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Fünftausend demonstrieren gegen Naziterror

Protest in Göttingen gegen die Ermordung eines Bundeswehrsoldaten durch Neonazis/ Demo verlief friedlich/ FAP-Funktionär Karl Polacek unter Beschuß/ Göttinger Polizeiführung unterschätze rechtes Gewaltpotential  ■ Aus Göttingen Reimar Paul

Fünftausend Menschen sind am Samstag in Göttingen gegen Neonazis und rechtsextremistische Gewalt auf die Straße gegangen. Die Demonstration, zu der unter anderem die Grünen, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VNN), studentische Organisationen sowie zahlreiche linke Gruppen aufgerufen hatten, verlief bis auf einige kleinere Rangeleien friedlich.

Anlaß für den Protest war der Mord an einem Bundeswehrsoldaten durch rechtsradikale Skinheads in der Neujahrsnacht. Zwei Neonazis hatten den 21jährigen Alexander S. auf offener Straße niedergeschlagen und mit Messerstichen getötet. In derselben Nacht hatten Rechtsextremisten im Raum Göttingen noch weitere Passanten überfallen und teilweise schwer verletzt. Nachdem sich die Demonstration erst mit einiger Verspätung in Bewegung gesetzt hatte, stoppte die Spitze des Zuges schon nach wenigen hundert Metern wieder: Die Polizei, die Beamte aus ganz Niedersachsen nach Göttingen beordert hatte, machte Anstalten zu einem „Spalier“. Eine „Provokation der Bullen“, so die Demo-Leitung, „die wir nicht hinnehmen werden“. Nach kurzen Rangeleien und zwanzigminütigen Verhandlungen — in die sich auch die Landtagsabgeordneten Hulle Hartwig (SPD) und Doris Herrmann (Grüne) einschalteten — zogen sich die Polizisten unter dem Beifall der DemonstrantInnen schließlich zurück. Schweigend passierte der Zug die Stelle, an der im November 1989 die Studentin Conny Wessmann bei einem umstrittenen Polizeieinsatz in den laufenden Verkehr getrieben und von einem Auto tödlich verletzt worden war. Mit lautstarken Sprechchören gegen „Naziterror“ und akustisch untermalt von Silvesterkrachern ging es dann, am Gericht und an der Staatsanwaltschaft vorbei, zurück in die Innenstadt. Auf der Abschlußkundgebung machten RednerInnen deutlich, daß es sich bei dem Mord an Alexander S. keineswegs um einen „Zufall“ gehandelt habe. Zufällig sei eher zu nennen, daß es bei den neonazistischen Übergriffen der vergangenen Jahre und Monate nicht schon viel früher Tote gegeben hat.

Als für die faschistische Gewalt maßgeblich Verantwortlicher wurde der Landesvorsitzende und Multifunktionär der rechtsextremistischen Freiheitlichen Deutschen Arbeiter-Partei (FAP), Karl Polacek, angegriffen. Polacek, der sich selbst wegen schwerer Körperverletzung im März vor Gericht verantworten muß, hatte den im Zusammenhang mit dem Soldatenmord als Hauptverdächtiger festgenommenen Skinhead Oliver Simon bei Göttingen beherbergt. Vor Simon war der des versuchten Totschlags an einem libanesischen Asylbewerber beschuldigte Thorsten Heise von Polacek als Vertrauter und „Stellvertreter“ aufgebaut worden. Der Neonazi Heise ist inzwischen abgetaucht.

Ein unter anderem von den Grünen und der Redaktion der Zeitschrift 'Atom‘ unterzeichnetes und auf der Demonstration verteiltes Flugblatt ging auch mit der Göttinger Polizeiführung hart ins Gericht. Jahrelang sei das rechtsextremistische Gewaltpotential unterschätzt beziehungsweise gar nicht zur Kenntnis genommen worden. Militante Neofaschisten seien verniedlichend als „Miniskins“ oder „Kindernazis“ beschrieben worden.

Während die Abschlußkundgebung noch lief, wurde Alexander S. in Rosdorf bei Göttingen beigesetzt. Mehrere hundert Menschen, unter ihnen zahlreiche Freunde und eine Abordnung der Bundeswehr, beteiligten sich an dem Trauerzug von der Kapelle zur Grabstelle. Der Soldat war nach den Ermittlungen in Begleitung eines Freundes auf offener Straße von zwei maskierten Männern angefallen worden, die ihn durch Messerstiche verletzten und mit Fußtritten traktierten. Der 21jährige starb zwei Stunden später an den Folgen der Verletzungen. Der als Haupttäter geltende 17jährige war tags darauf von einer Zivilstreife auf der Straße aufgegriffen worden. Er verweigerte vor dem Haftrichter bisher jede Aussage.

Dem Mord war ein Streit zwischen Alexander S. und einer Gruppe von Rechtsradikalen vorausgegangen, die im Nachbarhaus seiner Eltern Silvester feierten. Die Rechten sollen zuvor mehrmals Feuerwerkskörper auf den Balkon der Eltern des Ermordeten geworfen haben. Unter ihnen waren auch die beiden mutmaßlichen Täter. Als Alexander S. mit einem Freund das Haus verließ, sollen die beiden 17jährigen vor Gästen gesagt haben, sie gingen jetzt einen „Linken aufmischen“.

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