: Ein paar graue Fassaden mehr
■ »Zweitakt« — Bildende Kunst aus West- und Ost-Berlin am Fernsehturm
Man kann nicht voneinander lassen. Die Serie der deutsch-deutschen Nabelshows findet kein Ende und die Tricks, mit denen deren Organisatoren versuchen, die genervten Neu- und AltbundesbürgerInnen und Kinder in den Bann zu ziehen, werden immer raffinierter.
So auch bei der Ausstellung »Zweitakt« im Ausstellungszentrum am Fernsehturm. Ein Bericht von André Meier.
Vor gut anderthalb Jahren stellten zum letzten Mal und zur wärmsten Vorwendezeit die im Verband Bildender Künstler (VBK) organisierten Maler, Bildhauer, Grafiker und Installateure aus dem Osten der Stadt ihre Arbeiten im zweigeschossigen Ausstellungscenter am Fuße des Fernsehturms ab. Eine Anhäufung bunter Beliebigkeit und so schlecht präsentiert, daß selbst Arbeiten die es verdient hätten, unter der Bezeichnung Kunst zu firmieren, Schaden litten. Eine große Lustlosigkeit hatte schon im August 1989 die Ostkünstler ergriffen. Alles ging — nur nicht weiter. Lediglich ein ins Blauhemd gezwängter 'Junge Welt‘-Kommentator fragte seine Leser angesichts einer netten Blut-Sperma-Urin-Spinat-Gehirn-Teer-Installation der inzwischen international gehandelten Auto-Perforationsartisten »Braucht Kunst Spinat ?«. Das Kunst keinen Spinat braucht wissen inzwischen nicht nur, Dank ihres jetzt zum Chefreporter avancierten Vordenkers, die Leser der 'Jungen Welt‘. Denn auch die damals gegen diesen kunst- stalinistischen Beitrag mosernden DDR-Kunstvermittler haben nun, frei von jeder Stasi-SED-Gott-und- die-Welt-Bevormundung, die Hallen weder mit Urin noch anderen vom Honecker-Regime verachteten Kunstprodukten gefüllt. Aber daran ist vielleicht auch nur der Westen schuld. Denn diesmal hat nicht nur der VBK seine Mitglieder zur Ausstellung geladen, sondern auch der Berufsverband Bildender Künstler Berlin (BBK).
Eine gemeinsame Jury wählte aus beiden Teilen der Stadt Arbeiten von gut 150 Künstlerinnen und Künstlern aus, die sie nun den ahnungslosen Besuchern gut gemischt und ohne Hinweis auf das Herkunftsland serviert. So viel Heimtücke riecht nach Seilschaft. Wer will hier warum verschleiern was einer stalinistisch sozialisierten und was einer vom Grundgesetz umhegten Künstlerhand entsprang? »Europa ist im Kommen, real und als Orientierungsgröße; Grenzen verlieren an Bedeutung, und auf der anderen Seite wächst das Bedürfnis nach Verständnis für die eigene Herkunft und Geschichte, für Heimat, wohlverstanden reflektiert. Dazwischen wird nationale Identität immer fragwürdiger und hemmender«, schreibt Rainer Höynck in einem der dem Katalog vorangestellten Vorworte. Nun wissen West- wie Ost-Berliner, was die Stunde geschlagen hat oder auch nicht?
Europa hin oder her, da hängen, liegen oder stehen ein paar hundert Werke am Alexanderplatz, die gesehen und besprochen werden wollen. Und natürlich weiß jeder, der sich einen Katalog leisten und die Hochschulabkürzungen entschlüsseln kann, wessen Kunstwiege wo gestanden hat. Trotzdem, und hier beginnt der hehre Teil der Rezension, entsprechen die West-Produkte am Fernsehturm viel eher dem gern kolportierten Bild von der provinziellen DDR-Kunst als die aus den Ost-Ateliers. Peter Leder präsentiert eine spitz gepinselte Mauerlandschaft, der mittels verstreuter und damenloser Frauenschuhe das surreale Ambiente eingeprügelt werden soll. Da aber Leder nicht Dali und der zur Maueröffnung leider schon unter der Erde lag, muß nun der vierzigjährige W-Berliner den historischen Akt des Jahres 89 stilgerecht verkunsten. Durchbruch nennt Leder sein Werk und schneidet, damit das Ölgemälde nicht etwa dem Sport- oder Medizin- Genre zugeschrieben wird, ein paar Löcher in seine feingefugte Mauer. Ulrich Grüters Obsthändler dagegen hätte jede Einkaufskommision des Verbandes der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) in Verzückung versetzt. Ungeachtet der einmontierten Obstkisten, solche modernistischen Schlenker ließ man dem jungen Künstlern schon mal durchgehen, steht das Antlitz des obstigen Händlers so ungebrochen für den heldenhaften Kampf an der Versorgungsfront, daß selbst die offerierten Bananen als Bestandteil der Wo-ein-Wille-ist-ist-auch-ein-Weg-Ikonographie im Speisesaal der Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft eine Überlebenschance hätten. Weniger orthodox dagegen scheint Grossien. Das ausgestellte Duchamps Pissoire Prevère zeigt anschaulich, was nach dem Auszug der klassischen Moderne im Bahnhofsklo bleibt. Nichts, ein Fleck an der Wand grinst uns bei Grossiens Mörtel-Mischtechnik trübe an. Was hier nicht hängt, hängt im Museum of Modern Art.
Doch auch der Osten überrascht nicht mit Neuem. Wulf Sailer, Klaus Roenspieß, Hans Vent, Manfred Böttcher, Lothar und Christa Böhme, Akt, Stilleben und jede Menge Stadtlandschaft füllen die Wände. Gediegene Malerei, die ob ihrer Fülle und der Besessenheit mit der ihre Protagonisten dem Novemberwetter huldigen, zur Konfektion zu verkommen droht. Nach dem expressiven Aufschrei der frühen Achtziger und dem experimentellen Boom am Ende des Jahrzehnts, scheint die Kunst im Osten der Stadt wieder dort, wo sie vor den diversen Revolten stand. Eine sensualistische Malerei in der Tradition von Schröder und Heldt, die auch einen Verismus à la Dix aus dem Pinsel von Clemens Gröszer duldet und für die sich nach all dem historischen Brimborium nur eines geändert hat: Es gibt ein paar graue Fassaden mehr.
Die Ausstellung ist noch bis zum 13. Januar im Ausstellungszentrum am Fernsehturm zu besichtigen. Der Katalog zur Ausstellung kostet 25 DM.
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