jungen Frau ohne Hund, dafür aber nackt und selbst ganz Natur. Dem zur Seite stehen die frömmelnden Kitschbilder vom guten Hirten und der Madonna mit Kind. Fertig ist die Botschaft: Liebe deine Kinder, Frau, Natur und Jesus Christus. Bleib rein und fromm. Doch die moralischen Werte haben wie der Dollar ihre Stabilität verloren und sind von ihrer Käuflichkeit ausgehöhlt worden. Henderikse legt eine verführerische Analogie zwischen dem Verfall der Währung und der moralischen Entwertung nahe.

Schon 1962 begann der holländische Künstler mit der Dollarkunst, Arbeiten mit und über Geld. Die Obszönität des Geldes, das man nicht pur zur Schau tragen darf, sondern nur umgesetzt in repräsentative Kunst, tritt darin zutage; die Behauptung eines ideellen Kunstwertes gerät ins Schwanken; übrig aber bleibt, daß sich für die Währung Kunst kein Kurs festschreiben läßt. Kein Regulativ läßt sich für die ungleiche Wertbemessung von ästhetischer und funktionaler Produktion finden; dennoch würde die Kunst ohne eine Umsetzung in die Währung des Geldes, die immer nur punktuell greifbar wird, nicht funktionieren.

Daß Henderikse durch seine Tür der Intuition gerade hier und jetzt wieder dies Paradoxon von der Kunst und ihrem Wert sah, war sicher auch motiviert durch die jetzige Situation der Stadt, in der zwei Kunstwertsysteme aufeinanderstoßen. Zusammengedacht mit dem Problem von ideologischer Umwertung und materiellem Wertverfall, funktioniert Geld und Liebe als ironische Warnung, die Strukturen der Warenwirtschaft nicht als bestimmende Ökonomie allen übrigen Formen der Kommunikation überzustülpen. Katrin Bettina Müller

Jan Henderikse: Geld und Liebe , bis 19. Januar 1991 in der Galerie Ermer, Knesebeckstr. 97. Dienstag-Freitag, 16-19 Uhr, Samstag, 13-17 Uhr. Zwischen dem 24.12. und dem 2.1. ist die Galerie geschlossen.

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