DAS KÜNFTIGE EUROPA: Störung erwünscht: Frauen im KSZE-Prozeß
Im Zuge der europäischen Integration verändern sich auch die weiblichen Rollen, und die Verantwortung der Frauen für ihr Tun wächst. Doch wenn Frauen sich in internationale Politik einmischen, werden sie von den Männern noch immer als „Störerinnen“ betrachtet. Eine kritische Haltung gegenüber der KSZE-Selbstbeweihräucherung aus „weiblicher“ Perspektive fordert Entnationalisierung der KSZE-Politik, Aufhebung der asymmetrischen Beziehungen unter den KSZE-Staaten und ein Europa ohne Armeen. ■ VON HANNEMARGRET BIRCKENBACH
Ich kenne Studien über die Rolle der Journalisten, der Kirchen, der Jugend, aber keine über die Rolle der Frauen im KSZE-Prozeß. Niemand hat bislang etwas dazu wissen wollen. Das heißt aber nicht, daß wir gar keine Aussage machen könnten.
Wir wissen, daß das Klischee, Frauen seien das friedliche Geschlecht, nicht stimmt. Frauen sind nicht nur Opfer von Gewalt, sondern sie üben auch Gewalt aus, legitimieren und beurteilen sie, lassen Gewalt geschehen oder schränken sie ein. Diese Rollendifferenzierung ist nicht in allen KSZE-Ländern gleichermaßen ausgeprägt. Aber sie nimmt im Zuge der demokratischen Entwicklung und der europäischen Integration kontinuierlich zu. Mit den neuen Möglichkeiten und Notwendigkeiten, nationale Grenzen zu passieren, werden weibliche Rollen darüber hinaus multikulturell. Denn die Patriarchate in England und Polen, Frankreich und der Tschechoslowakei, Schweden und Deutschland, Spanien und der Sowjetunion, Rumänien und in den Niederlanden unterscheiden sich erheblich in dem, was sie Frauen zumuten. Und auch die Rollen der türkischen, vietnamesischen, polnischen und deutschen Einwohnerinnen in Berlin sind von einer nur schwer zu begreifenden Vielfalt. Die Lebensentwürfe von Europäerinnen unterscheiden sich wie nie zuvor. Damit haben sich auch die Möglichkeiten erhöht, daß Frauen selbstbestimmt und eigenverantwortlich handeln. Aus zugewiesenen Rollen werden selbständig eingenommene Rollen. Damit wächst die Verantwortung von Frauen für ihr Tun. Nicht alle empfinden diese Entwicklung als Glück. Für viele ist sie vor allem eine zusätzliche Last.
Von „Störerinnen“ zu Subjekten der internationalen Politik
Trotz aller Vielfalt gibt es eine Rollendefinition für Frauen, in der sich die europäischen Patriarchate offenbar einig sind: Frauen, die sich in internationale und transnationale Politik einmischen, stören – wie immer sie sich dabei verhalten. Wenn sie wie die Gruppe „Women Defence Dialogue“ das Gespräch mit den Regierenden suchen, stören sie, weil sie Eigenschaften betonen, die als weiblich angesehen werden und die als irrational, gefühlsabhängig und den „männlichen“ Rationalitätsansprüchen unterlegen gelten. Internationale Verhandlungen führt man – so die herrschende Lehre – besser ohne diejenigen, die vermittelnde, versöhnende, fürsorgliche Kompetenzen höher bewerten als staatliche Machtinteressen. Aber auch Frauen, die sich den männlichen Erwartungen an sicherheitspolitische Qualifikationen vollkommen angepaßt haben, stören wie ein Spiegelbild, das die häßlichen Seiten nicht verbirgt. Von solchen Frauen heißt es, sie seien männergleich oder gar – wie im Fall von Margret Thatcher – schlimmer als ein Mann. Und schließlich gibt es Feministinnen, die die spezifische weibliche Mittäterschaft und die Eigenverantwortlichkeit von Frauen reklamieren. Diese Position stößt gerade auch in den Bürgerrechtsbewegungen auf Mißbilligung. Der Versuch, Geschlechterverhältnisse als Herrschaftsverhältnisse zu thematisieren, hält nach Ansicht vieler meiner Freunde und Kollegen den Frieden bloß mit Fragen auf, die sie als randständig bezeichnen.
Feministinnen, die sich in die KSZE-Politik einmischen wollen, machen sich die Definition als „Störerinnen“ zu eigen und formulieren sie neu: Frauen bringen Bewegung in die KSZE-Politik, indem sie auf die Integration subjektiver Erfahrungen drängen, die Gleichrangigkeit weiblicher Lebensentwürfe fordern und sich als Subjekte von Politik verstehen. Dadurch geraten sie unter Druck, sich in die Details einarbeiten zu müssen. Es hat keinen Zweck zu leugnen, daß viele Frauen zwar guten Willens, aber noch verhältnismäßig wenig mit den KSZE-Mechanismen vertraut sind. Das muß sich ändern, wenn Frauen eine selbstbestimmte Rolle im KSZE-Prozeß einnehmen wollen.
