piwik no script img

Afrikas Armeen — Wegbereiter von Aids

■ Interview mit Jacques Bugnicourt aus Senegal, Generalsekretär der Umwelt- und Entwicklungsorganisation ENDA (Environement et Développement en Afrique) INTERVIEW

taz: Was Aids in Afrika betrifft, so ist der sogenannte „Afro-Pessimismus“ à la mode, denn Europa und der gesamte Westen haben Afrika doch fast vergessen?

Jacques Bugnicourt: Die Sichtweisen in Europa haben sich gegenüber früher verändert, allerdings eher unterschwellig als offen. Europas Politiker sehen sich erklärtermaßen einer Reihe von „Bedrohungen“ gegenüber. Die technologische Bedrohung — das ist natürlich Japan. Und Afrika ist die demographische Gefahr. Es gibt in Europa Entscheidungsträger, die sich mit dem Problem beschäftigen, welches das — in Anführungsstrichen — exzessive Bevölkerungswachstum Afrikas darstellt...

...man könnte doch zynisch sagen, ein Problem, das durch Aids „gelöst“ wird?

So weit würde ich nicht gehen, aber es wäre keineswegs überraschend, wenn ein derartiges Raisonnement in gedanklichen Hinterstübchen existierte. Das Klima ist nicht günstig, ich meine das Klima des „Afro-Pessimismus“. Er beeinhaltet folgende Schlußfolgerung: Was wir auch tun, wir tun es vergebens, denn keine Hilfe greift.

Sieht die Situation denn wirklich so hoffnungslos aus? Die ENDA sammelt ja Zahlen aus diverse Quellen.

Die Epidemie hat sich praktisch in ganz Zentralafrika „installiert“. In Ländern wie Zaire, Uganda, Burundi und Ruanda ist mehr als ein Prozent der Gesamtbevölkerung infiziert. Man muß dehalb davon ausgehen, daß sich Aids in diesen Ländern flächendeckend ausbreitet und als Epidemie nicht mehr einzugrenzen ist. Vor allem sind die Städte in einem großen Ausmaß betroffen. In einigen Hauptstädten ist schon jeder siebente bis zehnte infiziert. Diese Hochrechnungen basieren auf Tests in der Bevölkerungsgruppe der schwangeren Frauen.

Innerhalb der großen Städte wiederum stellen die Prostituierten einen bedeutenden Anteil der sogenannten Risikogruppen dar. Aber hier können wir eine gewisse Stabilisierung registrieren. In einigen Städten hatten die Aufklärungsaktionen unter den Prostituierten offenbar Erfolg. Heutzutage kommt es etwa in Nairobi häufig vor, daß die Damen auf Verwendung eines Präservativs bestehen. In vielen Städten Westafrikas gibt es den „doppelten Tarif“ — und der gilt bei Nichtverwendung eines Kondoms. Es gibt sozusagen eine „dämpfende Eintrittskarte“.

Die bisherige Betonung der „Risikogruppe Prostituierte“ hat aber dazu geführt, daß andere Verbreitungsarten vernachlässigt wurden, etwa durch Frauen mit mehreren Partnern. Man hat diese Frauen wegen „sexuellen Vagabundentums“ verurteilt. Genauere Untersuchungen aber beweisen, daß die wahren „sexuellen Vagabunden“, also die tatsächlichen Verbreiter des Virus, alleinstehende Männer sind oder Ehemänner, die eine „Polygamie de fait“ praktizieren. Unter denen muß man zunächst die Soldaten nennen. Die Armeen stellen in Afrika den wesentlichen Verbreiter von Aids dar. In manchen Staaten sind mehr als die Hälfte der Armeeangehörigen infiziert.

Und wie sieht es bei den Jugendlichen aus?

Eine Reihe von Studien zeigt, daß der Infektionsgrad unter männlichen Jugendlichen zum Beispiel in ländlichen Gegenden der Elfenbeinküste zehn Prozent beträgt, bei Mädchen hingegen nur drei Prozent. Wenn man bedenkt, daß es sich hierbei um Agrargebiete handelt, um Dörfer also und keine Großstädte, dann wird das ganze Ausmaß des Problems deutlich. Interview: Gerd Meuer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen