piwik no script img

“Ruckediguu, Mist ist am Schuh! „

■ “Ratten der Luft“ machen den Bahnhof unsicher

Glück soll's bringen, Gemüsebeete und selbst hoffnungslose Kahlköpfe befruchten — ein kräftiger Klecks Taubendreck. Den unvermutet vom Segen von oben Getroffenen kommt aber wohl statt eines Dankgebets eher Georg Kreislers Couplet vom „Taubenvergiften im Park“ über die Lippen.

Beliebter Tatort der inzwischen als „Ratten der Luft“ verschrieenen Großstadttauben ist der Bremer Hauptbahnhof. Bei Einbruch der Dunkelheit suchen sie massenhaft Zuflucht zwischen den Trägern der Gleishallen. Vereinzelt trippeln sie aber auch, bei jedem Schritt geschäftig mit dem Kopf ruckelnd, zwischen hetzenden und kofferschleppenden Reisenden hin und her.

Die Boten des Friedens und Sinnbilder turtelnder Liebe sind zu Großstadttramps verkommen, die sich zwischen Zigarettenkippen verdreckte Brötchen-und Frittenkrümel herauspicken.

Das Taubenproblem im Bremer Bahnhof nahm seinen Anfang mit dem Ende der Dampfloks. Schon 1966 schrieb die Bundesbahndirektion an Tierprofessor Bernhardt Grzimek nach Frankfurt. Der sollte praktische Tips geben zur Reduzierung der Tauben- und Dohlenhorden, die den gerade rußfreien Bahnhof verdreckten. Sein Rat: gelegentlich mal wieder „räuchern“, sei es durch Dampflok oder durch Rauchbomben.

Die Dohlen gingen, die Tauben blieben. Woher deren Vorliebe für die hohen Hallen rührt, kann man in des Professors dickbändigem „Tierleben“ nachlesen: Unsere Haustaube und auch deren verwilderte Stadtstreicher-Nachkommen stammen von der Felsentaube (“columba livia“) ab. Die hält sich, wie der Name schon sagt, am liebsten in Felsen, Klippen und Spalten auf. Ersatzweise lassen sich die Großstadttauben in Nischen an Kirchen, Türmen und eben Bahnhofshallen nieder, einem Rest von Instinkt folgend, der ihnen hohe, steinige Landeplätze anweist.

Beim Fressen allerdings läßt sie der Instinkt im Stich. Statt auf Körner und Unkrautsamen stürzen sie sich auf Pappsemmel und andere fett-und kohlehydratreiche Zivilisationsbröckchen, die ihnen vermeindliche TierfreundInnen vor die immerfort pickenden Schnäbel werfen. Das führt laut Grzimek zu Bewegungsarmut und Vitaminmangel. Durch den ständigen Nahrungsüberfluß brüten die Tauben praktisch das ganze Jahr hindurch, zum Beispiel in den Klüften und Vorsprüngen des Überseemuseums, wo viele neue Übernachtungsgäste für den Bahnhof schlüpfen.

Bei der Bremer Bundesbahn gibt es schon eine dicke Akte über die diversen — allesamt gescheiterten — Versuche, der Taubenplage Herr zu werden. Zwei Kilogramm ätzenden Kot produziert die Durchschnittstaube pro Jahr. Die Bausubstanz des Kuppelbaus wird angegriffen, befürchten die Baufachleute der Bahn. Außerdem machen von Taubendreck bedeckte Bahnsteige einen schlechten Eindruck, ganz zu schweigen von dem Ärger mit Reisenden, die einen dicken Klecks auf den Trenchcoat oder das funkelnagelneue Reisekostüm erhalten.

„Schadenersatzpflichtig sind wir allerdings nicht“, erklärt DB- Pressesprecher Klaus Kopka, „denn die Tauben sind schließlich nicht unsere Haustiere.“ Aber weg sollen sie, auch wenn das seinen Preis kostet. Vergiften und abschießen kommt nicht in Frage. Also wurden den gefiederten Plagegeister „Populationshemmer“ unters Futter gemischt. Das Ergebnis: Fehlanzeige. „Die Tauben gehen da nicht ran, weil sie von den Leuten zuviel gefüttert werden“, meint Kopka. Als untauglich erwiesen sich auch teure Ultra-Schall-Geräte, die in den Gleishallen installiert wurden. Die Täubchen haben den abschreckenden Schall binnen kurzem ignoriert. Auch Klebepaste auf Pfeilern und Mauervorsprüngen konnte sie nicht vertreiben. „Die Tauben leben eben gerne bei uns“, resigniert Kopka.

Noch im Gespräch für die Aktion sauberer Bahnhof ist noch die Totalvernetzung der oberen Hallenbereiche, geschätzte Kosten: 100.000 Mark. Eine Essener Firma will die Tauben einfangen und nicht etwa Taubenragout davon machen, sondern, den Tierschützern sei Dank, den Tierchen in „Pensionen“ bis zum natürlichen Ableben ein Gnadenbrot servieren. Die Gespräche mit der Bundesbahn laufen noch.

Annemarie Struß-von Poelnitz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen