: Mieterverein gegen Mietensprung
■ Bonner Koalition beschließt Verfünffachung der Mieten in der ehemaligen DDR ab Oktober Mieterverein fordert sozialverträgliche Sonderregelung für Ost-Berlin/ Wohngeld reicht nicht aus
Berlin. »So, wie das jetzt abläuft, ist das ein ganz großer Betrug an der Bevölkerung«, meinte eine Mieterin aus Ost-Berlin gestern auf der Pressekonferenz des Mietervereins verbittert. Die Mieterberatung des Vereins in Ost-Berlin wird derzeit überlaufen, vor allem Rentnerinnen und Arbeitslose geraten in Panik. Denn nach den Beschlüssen der Bonner Koalition dieser Woche (die taz berichtete) steigen die Mieten in der ehemaligen DDR schneller, als selbst Schwarzseher befürchteten.
Im April 1991 werden die Betriebskosten voll auf die Miete umgelegt, im Oktober die Heizungskosten. Gleichzeitig werden die Grundmieten von derzeit gut einer Mark pro Quadratmeter verdoppelt. Die Ostberliner Mieten würden sich somit verfünffachen und im Schnitt bei 6,75 Mark warm pro Quadratmeter liegen, so der Mieterverein. In einzelnen Bezirken, beispielsweise in Weißensee, betragen die Heizungskosten sogar über vier Mark pro Quadratmeter.
»Da bleibt für die Masse der Bevölkerung kaum etwas zum Leben übrig«, sagte Mietervereinschef Hartmann Vetter. Außerdem seien diese Beschlüsse ein »Wortbruch« gegenüber den Mietern der ehemaligen DDR. Denen sei versprochen worden, daß die Mieten nur mit dem Einkommen steigen würden. Das müßte auch für die Betriebs- und Energiekosten gelten, die zudem noch nicht einmal verbrauchsabhängig berechnet werden können. Es kann sogar noch schlimmer kommen: Sogar die Instandsetzung darf auf die Miete aufgeschlagen werden, was im Westen nicht möglich ist, und zwar mit elf Prozent der Baukosten auf die Jahresmiete. Für Modernisierungsmaßnahmen gilt das gleiche. Da eine gründliche Sanierung rund 100.000 Mark kostet, müßten dann für eine sanierte Altbauwohnung über 1.000 Mark Miete gezahlt werden. Solche Steigerungen können durch Wohngeld nicht aufgefangen werden, weil in der ganzen DDR die — niedrigste — Mietenstufe eins gilt. Ein Rentner mit einem Durchschnittseinkommen von 780 Mark und einer Miete von 150 Mark hätte beispielsweise Anspruch auf 27 Mark Wohngeld. Eine dreiköpfige Familie mit einem Nettoeinkommen von 1.550 Mark, die 260 Mark Miete zahlt, bekommt mal gerade elf Mark Wohngeld.
Der Mieterverein fordert eine sozial verträglichere Regelung. Die Miete im Ostteil der Stadt dürfe höchstens auf drei Mark warm pro Quadratmeter steigen. Solche Sonderregelungen für Ostberlin dürfen nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages erlassen werden. Den Beschlüssen der Bonner Koalition muß noch der Bundesrat zustimmen. Der besteht mehrheitlich aus CDU-geführten Ländern, die teils als ehemalige DDR-Länder von den Beschlüssen selbst betroffen wären. esch
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