Offener Brief an die Landesregierung von Berlin zur drohenden "Abwicklung" von Teilbereichen der Humboldt-Universität zu Berlin

Die Senatorin für Wissenschaft und Forschung hat mitgeteilt, daß ganze Fakultäten und Fachbereiche der Humboldt-Universität »abgewickelt« werden sollen. Es handelt sich u.a. um Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Philosophie, Kulturwissenschaft und Ästhetik, Erziehungswissenschaften und Rehabilitationspädagogik.

Wir verkennen nicht die Notwendigkeit, auch die Hochschulen in Berlin neu zu ordnen. Wir protestieren jedoch gegen das vorgesehene Verfahren und die Ziele dieser Politik. Wir fordern, daß die Umgestaltung der Hochschulen in Ost- Berlin durch den Gesetzgeber geregelt wird.

Die Pläne der Senatorin und des zuständigen Magistratsmitglieds sind rechtsstaatlich bedenklich, organisatorisch unproduktiv und politisch kurzsichtig.

Nach dem Einigungsvertrag ist eine »Abwicklung«, d.h. die Entlassung aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nur möglich, wenn die Aufgaben der entsprechenden Institution wegfallen. Die Senatsverwaltung beabsichtigt jedoch, dieses Instrument auch zu dem Zweck einer personellen Neubesetzung von ganzen Wissenschaftsbereichen, die erhalten bleiben sollen, u.a. mit westlichen Wissenschaftlern ihrer Wahl zu verwenden.

Dieses Vergehen ist nicht nur mit dem Einigungsvertrag, sondern auch mit dem Berliner Hochschulgesetz unvereinbar. Nicht einmal das rechtsstaatliche Minimum des Einigungsvertrages wird eingehalten. Es ist mit einer Prozeßlawine zu rechnen, die das Land Berlin auch wirtschaftlich belasten wird.

Die Senatsverwaltung meint, durch einen bürokratischen Gewaltakt ohne Beteiligung der gewählten Gremien die »Demokratisierung« der Humboldt-Universität bewirken zu können. Sie verkennt dabei, daß seit dem Oktober 1989 dort ein Demokratisierungsprozeß im Gange ist, den sie nicht nur mit ihren Plänen empfindlich stört, sondern deren Trägern sie damit praktisch die Legitimation abspricht. Sie läßt die Erkenntnis außer acht, daß Organisationen nur dann produktiv verändert werden können, wenn deren Mitglieder an der Organisationsentwicklung beteiligt werden. Die notwendigen Klärungsprozesse erfordern ein hohes Maß an Sach- und Personenkenntnis. Anders als die Senatsverwaltung kennen die demokratischen Mitglieder der Humboldt-Universität ihre »Pappenheimer« ganz genau. Regierungsamtliche »Säuberungen« sollten der Vergangenheit angehören.

Die Senatsverwaltung folgt offenbar der Vorstellung, daß die Neuordnung der Humboldt- Universität allein nach westlichem Muster durchgeführt werden müßte. Viele Angehörige der an der Humboldt-Universität versammelten Intelligenz haben sich auch schon vor der Wende nicht mit »marxistisch-leninistischen Küchenrezepten« zufrieden gegeben. Es wäre fatal, wenn die Landesregierung unter selbst auferlegtem Zeitdruck Arbeitsbereiche, die die Hochschullandschaft Berlins bereichern könnten, zerstören würde.

Wir raten der Regierung des Landes Berlin mit Nachdruck, die Humboldt-Universität nicht wie eine gestaltlose Masse zu behandeln, die bürokratisch »abgewickelt« werden könnte. Es wäre dies eine demoralisierende Entmündigung gerade jenes Teils der Intelligenz der ehemaligen DDR, die bei der Umgestaltung ihres Landes eine entscheidende Rolle gespielt hat. Erweisen Sie sich als Regierung mit Weitblick und erteilen Sie diesem Vorhaben eine Absage!

