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Schleifen um die Ohren

■ Die Schauspielgötter Bruno Ganz und Otto Sander lasen als Ivan Turgenjev und Gustave Flaubert im Bremer Theater vor

Stellen Sie sich vor, es ist Lesung und alle gehen hin. Ja kann das mit rechten Dingen zugehen? Nein. Das kann nur mit Bruno Ganz und Otto Sander zugehen. Die beiden Engel aus dem Himmel über Berlin schwebten am vergangenen Sonntag ins Bremer Goethe-Theater und lasen mit verteilten Rollen aus dem Briefwechsel Turgenjev — Flaubert. Das heißt: Hochkarat traf Hochkarat — und wir waren dabei.

Stellen Sie sich vor: Da stehen, gesamtproportionsmäßig gesehen, zwei Männeken anzugdunkel sittsam auf der Bühne hinter zwei schmächtigen Buch-Pültchen und tun nix als vorlesen — und das Publikum im rappelvollen Goethetheater sitzt gebannt wie e i n Kaninchen vor der Schlange und kann seine proppere Wonne kaum fassen. Hat auch selbst um-und umgewunden Schlange gestanden vor der verzweifelten Theaterkasse und ein Bild abgegeben, wie man's vielleicht von der Nachkriegszeit her kennt und dem Hunger nach Kultur satt.

Hach, wie u n s e r Alt-Bremer Bruno Ganz auch so hübsch genant gekuckt hat beim frenetischen Empfang mit Juchzern. Da ist egal, ob er Turgenjev ist oder Flaubert — Hauptsache, er ist's. Und der Otto Sander! Der ist nicht nur er selbst, sondern sieht seinem Flaubert sogar ähnlich: der gleiche melancholische Schnäuzer und die traurig scharfen Äugelein!! Und dann beider Stimme!! Ob watteweich oder schneidig, ob eitel resigniert oder milde schwyzerisch — Schleifen binden sie aus Sätzen und uns um die Ohren und manchmal ziepts. Auf jeden Fall kommen wir uns sehr geschmückt vor und hören und hören und können dazu auch noch sehen: Wie der Bruno Ganz sich wie versehentlich die Nase stiebt oder an der Brille ruckelt, wie er leicht zu tänzeln scheint bei heiteren Passagen. Oder wie der Otto Sander mit seiner Stimme grinsen kann!

Im Ernst, wieso ausgerechnet der Briefwechsel von Turgenjev und Flaubert — wir wissen es nicht; und noch ehrlicher gesagt: Von mir aus hätten die beiden auch den Briefwechsel von Hinz und Kunz vorlesen können. Immerhin weiß ich jetzt aber, daß Ivan Turgenjev (der von „Väter und Söhne“) und Gustave Flaubert (der von „Madame Bovary“), diese „Riesen der Weltliteratur“, in ihrem Briefwechsel (von 1863 bis ins Todesjahr von Flaubert 1880) manch Wissenswertes, vor allem aber Artigkeiten über sich und ihre Unpäßlichkeiten ausgetauscht haben. Und daß es, wenn Turgenjev so unter seinen Gichtanfällen gelitten hat wie es bei Ganz klingt, doch ziemlich hypochondrisch zugegangen sein muß bei dem „lieben guten Alten“ — wie die beiden Korrespondenten sich gerne anreden. Und wie sie sich wehleidig über Natur und Gesellschaft und die Schweiz mokieren und alles so ekelhaft ist — da tropft aus dem Sander'schen Schnurrbart sonore Abscheu bis in die hintersten Reihen!

Es ist, als stiegen Säulen-Heilige herab aus der Geschichte und würden noch einmal sterblich mit allen nebensächlichen Schrullitäten. Es ist der Briefwechsel auch eine Chronik des hochehrwürdigen Verpassens! Immer will man sich sehen, lädt sich ein, kommt nicht, es ist bedauerlich! Und „idiotisch, sich so zu lieben, wie wir es tun, und sich so wenig zu sehen“, schreibt Flaubert.

Sowieso ist die Zeit hart für Musen und nicht nur für solche wie Turgenjev und Flaubert, die alt und älter werden. Jaja, die Traurigkeit des 50. Lebensjahres!! Alle 50jährigen lachen. Überhaupt lachen alle gern und oft mit Grund. Bis auf einen. Das ist der Schauspieldirektor. Der lümmelt sich auf seinem Platz wie auf der letzten Bank, schiebt sich elegant angewidert vom begeisterten plebs die Brille auf die Glatze und klappt ein paarmal mit hängenden Händen gegen den brausenden Schlußapplaus an. Aber keiner hat ihn gehört. Claudia Kohlhase

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