piwik no script img

„Es wird nicht vorausgedacht“

■ Wulf Schönbohm über die CDU und die Koalitionsvereinbarungen INTERVIEW

Im Sommer 1989 war Helmut Kohl, so schien es zumindest, am Ende. Alles sah nach einem Putsch in der Partei aus. Die Protagonisten von damals hießen Süssmuth, Albrecht, Geißler, Späth. Anderthalb Jahre später sind diese innerparteilichen Kontrahenten Kohls mehr oder weniger abserviert. Was heißt das für ihre Partei?

Wulf Schönbohm: Ein ähnlicher Versuch oder Überlegungen in diese Richtung wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, daß die Partei lammfromm wird. Sie steht in der großen Gefahr, zu einem Anhängsel der Regierung zu werden. Und das haben wir immer als eine Gefahr angesehen. Der Rücktritt von Lothar Späth bedeutet einen großen Verlust für die CDU insgesamt und war nicht nötig. Ich fürchte, er ist wegen der mangelnden Solidarität der Partei zurückgetreten.

Sehen Sie in der CDU keine Gruppen oder Personen mehr, die der Partei programmatisches Profil geben könnten?

Das möchte ich damit nicht ausdrücken, denn Rita Süssmuth ist ja weiter politisch aktiv.

... aber als Bundestagspräsidentin politisch auch relativ stillgestellt.

Vor zwei Jahren war sie auch schon Bundestagspräsidentin.

Aber damals hatte sie in der Partei die entsprechenden Ansprechpartner, mit denen sie sozusagen jenseits ihres Amtes Politik machte.

Ja, das ist ein Problem. Aber sie ist ja weiter Vorsitzende der Frauenunion und stellvertretende Parteivorsitzende. An ihren Funktionen hat sich seit 1989 nichts geändert.

Wenn es politische Strömungen in einer großen Volkspartei gibt, die ja für eine innerparteiliche Diskussion und programmatische Entwicklung dynamisierend sein können, dann brauchen sie doch Führungsfiguren?

Es ist schon richtig, daß da jetzt einige weg beziehungsweise nicht so präsent sind. Personen sind immer auch Kristallisationskerne von politischen Ideen und Richtungen einer Partei. Ich glaube, so etwas muß sich in der CDU jetzt erst wieder neu formieren. Es gibt ja weiter die Sozialausschüsse, die Junge Union. Es gibt weiter Leute mit Ideen, wie sie Heiner Geißler und Lothar Späth vertreten — zum Beispiel Erwin Teufel.

Sie und auch Geißler haben immer auf die sich lockernden Bindungen der Wähler gegenüber den Parteien hingewiesen und versucht, dies programmatisch und gesellschaftspolitisch zu berücksichtigen. Jetzt ist ihr Flügel in der Partei im Abseits, und trotzdem gewinnt die Kohl-CDU. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

In der Tat haben wir in aller Deutlichkeit schon nach der Bundestagswahl 1987 auf die von Ihnen angesprochenen Veränderungen der Wählerlandschaft hingewiesen. Wir haben auch gesagt, daß die CDU angesichts des Wechselwählerpotentials eine Chance hätte, in Arbeiterschichten, also das eigentliche Stammwählerpotential der SPD, einzudringen. Was die letzte Bundestagswahl angeht, ist es ja so, daß die CDU beeindruckend stark in den neuen Bundesländern abgeschnitten hat, und dort vor allem in Sachsen und Thüringen sehr stark bei den Arbeitern. Wenn man allerdings das Wahlergebnis der CDU im Westen der Bundesrepublik mit dem von 87 vergleicht, dann ist es erschreckend schlecht für die CDU/CSU. Und das in so einer optimalen Konstellation, in der der Kanzler mit dem Thema „Deutschland“ weit über die Union hinaus angesehen ist und in der die SPD doch ziemlich verunsichert und nicht sehr geschickt agierte. Trotzdem hat die Union im Vergleich zu 87 nicht wesentlich zugelegt. Und ich erinnere daran: Schon das 87er Ergebnis ist von unheimlich vielen Leuten in der eigenen Partei als ein wahnsinnig schlechtes Wahlergebnis angesehen worden, was damals in der Partei und auch in den konservativen Zeitungen auf den Geißler-Kurs zurückgeführt wurde. Das Wahlergebnis von 90 ist für die Union insofern eher Anlaß zur Beunruhigung als zur Beruhigung.

Außenpolitisch hat die Kohl- Genscher-Regierung die Einheit abgesichert und deshalb wohl auch die Wahlen gewonnen. Wie sehen Sie denn — die Koalitionsverhandlungen sind gerade abgeschlossen worden — die innenpolitische Absicherung der Vereinigung?

