Bald Weißkittel ohne Grauschleier?

■ Trotz zu erwartender Kürzungen im Berliner Haushalt ist der geplante Reformstudiengang Medizin scheinbar nicht gefährdet/ Nur das Gesundheitsministerium in Bonn kann das Projekt noch kippen

Berlin. Der Reformstudiengang Medizin ist möglicherweise eines der wenigen Projekte, die trotz des derzeitigen Finanzdebakels im Berliner Haushalt nicht beschnitten werden. Das Reformstudium, das erstmals Praxis und Theorie während der gesamten Studiendauer verzahnen will, soll voraussichtlich im Sommer 1992 für 60 Studierende starten. Bereits in diesem Frühjahr ist ein zweiwöchiger Probeblock geplant.

Die schon seit Jahren diskutierte Reform des Medizinstudiums nahm erstmals nach dem Unistreik im Wintersemester 88/89 konkrete Formen an. Damals entwickelte die im Streik entstandene Arbeitsgemeinschaft erste Pläne für ein »Berliner Modell«. Der rot-grüne Senat stellte das Projekt dann auf finanziell gesicherte Beine: Im Mai 1990 nahm die Planungsgruppe mit vier wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und einer Sekretärin sowie einem Sachmitteletat in Höhe von jährlich 50.000 Mark in Berlin ihre Arbeit auf. Es ist damit bundesweit das einzige Projekt dieser Art. Ziel ist es, durch die Aufhebung der bislang starren Trennung von Klinik und Vorklinik eine praxisnahe Ausbildung zu ermöglichen. Damit soll erreicht werden, daß die StudentInnen die Bedeutung vorklinischer Lerninhalte — wie Anatomie oder Chemie — für klinische Probleme erkennen und an den Krankengeschichten der PatientInnen darstellen können. Vom ersten Semester an soll nicht mehr die systematische, sondern die problemorientierte Wissenserarbeitung im Mittelpunkt stehen. Dies bedeutet, daß die Studierenden nicht mehr wie bisher unter dem Druck des Frontalunterrichts aus dem Zusammenhang gerissene Einzelaspekte auswendig lernen müssen, sondern in kleinen Gruppen aus der ärztlichen Praxis entnommene Fallbeispiele bearbeiten. Reform im Sinne der Planungsgruppe heißt jedoch auch, das medizinische Lehrprogramm mit Fächern wie Soziologie, Ethik oder Gesundheitspolitik zu ergänzen. »Wir wollen den viel zu spezialisierten Studienkatalog entrümpeln und die Grundlagenfächer wieder in den Vordergrund stellen«, erläutert Thomas Ruprecht, wissenschaftlicher Mitarbeiter innerhalb der Planungsgruppe. Aufgehoben werden soll die Zentralisierung des Medizinstudiums zugunsten einer Vielfalt unterschiedlicher Ausbildungsmodelle.

All diese Vorhaben, so Ruprecht, setzen jedoch auch eine Änderung der Prüfungsordnung voraus. Die derzeit gültige Approbationsordnung, die zur Sicherung der medizinischen Versorgung die einheitliche Ausbildung aller ÄrztInnen garantiert, müßte dazu eine Ausnahme zulassen — beispielsweise in Form einer Experimentierklausel. »Dafür müssen wir plausibel machen, daß das, was wir planen, dieselben Qualitätsmaßstäbe erfüllt wie das klassische Studium.« Antreten müssen Ruprecht und seine KollegInnen diesen Beweis in Bonn — denn zuständig für die Approbationsordnung ist das Ministerium für Jugend, Frauen, Familie und Gesundheit. Hier muß entschieden werden, ob sich der Reformstudiengang durchführen läßt. Denn wenn die Prüfungsordnung nicht geändert wird, so Ruprecht, »scheitert das ganze Projekt«.

Der Unterstützung von renommierten Medizinern, unter anderem aus dem Deutschen Fakultätentag und dem von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützten »Murrhardter Kreis« kann sich die Planungsgruppe jedenfalls gewiß sein. Besonders zuversichtlich stimmt die Mitglieder der Planungsgruppe, daß sich mittlerweile auch der Wissenschaftsrat der Bundesregierung positiv geäußert hat: Der vorgesehene Reformstudiengang »verdiene Beachtung und Unterstützung«, heißt es in seiner Stellungnahme zum Ausbau des Universitätsklinikums Steglitz, besonders aussichtsreich sei dabei die Tatsache, daß der Reformstudiengang mit dem erforderlichen Personaleinsatz vorbereitet werde.

Insofern glaubt Ruprecht auch nicht, daß der Reformstudiengang dem Rotstift zum Opfer fällt. Zwar laufen die Verträge der Planungsgruppe verbindlich nur noch bis September, den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen wurde jedoch bereits signalisiert, daß das Projekt auch innerhalb der Koalitionsverhandlungen bei CDU und SPD unstrittig war. maz