Machtboykott ist noch kein Konzept zur Machttransformation
Die Mehrheit der EuropäerInnen möchte vermutlich allerdings an der Marginalisierung von Frauen in der KSZE-Diskussion gar nichts ändern oder hält eine Änderung für unmöglich. Die mangelnde Bereitschaft von Frauen, sich in der europäischen Politik zu engagieren, ist ein Fakt. Die Motive sind unterschiedlich. Die einen finden internationale Männergespräche noch öder als die Innenpolitik. Andere sehen keine Chancen zur Einmischung – sei es aus Bequemlichkeit oder realer Ohnmacht, aus Mangel an weiblichen Vorbildern oder aus der Erfahrung, wie Frauen in der Politik für Männerzwecke instrumentalisiert wurden, oder weil ein solches Engagement mit den privaten Aufgaben, die Frauen noch immer obliegen, mehr als ausgelastet sind. Ich habe für diese Abstinenz viel Verständnis – aber Machtboykott ist noch kein Konzept zur Machttransformation.
Möglicherweise gibt es jedoch Frauen, die – wenn sie zum Beispiel aufgrund von Quotierungsregeln gefragt würden – die Einmischung in die KSZE-Politik wagen würden. Friedensforscherinnen könnten helfen, Verbindungen zwischen der männerdominierten Politik einerseits und den bislang ausgegrenzten Frauen herzustellen, Verständigung über die Ziele eines Engagements von Frauen in der KSZE-Politik einzuleiten und dazu beitragen, die Diskrepanz zu verringern, die zwischen der männerzentrierten Definition sicherheits- und friedenspolitischer Probleme und den wirklich anstehenden Gefahren bestehen.
Die Zukunft erfordert Fähigkeiten zur friedlichen Bewältigung der Konflikte
Die KSZE-Politik war über lange Jahre die einzige Hoffnung auf eine Verbesserung der europäischen Verhältnisse, und sie war im Hinblick auf die vergangene Ost-West-Konfliktsituation erfolgreich. Aber für die Zukunft zählen nicht die Leistungen der Vergangenheit, sondern allein die Eignung, zur friedlichen Bewältigung der in Europa absehbaren Konflikte beizutragen. Ich fürchte, diesbezüglich werden die Ergebnisse des Gipfels in Paris mager aussehen. Denn mehr als alle europäischen Institutionen steckt der KSZE-Prozeß in einer Krise, die nicht dadurch gelöst werden kann, daß wir uns selbst belügen oder belügen lassen. Am besten können wir den KSZE-Prozeß unterstützen, wenn wir eine kritische Haltung gegenüber der Selbstbeweihräucherung der KSZE einnehmen. Viele Frauen aus Osteuropa haben erlebt, wie man die sozialistischen Ideen zu Tode loben kann. Gleiches kann einer Demokratie geschehen, wenn sie erstarrt, gleiches auch der KSZE.
Fünf Aufgaben, um einen Wandel der KSZE einzuleiten
Diese Warnung soll nicht entmutigen, sondern im Gegenteil Frauen anspornen, ihre Kompetenzen zu nutzen und darüber nachzudenken, wie ein Wandel der KSZE eingeleitet werden kann, damit die hochgesteckten Erwartungen eine Chance haben. Ich sehe fünf Aufgaben:
1) Was im Rahmen der KSZE geschieht, ist noch immer von nationalem Denken dominiert und nicht von gemeinsamen Interessen an Frieden im Sinne von Abrüstung, Sicherheit, Wohlfahrt und der Anerkennung der Menschenrechte für Männer und Frauen geprägt. Die USA und Großbritannien haben die KSZE der Nato-Politik untergeordnet, um ihre Führungsrollen zu sichern. Die Sowjetunion ist an einer Aufwertung der KSZE- Politik als Gegengewicht zur Nato und den amerikanischen Führungsansprüchen interessiert. Die BRD ist mit deutschlandpolitischen Fragen beschäftigt. Frankreich taumelt im Widerspruch, einerseits den KSZE-Gedanken unterstützen, andererseits aber seine atomare Militärpolitik retten zu wollen. Und die (ehemaligen) Warschauer-Pakt-Länder konkurrieren angesichts des sozialen Elends um die Gunst westlicher Staatsmänner. Eine ganz dringliche Aufgabe ist es daher, wider den Zeitgeist eine Entnationalisierung der KSZE-Politik auf den Weg zu bringen.
