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Alle Welt geht auf die Straße

Hunderttausende protestieren in Europa und den USA gegen Krieg/ Vielerorts Verkehr lahmgelegt/ Polizei setzt Gewalt ein  ■ Von unseren KorrespondentInnen

Berlin (taz) — Hunderttausende gingen weltweit am ersten Tag nach dem Angriff der USA auf den Irak gegen den Krieg auf die Straße oder beteiligten sich an vielfältigen Protestaktionen. In der Bundesrepublik protestierten am Donnerstag rund 250.000 Menschen, ein großer Teil von ihnen SchülerInnen.

Rund 20.000 MitarbeiterInnen verschiedener BMW-Werke in Bayern und Berlin sowie 7.000 Audi-ArbeiterInnen in Neckarsulm schalteten am Morgen für fünf Minuten die Bänder ab. Der DGB rief alle ArbeitnehmerInnen auf, sich an Demonstrationen und Kundgebungen zu beteiligen. In Berlin zogen am Nachmittag etwa 30.000 zum US-Hauptquartier und bildeten dort eine Menschenkette. Am Abend trafen sich zwei Züge aus Ost und West vor dem Brandenburger Tor zu einer Kundgebung. Die Veranstalter sprachen von über 100.000 TeilnehmerInnen. Als im Anschluß eine kleine Gruppe Randale machte, griff die Polizei mit Wasserwerfern ein. Auch in anderen Städten ging die Polizei handgreiflich gegen DemonstrantInnen vor. 2.000 Leute besetzten den Bahnhof von Göttingen und legten stundenlang den Zugverkehr auf der zentralen Strecke Hannover-Fulda lahm. Nach drei Stunden räumte die Polizei den Bahnhof unter Schlagstockeinsatz. Auch in Köln besetzten mehr als 100 DemonstrantInnen die Gleise des Kölner Hauptbahnhofes und brachten den gesamten Zugverkehr zum Erliegen. Zu einem Zusammenbruch des morgendlichen Berufsverkehrs führte die Blockade von drei Kölner Rheinbrücken.

Bereits um 6.30 Uhr früh wurden gestern morgen in Bremen Weserbrücken blockiert. Der Berufsverkehr brach zusammen. Für die Zeit zwischen 11.55 und 12.00 Uhr hatte der DGB zu einer Denkpause aufgerufen. 400 StudentInnen und 200 ArbeiterInnen der Deutschen Airbus (früher MBB) demonstrierten gemeinsam vor dem Werkstor. Auch die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes beteiligten sich an der Denkpause. Straßenbahnen und Busse blieben stehen, wo sie sich gerade befanden. Folge: Erneutes Verkehrschaos.

Auch in Oldenburg wurden wieder Blockaden am Fliegerhorst durchgeführt. Bei Verkehrsblockaden, die SchülerInnen in der Innenstadt durchführten, kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Glockenläuten gegen den Krieg erklang, als sich gestern Mittag in Frankfurt vor dem Römer rund 5.000 Frauen versammelten, aufgerufen von den Grünen, dem Frauendezernat und der ÖTV. Die Frauen wehrten sich dagegen, daß im Kriegsfall ihre sozialen Kompetenzen in Anspruch genommen werden sollen. Außerdem zog eine Gruppe von DemonstrantInnen vor das Bundesamt für Wirtschaft. Deren Pressesprecher reagierte gelassen auf die Parole „Hausfriedens- gegen Weltfriedensbruch“. Er beklagte sich über die Rüstungsfirmen, die das Waffenembargo gegen den Irak gebrochen hätten und bot für die kommende Woche Gespräche an. Auch in Kassel und Gießen gab es wieder Großdemonstrationen. Die Kasseler zogen dann vor die Tore der Firma Wegmann, bei der Schützenpanzer der Bundeswehr stehen. Die Polizei meldete, daß in der Nacht zuvor unter einem der dort stehenden Panzer zwei Molotow-Cocktails geringen Sachschaden angerichtet hätten.

Viertel vor zwölf hielten gestern in München die U-Bahn-SchaffnerInnen ihre Bahnen an, um damit gegen den Golfkrieg zu protestieren. Am Abend zuvor waren über 20.000 MünchnerInnen auf den Straßen und legten mit ihrem Protest den Verkehr in der Innenstadt lahm. Doch ganz im Gegensatz zur sonstigen Ungeduld der Autofahrer bei Demos hupte diesmal niemand. Bereits am gestrigen Vormittag demonstrierten wieder Tausende von SchülerInnen aus den verschiedenen Münchner Gymnasien. Ihnen drohen jedoch Verweise, wenn sie demonstrieren. Der bayerische Kultusminister Zehetmaier versuchte die SchülerInnen einzuschüchtern.

Nachdem sich in Hamburg in den vergangenen Tagen Protestaktionen und Verkehrsblockaden auf die Innenstadt konzentriert hatten, folgten gestern vormittag mehrere hundert, überwiegend junge Menschen einem Aufruf der SchülerInnenkammer und blockierten die Ein-und Ausgänge des Flughafens Fuhlsbüttel. Zwei Stunden später räumte die Polizei den Haupteingang mit Wasserwerfern. Es kam zu Schlägereien zwischen Blockierern und Beamten. Die Aktion hatte sich dagegen gerichtet, daß vom Hamburger Flughafen aus Soldaten und Kriegsmaterial an den Golf transportiert wurden.

Auch im Ausland Massenproteste: Bei Protestmärschen in San Francisco, Washington und Boston nahm die Polizei über 800 Menschen fest. In Italien und Spanien demonstrierten Hunderttausende gegen den Krieg. In Paris gingen rund 20.000 auf die Straße und riefen: „Schluß mit dem Mord an dem irakischen Volk, Bush und Mitterrand sind Mörder.“

In Pakistan, Bangladesh und Indien protestierten Tausende von Moslems und Hindus gegen den Angriff der multinationalen Streitkräfte auf den Irak. Tausende Menschen strömten nach dem Freitagsgebet auf die Straßen und feierten die Nachrichten über den irakischen Raketenangriff auf Israel.

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