Wie Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher die Einheit außenpolitisch hingekriegt haben, war in der Tat eine glanzvolle Leistung. Wenn man in Relation dazu sieht, was die Koalition jetzt vorzuweisen hat im Hinblick auf die Frage der innenpolitischen Bewältigung dieser Einheit, was konzeptionell erkennbar wird zur Lösung der nun wirklich gravierenden Probleme in den neuen Bundesländern, da bin ich nun wirklich erschüttert. Ich habe den Eindruck, die Koalitionäre machen eine Politik ganz so, als wenn die Einheit gar nicht stattgefunden hätte, als ob sie für uns im Westen hätte folgenlos sein können. Die praktische Botschaft war: Wir werden zwar die Einheit kriegen, aber ihr, liebe Bundesbürger im satten Wohlstand, braucht keine Angst zu haben, daß das irgendwelche gravierenden Folgen für euch hat. Das war falsch, ist falsch, und das wird jetzt deutlich. Die Koalition hat immer noch nicht den Mut, wirklich Konsequenzen daraus zu ziehen. Das Land Nordrhein- Westfalen, aber auch der Bund und die Gemeinden, das ist überall dasselbe, geben Millionen aus für sogenannte Rückbaumaßnahmen in der Verkehrspolitik. Also Straßen, die man in den 70er Jahren verbreitert hat, werden jetzt künstlich wieder mit Blumenkübeln und so weiter verengt, und gleichzeitig sind die Straßen in der DDR so verrottet, daß man kaum noch darauf fahren kann. Und da frage ich, haben wir wirklich keine anderen Sorgen im Westen?

Die Koalition hat ja jetzt die Telefongebührenerhöhung beschlossen und die Arbeitslosenversicherungsbeiträge um zweieinhalb Prozent angehoben. Lassen solche finanzpolitischen Entscheidungen ein Konzept erkennen?

Nein. Mir ist es unverständlich, warum die Regierung nicht ein überzeugendes finanz- und haushaltspolitisches Konzept vorgelegt hat. Denn es war doch spätestens seit einem halben Jahr klar, daß man nach der Wahl vor allen Dingen Finanz- und Haushaltsprobleme haben würde, um die Einheit zu bewältigen. Und dann an den Sozialabgaben rumzufummeln, was ja die Ungerechtigkeit hat, daß Selbständige — und ich bin selbständig — und Beamte davon gar nicht betroffen sind: das sind alles Dinge, die zeigen, daß konzeptionell, strategisch nicht vorausgedacht worden ist. Ich finde die Koalitionsvereinbarungen — zurückhaltend formuliert — nicht überzeugend. Die hessischen Parteifreunde tun mir leid, daß sie damit Wahlkampf machen müssen.

Welches Konzept hätten denn die Reformkräfte in der Union, für die Geißler, Sie und andere stehen, dem entgegengesetzt?

Ich persönlich hätte von Anfang an, spätestens aber im Frühjahr letzten Jahres, von seiten der Union und der Regierung argumentiert — und habe das auch intern empfohlen —, daß ein so einmaliges politisches Ereignis wie die Einheit dazu zwingt, von Ritualen Abstand zu nehmen. Ich hätte alle Parteien, alle Organisationen und Institutionen an einen Tisch geholt, mit dem Ziel, gemeinsam zu überlegen, wie wir die Einheit außen- und vor allem auch innenpolitisch bewältigen können.

Sie wollten einen runden Tisch?

Das ist zwar ein blöder Ausdruck, aber im Prinzip war die Idee richtig— früher hätte man das konzertierte Aktion genannt. Ich war der Meinung, man hätte von Anfang an sagen müssen, daß wir auch Opfer bringen müssen für die Einheit, und das heißt auch Steuererhöhungen. Nachdem das falsch gemacht wurde, war die CDU in einer schwierigen Lage. Trotzdem hätte sie auch noch vor der Wahl zugeben können, daß sie sich getäuscht hat. Und daß nach der Wahl im Interesse der Anhebung der Lebensbedingungen in den neuen Bundesländern die Bundesbürger zur Kasse gebeten werden. Denn Steuererhöhung und Subventionsabbau sind auf jeden Fall die gerechtere Lösung. Abgesehen davon fühlen sich die Leute durch das, was jetzt gemacht wird und vor der Wahl gesagt wurde — und das ist mit das Schlimmste, was eine Partei oder eine Regierung machen kann —, auf den Arm genommen. Interview: Max Thomas Mehr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen