: Meide Dinge, die über deinen Horizont gehen
■ betr."Couchpotatos Chips & Tips", taz vom 8.12.90
betr.: „Couchpotatos Chips &Tips“, taz vom 8.12.90
(Medienseite)
Mein lieber Harald Keller! Bist Du in Waffenbesitz? Man sollte auf Dich aufpassen! Ich nenne Dir jetzt Namen von Menschen, die Du vermutlich des Erschießens wert befindest. Nicht Heino, nicht Andy Borg. Heinz Rudolf Kunze, Wolf Maahn, Ina Deter, Dieter Hildebrandt, Konstantin Wecker (diesen Doppelzentner), Rio Reiser, Bettina Wegner (das fanden hier in Zonien auch schon einige), Hannes Wader, Franz Josef Degenhard und so weiter. Oder doch nicht? Du wirst schon herausfiltern, ob sie nicht irgendwann doch was Dummes gesagt haben, und sie nacheinander von der Liste streichen. Gut so.
Lennons Song Woman ist the nigger of the world ist überdies auch heute nicht ganz so dumm, wie Du es darzustellen versuchst. Vielleicht bestätigen Dir dies noch ein paar Frauen. Give peace a chance paßt natürlich nicht in Deine dummdreiste Abrechnung mit nicht nur einem Musiker auf dieser Halbseite. Ich könnte Dir noch Dutzende textlich und musikalisch für mich wenigstens sehr gute Lieder John Lennons nennen. Aber das Feeling, dies überhaupt erfassen zu können, fehlt Dir wahrscheinlich. Jedenfalls solltest Du in Zukunft Äußerungen über Dinge, die über Deinen Horizont gehen, meiden.
Hast Du schon mal in Erwägung gezogen, wie Du standesgemäß die Bühne des Lebens verläßt? Nicht mal Dir gönne ich, daß Du Dich irgendwann totkotzt. André, Eibenstock
Achten Sie eigentlich darauf, was alles in Ihrer Zeitung gedruckt wird? Ihr Fernsehkritiker schreibt in Bezug auf das letzte Konzert von John Lennon: „Niemand würde einen Künstler des Erschießens wert befinden, der mit dem Timbre eines heulenden Keilriemens öffentlich und allen Ernstes Texte vorträgt wie ,die Frau ist der Neger dieser Welt'“.
Davon abgesehen, daß Herr Keller offensichtlich den Sinn dieses Lieds völlig verkannt hat, scheint mir der Ausdruck „des Erschießens wert“, zusammen mit der Aufforderung, einen Fanclub für den Attentäter zu gründen, alle Grenzen des Geschmacks zu überschreiten. Es geht hier nicht um irgendwelche ästhetischen Sensibilitäten, und auch nicht um schwarzen Humor. In einer Zeitung, die sicherlich stolz ist, den faschistischen Wortschatz zu vermeiden, ist es ein Skandal, daß ein „deutsch-sprachiger“ Kritiker (Herr Kellers eigene Worte) sein Urteil so formuliert. Ich befinden diesen „Journalisten“ des Abschießens wert, aber nur im übertragenen Sinne natürlich. Maurice F. Puttnick, Hamburg
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