2) Das KSZE-Regime rühmt sich, alle 35 KSZE-Staaten seien gleichberechtigt. Gleichberechtigung ist ein wichtiges, demokratisches Prinzip, aber darum noch nicht real. Zwar haben die Teilnehmerstaaten formal gleiche Rechte. Aber in Wirklichkeit gab es immer die Asymmetrie der Blöcke. Auch heute bestehen vollkommen asymmetrische Beziehungen unter den KSZE- Staaten, ohne daß Mechanismen vorhanden wären, diese Ungleichheit zu kompensieren. Man kann das gut an den Zwei- plus-vier-Verhandlungen studieren, bei denen die USA und die BRD gehandelt haben und alle anderen – aus unterschiedlichen Zwängen – bloß noch zustimmen konnten. Die zweite Aufgabe ist daher: Stützung und Repräsentation der Schwachen.
3) Europa steht vor neuen Problemen, denen gegenüber die KSZE-Politik bislang ratlos ist. Wie kann der Zerfall des Warschauer Pakts und der Sowjetunion gewaltfrei verarbeitet werden? Wie kann gewährleistet werden, daß von Deutschland keine Gefahr mehr ausgeht? Wie kann das Wohlstandsgefälle bewältigt werden? Wie die nationalistischen und separatistischen Strömungen? Wie können Minderheiten geschützt werden und die Migration in Europa human gestaltet werden? Die dritte Aufgabe besteht deshalb darin, eine Verbindung der KSZE-Politik zu den neu entstandenen Problemkonstellationen erst einmal herzustellen. Das angekündigte neue Konfliktzentrum in Wien wird dazu nicht ausreichen.
4) Noch tendieren fast alle KSZE-Staaten dazu, Aufrüstungsoptionen solange wie möglich offenzulassen. Noch immer brechen die Atommächte nicht mit ihrer Nuklearpolitik zu Wasser und zu Lande. Auch Frankreich und Großbritannien bauen ihre Atomstreitkräfte weiter aus. Die vierte Aufgabe sehe ich darin, daß Frauen ihre „störende“ Rolle in eine produktive umwandeln, die Anerkennung „weiblicher“ Perspektiven in der europäischen Politik durchsetzen und gewaltfreie, gerechte und integrative Formen der Konfliktbewältigung in einem Europa ohne Armee aus Ländern ohne Armee möglich machen. Das erfordert eine konsequente Militär- und Rüstungskritik und die Absage an jede militärische Aktion außerhalb und innerhalb Europas, und zwar vorab, ohne Wenn und Aber. Militär- und Rüstungskritik im Rahmen der KSZE verlangt dann auch, die heute überholte Separation der KSZE-Verhandlungskörbe Menschenrechte, Abrüstung, Ökonomie aufzuheben. Dann nämlich würde Abrüstung unter menschenrechtlichen und ökonomischen Gesichtspunkten vorangetrieben. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit würde unter abrüstungspolitischen und menschenrechtlichen Gesichtspunkten konzipiert. Und die menschenrechtlichen Übereinkünfte würden mit Problemlösungen in den Bereichen Ökonomie und gewaltfreien Methoden der Konfliktbewältigung verbunden werden.
5) Die fünfte Aufgabe ergibt sich aus der Militär- und Rüstungskritik. Individuelle und institutionelle Kompetenzen zu Beratung, Vermittlung, Versöhnung, Information, Begegnung, Konfliktmanagement und Hilfe in aktuellen und absehbaren Konflikten müssen ausgebildet werden. Das ist nicht nur eine staatliche Aufgabe, sondern muß durch die Arbeit von gesellschaftlichen Gruppen und Individuen gleichermaßen getragen werden. Ich erinnere hier nur an die Arbeit der Internationalen Friedensbrigaden. Voraussetzung für alle entsprechenden Initiativen ist die Überwindung der Ohnmachtshaltungen, die wir geneigt sind einzunehmen, wenn wir an die Situation in Osteuropa, in der Sowjetunion, in Irland oder im Irak denken. Sie drängen uns in die Rollen von Opfern oder Zuschauerinnen.
Deswegen richte ich meine Wünsche für die Zukunft nicht in erster Linie an die Männerregierungen, sondern an uns Frauen selbst. Ich wünsche mir mehr Engagement von Friedensforscherinnen, Journalistinnen, Parlamentarierinnen und anderen Bürgerinnen dafür, Wissen über die Rollen von Frauen im KSZE-Prozeß und die Möglichkeiten ihrer Veränderung zu erarbeiten, zu bündeln und zu verbreiten. Ich wünsche mir mehr Geschick darin, Frauen und Männer darin zu bestärken, es persönlich auszuprobieren, wie sie der gewachsenen Verantwortung für ein friedenwirksames Europa so genügen können, daß Verantwortung nicht nur eine Last, sondern auch ein besseres Leben beinhaltet.
Hanne-Margret Birckenbach ist wissenschaftliche Referentin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und Mitglied des Netzwerks Friedensforscherinnen in der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung. Der Artikel ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den die Autorin im Rahmen der KSZE der Frauen im November in Berlin gehalten hat.
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