Sündenböcke verurteilt — Drahtzieher bleiben

■ Prozeß gegen schwedische Polizeichefs endet mit Minimalstrafe/ Schlüsselzeuge des Geheimdienstes verschwand spurlos

Stockholm (taz) — Der Berg hat ein Mäuslein geboren. Der Mammutprozeß gegen sechs hohe schwedische Polizeichefs wegen der Abhöraffäre im Zusammenhang mit der Suche nach den Mördern des früheren schwedischen Ministerpräsidenten Palme ist zu Ende. Der ehemalige Geheimdienstchef Näss und Fahndungsleiter Holmér wurden nach viermonatigem Geheimprozeß als Hauptschuldige zu Geldstrafen verurteilt, die Mitangeklagten wurden freigesprochen, obwohl das Gericht die Abhöraktionen für ungesetzlich erklärte. Mögliche Mitwisser in Regierungskanzleien blieben unbehelligt. Hintergrund des Verfahrens: Monatelang waren KurdInnen abgehört worden, weil man die Täter im Kreise der PKK vermutete. Nachdem alle Versuche gescheitert waren, das Gerichtsverfahren gegen die für die Wanzenoperationen verantwortlichen Polizeichefs einzustellen, wurde während des Prozesses die Öffentlichkeit weitgehend ausgeschlossen. Weitere Merkwürdigkeiten im Vorfeld, wie Auswahl der Schöffen durch den eigentlichen Angeklagten, den Geheimdienst SÄPO, und ein geheimes Treffen des Gerichts mit den Staatsanwälten und drei hohen Chefs der SÄPO, führten — gleichwohl umsonst — zu Befangenheitsanträgen der Rechtsanwälte der abgehörten KurdInnen. Lars Heumann, Professor an der Universität Stockholm und führender Experte für Strafprozesse, ist der Auffassung, daß „heimliche Treffen des Gerichts mit nur einer Partei des Verfahrens ein geradezu klassischer Fall sind, ein Gericht für befangen ansehen zu müssen“. Daß zeitweise auch Zeugenvernehmungen, durchweg aus SÄPO-Kreisen, ohne Beisein der Anwälte stattfanden, ist für Heumann „eine Vergewaltigung des Prozeßrechts“. Die Anwälte durften ihre Fragen nur schriftlich formulieren, eine Möglichkeit zur direkten Konfrontation gab es nicht.

Hingegen gestand das Gericht einem leitenden SÄPO-Chef zu, bei allen Vernehmungen von Zeugen aus dem Kreis des Dienstes anwesend zu sein, um zum Beispiel zu entscheiden, welche Frage sie nicht beantworten dürften. Mit dieser Maßnahme hat das Gericht nach Auffassung des Prozeßrechtlers Jesus Alcala „freiwillig auf die Unabhängigkeit und Selbständigkeit, die ihm verfassungsrechtlich garantiert ist, verzichtet“. Vermieden wurde durch die Art der Prozeßführung, daß die eigentlich brisante Frage nach Mitwissern in den Vordergrund rückte: Wie hoch in der Hierarchie reichte das Mitsteuern der illegalen Fahndungsaktivitäten?

Der von der Staatsanwaltschaft für hauptschuldig befundene P.-G. Näss hatte in der Voruntersuchung behauptet, vom damaligen Justizminister Wickbom grünes Licht erhalten zu haben. Dieser, ebenso wie alle anderen Regierungsmitglieder, will nun nichts gewußt haben. Das Verschwinden eines Hauptzeugen — angeblich soll sich eine mittlerweile pensionierte leitende Geheimdienstpersönlichkeit kurz vor seiner Aussage unauffindbar ins Ausland abgesetzt haben — läßt den Prozeßrechtler Stening argwöhnen, ob man nicht „das ganze als gigantische ,cover- up‘-Operation des Geheimdienstes sehen könne, die sich bis in den Gerichtssaal fortsetzt“. R. Wolff/bel