: Hinter dem Bildschirm
Noch ist in den Fernsehnachrichten nur die perverse Eleganz und die kalte Brutalität moderner Kriegsmaschinen zu sehen. Noch ist nur von präzisen Schlägen, chirurgischen Eingriffen und erreichten Zielen die Rede. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis die ersten Reporter die verordnete Zensur durchbrechen werden. Dann gibt es im Frühstücksfernsehen zerrissene Leiber, geborstene Schädel und zerfetzte Leichen. In verschorfte Verbände gehüllte Opfer eines Giftgasangriffs werden natürlich nicht dazu beitragen, die Einschaltquoten zu senken — im Gegenteil! Das Grauen des Krieges läßt sich hervorragend vermarkten. Denn der Verwesungsgestank und das Gas vermögen das schützende Glas des Fernsehschirms nicht zu durchdringen. Für viele existiert das Grauen nur in den Medien und durch sie. Die Einschaltquoten klettern in Höhen, die bislang der Fußballweltmeisterschaft vorbehalten waren.
Manche Zuschauer erliegen der Faszination der bunten TV- Kriegsbilder. Sie benutzen dann selbst eine Sprache, die ein Mischmasch aus Reklame, Schlagzeile und Kurznachricht ist. Die rheinland- pfälzischen Grünen verbreiteten zum Beispiel eine Pressemitteilung, die sich wie die Werbung für einen Hollywood-Monumentalschinken anhört. Unter der Überschrift „US- Amerikaner, die Mongolen des 20. Jahrhunderts“ heißt es da unter anderem: „Die größte und grausamste Zerstörung, die Bagdad in der Geschichte bisher erlebt hat, geschah im Jahr 1258 durch die Mongolen unter Hülägü, einem Enkel Dschingis Khans. Saddam Hussein ließ sich bisher gerne als Saladin des 20. Jahrhunderts feiern, der die Ungläubigen aus dem Nahen Osten vertreiben werde, wie Saladin die Kreuzfahrer aus Jerusalem vertrieb. Bush hat jedoch größere Chancen, als Hülägü des 20. Jahrhunderts in die Geschichte einzugehen.“ Ob dieser Vergleich Bush oder irgendeinem anderen Verantwortlichen mehr als einen Lacher entlocken wird, darf bezweifelt werden.
Zuweilen sind Entscheidungen, die im Namen der Betroffenheit gefällt werden, nicht mehr nachzuvollziehen. So strich das ZDF „Wetten, daß...?“ aus dem Samstagabendprogramm. Die „betonte Fröhlichkeit“ erschien dem Sender „zur Zeit nicht angemessen“. Statt dessen werden nun die „Melodien für Millionen“ das Fernsehvolk unterhalten. Was aber an der Quasselstrippe Dieter Thomas Heck seriöser sein soll als an Thomas Gottschalk, wird wohl das Geheimnis von Intendant Stolte bleiben. Karl Wegmann
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