Rudolf Achazi, Prof. Dr. FUB, Zoologie; Astrid Albrecht-Heide, Prf. Dr. TUB, Erziehungswiss.; Ulrich Albrecht, Prof. Dr. FUB, Politologie; Elmar Altvater, Prof. Dr. FUB, Politologie; Gerhard Bauer, Prof. Dr. FUB, Germanistik; Heide Berndt, Prof. Dr. FHSS, Sozialmedizin; Reinhard Braun, Prof. HdK, Grafik; Walter Brückmann, Prof. Dr. TUB, Landschaftsplanung; Bruckmeier, Dr. FHSVR, Organisationssoziologie; Albrecht Dehnhard, Prof. Dr. FHSVR, Öffentl. Recht; Wolfgang Dohle, Prof. Dr. FUB, Zoologie; Marlis Dürkop, Prof. Dr. FHSS, Sozialpädagogik; Peter Jürgen Ergenzinger, Prof. Dr. FUB, Geographie; Helmut Essinger, Prof. Dr. FUB, Erziehungswiss.; Richard Faber, Dr. FUB, Soziologie; Hartmut Frech, Prof. Dr. TUB, Psychologie; Heiner Ganßmann, Prof. Dr. FUB, Soziologie; Sabine Gensior, Prof. Dr. FHW, Soziologie; Dieter Geulen, Prof. Dr. FUB, Erziehungswiss.; Kai Graszynski, Prof. Dr. FUB, Zoologie; Gerda Haufe, Prof. Dr. FHSVR, Soziologie; Susanne Heidtmann- Frohme, Prof. FHSS, Sozialverwaltung; Peter Heinrich, Prof. Dr. FHSVR, Organisationspsychologie; Gerd Hoff, Prof. FUB, Erziehungswiss.; Christine Holzkamp, Prof. TUB, Psychologie; Urs Jaeggi, Prof. Dr. FUB, Soziologie; Ulf Kadritzke, Prof. Dr. FHW, Soziologie; Wolfgang Karcher, Prof. Dr. TUB, Bildungsorganis.; Dieter Kartschoke, Prof. Dr. FUB, Germanistik; Erika Kartschake, Prof. Dr. FUB, Germanistik; Waltraud Kerber-Gause, Prof. Dr. TUB, Sozialpädagogik; Alfred Klein, TUB; Traugott Klose, FUB; Ekkehart Krippendorff, Prof. Dr. FUB, Politologie; Lothar Kunz, Dr. HdK, Erziehungswiss.; Renate Kunze, Dr. FUB; Randolf Lochmann, Prof. Dr. FUB, Molekularbiologie; Birgit Mahnkopf, Dr. WZB, Soziologie; Bertram Michel, Prof. Dr. FHW, Arbeitsrecht; C. Wolfgang Müller, Prof. Dr. TUB, Sozialpädagogik; Wolf-Dieter Narr, Prof. Dr. FUB, Politologie; Wolfgang Neef, Dr. TUB, Hochschuldidaktik; Karl-Adolf Noack, Prof. TUB, Erziehungswiss.; Ulf Preuß-Lausitz, Prof. Dr. TUB, Erziehungswiss.; Martin Quilisch, Prof. Dr. FHW, Rechtswiss.; Wilhelm Quitzow, Dr. TUB, Erziehungswiss.; Siegfried Reck, Prof. Dr. TUB, Soziologie; Hartmut Reeb, Prof. Dr. FHW, Rechtswiss.; Brigitte Reich, Dr. HdK, Politologie; Regine Reichwein, Prof. Dr. TUB, Erziehungswiss.; Uwe Richter, Prof TUB, Didaktik Sozialkunde; Birgit Rummelpacher, Prof. Dr. FHSS, Pädagogik; Tobias Rülcker, Prof. Dr. FUB, Erziehungswiss.; Heinz Schade, Prof. Dr. TUB, Strömungslehre; Folker Schmidt, FUB, Erziehungswiss.; Jens Schneider, Prof. Dr. FHSS, Sozialpädagogik; Jutta Schöler, Prof. TUB, Erziehungswiss.; Hilde Schramm, Dr. TUB, Erziehungswiss.; Ulf Schramm, Prof. Dr. FUB, Germanistik; Karl Schwarz, TUB; Udo Simon, Prof. Dr. TUB, Mathematik; Renate Steinchen, Dr. HdK, Erziehungswiss.; Ulrich Steinmüller, Prof. Dr. TUB, Didaktik Deutsch; Erhard Stölting, Prof. Dr. FUB, Soziologie; Richard Stöss, Dr. FUB, Politologie; Peter Teigeler, Prof. Dr. TUB, Psychologie; Christina Thürmer-Rohr, Prof. Dr. TUB, Frauenforschung; Reinhard Tietz, ehem. Studentenpfarrer d. TUB; Edgar Uherek, Prof. FHW, Wirtschaftswiss.; Frank Unger, Dr., Politologie; Norbert Weber, Prof. Dr. TUB, Erziehungswiss.; Gerd Weigmann, Prof. Dr. FUB, Ökologie; Uwe Wesel, Prof. Dr. FUB, Rechtswiss.; Frieder O. Wolf, Dr. FUB, Philosophie; Reinhard Wolff, Prof. Dr. FHSS, Sozialpädagogik; Jürgen Zimmer, Prof. Dr. FUB, Erziehungswiss.