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Schweigemarsch für ermordeten Kurden

Hachenburg (taz) — Die 5.000-Seelen-Gemeinde Hachenburg erlebte am Samstag die erste Demonstration seit Jahrzehnten. Über 2.000 BürgerInnen beteiligten sich an einem Schweigemarsch, nachdem dort drei Tage vor Silvester ein 17jähriger kurdischer Junge von Skinheads erstochen worden war.

Die sechs an der Tat beteiligten Personen, darunter auch ein 15jähriger, sind noch in der gleichen Nacht gefaßt und verhört worden. Der 18jährige Täter ist geständig und wurde dem Haftrichter in Koblenz vorgeführt, der ihn wegen Totschlags in Untersuchungshaft nahm.

Nihad Yusufoglu war auf dem Weg nach Hause, als ihn eine sechsköpfige Gruppe angetrunkener jugendlicher Skinheads attackierte. Der Verwundete schleppte sich in der Westerwälder Kleinstadt noch fast hundert Meter die Hauptstraße entlang. Nur zehn Meter vor der Tür des von der Familie bewohnten Fachwerkhauses brach er zusammen und starb. Den Vorwurf, Polizei und Krankenwagen seien erst mit erheblicher Verspätung erschienen, hat die Familie mittlerweile zurückgenommen.

„Plötzlich sind sie alle am Start“, spöttelte am Samstag ein junger Mann: der türkische Konsul, Landrat und Bürgermeister, „sogar die Geschäftsleute haben heute zu gemacht“. Hendrik Hering, mit 26 Jahren jüngster Bürgermeister Deutschlands, hielt eine regelrechte Predigt: „Für Nihad kommen Betroffenheit und Entsetzen zu spät. Wir haben allen Grund, auf das tiefste beschämt zu sein. Unser Widerstand gegen Ausländerfeindlichkeit hätte früher und massiver kommen müssen“. Hering forderte die Bürger zu Mut und Zivilcourage auf.

In der Tat bleiben einige Fragen offen. So kritisierte das Bildungswerk Westerwald, schon Tage zuvor hätten Aktionen der Skinheads gegen die Familie Yusufoglu Ausmaße angenommen, „die nichts mehr mit ,Dumme-Jungs-Aktivitäten‘ zu tun haben. Die Familie wurde dreist und brutal attackiert.“ Vom gegenüberliegenden Parkhaus aus habe der Trupp die Familie an mehreren Abenden regelrecht belagert, ohne behelligt zu werden. Das Wohnhaus sei mit Steinen und Bierdosen beworfen worden, wobei Fensterscheiben zu Bruch gingen und Dachziegel zerstört wurden.

Am Tag der Tat hatten die Skins bereits einen Deutschen attackiert, der jedoch flüchten konnte. Die Jugendlichen seien schon tagsüber betrunken gewesen, hätten sich allmählich „hochgeschaukelt“ und nach Opfern gesucht, „um Dampf abzulassen“, so der Betroffene. Niemand habe das ernst genommen. Es sei lediglich von kleinen, verschwindend geringen Häufchen einiger „Spinner“ gesprochen worden. Jetzt, nach der Tat, fühlen sich einige Einwohner aufgerufen, selbst Polizisten zu spielen: „Wir müssen die ,rund machen‘, diese Milchgesichter, das ist das einzige was hilft.“

Das Asylverfahren der Familie Yusufoglu ist vor dem Verwaltungsgericht Koblenz anhängig. Die Familie hat aus Angst vor weiteren Vorkommnissen eine Umsiedlung nach Schleswig-Holstein beantragt, dem vermutlich entsprochen wird. Asyl jedoch wird Kurden nach der derzeitigen Praxis nicht gewährt. Ekkehart Schmidt

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