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Empörung in Rüstungsbetrieben

Betriebsräte und Beschäftigte fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt/ Gespräche mit Betriebsräten von Firmen, die an den Irak geliefert haben sollen  ■ Von Martin Kempe

Georg Deiselmann ist ein alter Gewerkschaftler. Seit 40 Jahren ist er Mitglied der Industriegewerkschaft Metall, seit Jahren Vorsitzender des Betriebsrats der Firma Wegmann in Kassel — ein alter Fuchs, der alle Kniffe des Geschäfts kennt und der genau weiß, wie die Stimmung unter den 4.800 Beschäftigten des Betriebs ist. Derzeit ist die Stimmung schlecht. „Die lassen sich das nicht mehr lange bieten“, berichtet Deiselmann über das, was in den letzten Tagen, seit Ausbruch des Krieges am Golf, im Betrieb diskutiert wird.

Die Firma Wegmann in Kassel — beteiligt an diversen Rüstungsproduktionen wie dem Leopard II und einem Flakpanzer — steht im Verdacht, Rüstungsgüter an den Irak geliefert zu haben. Es handelt sich nach der in der taz veröffentlichten Liste des amerikanischen Senats um Zugmaschinen für Raketenabschußgeräte — jene mobilen Rampen also, von denen die Scud-Raketen des Iraks auf Israel und Saudi-Arabien abgeschossen wurden.

Deiselmann ist empört über diese in der Öffentlichkeit erhobenen Anschuldigungen gegen die Firma und damit auch, so empfindet er es, gegen die Belegschaft. „Was Recht ist, muß Recht bleiben“, sagt er, denn „es stimmt einfach nicht“, daß derartiges aus „seinem“ Betrieb an den Irak geliefert worden sei. Nur einmal habe der Betrieb einen Unterauftrag des Rüstungsproduzenten MBB ausgeführt, das war schon 1984, und das sollen angeblich Abschußrampen gewesen sein. Diesen Auftrag hätte man ausgeführt. Es sei alles korrekt gewesen — „Stempel nach Kriegswaffenkontrollgesetz“. Und was der Auftraggeber dann gemacht habe, das könne man natürlich nicht wissen. „Wir wissen doch nicht, wo das hingeht.“

Jedenfalls eins ist klar: Es sei unverantwortlich, durch Presseveröffentlichungen die „Leute gegen unsere Kollegen aufzuwiegeln“, die doch „genauso ihre Pflicht tun wie alle anderen in ihrem Beruf auch“. Verteidigungsproduktion sei schließlich vom Bundestag beschlossen, und im übrigen bemühe man sich von seiten des Betriebsrats auch, „etwas für Konversion und Zivilproduktion zu tun“.

Der altgediente Betriebsratsvorsitzende Deiselmann spricht für die meisten seiner Kollegen. Die Beschäftigten jener Betriebe, die auf den diversen Listen als Irak-Rüstungslieferanten verzeichnet sind, fühlen sich unschuldig öffentlich an den Pranger gestellt. Die Betriebsräte beteuern durchweg, sie hätten einen ganz genauen Überblick über die Produktion des Betriebes und könnten deshalb mit Sicherheit ausschließen, daß Rüstungsgüter oder gar Anlagen zur Giftgasproduktion an den Irak geliefert worden seien. Volkhard Waltermann ist Betriebsrat bei der Gildemeister-Projekta GmbH, einem Betrieb in Bielefeld, der laut Liste als Generalauftragnehmer für eine Chemiewaffenfabrik fungiert haben soll.

Waltermann stellt klar: Der Betrieb, Tochter des Gildemeister-Konzerns mit 50 Beschäftigten, projektiert Industrieanlagen und Schulzentren. Mit der Erstellung von Giftgasfabriken habe der Betrieb nichts zu tun. „Das ist etwas, was die Belegschaft weiß, was aber leider die Demonstranten nicht wissen, die draußen vor der Tür stehen.“ Die projektierten Labors seien viel zu klein und technisch ungeeignet für die Kriegsproduktion.

Natürlich könne man nie völlig ausschließen, daß derartiges auf einer der Produktion vorgelagerten Stufe militärisch verwendet werde. Aber, so greift er den Vergleich dankbar auf; das könne man bei der Lieferung von Lastwagen schließlich auch nicht. Jedenfalls seien die 50 Beschäftigten des Betriebes „sehr, sehr betroffen über das, was die Presse draußen macht“. Sie fühlten sich zutiefst ungerecht beschuldigt, daß ihre Arbeit mit der Giftgasproduktion Saddams vermischt werde. Und Waltermann ist sich auch vollkommen sicher, daß jene, die ihn zum Betriebsrat gewählt haben, ebenso wie die Geschäftsführung, bei einem wirklichen Rüstungsauftrag nie mitmachen würden.

Lastwagen stellen die 6.700 Beschäftigten der Iveco Magirus Deutz in Ulm her. Und auch sie wollen mit der Anschuldigung, Zuarbeiter des irakischen Diktators gewesen zu sein, nichts zu tun haben. Betriebsratsvorsitzender Hans Rieger ist sich völlig sicher, daß es keinerlei Geschäftsverbindungen zum Irak gab und gibt. Der letzte kleine Auftrag aus dem Irak sei von 1984 gewesen, habe die Lieferung von ganzen acht Lastwagen umfaßt. Aber 1982 wurden 700 Lastwagen aus dem Ulmer Werk an das irakische Regime ausgeliefert, obwohl damals schon seit zwei Jahren der Krieg zwischen den Nachbarländern Irak und Iran tobte.

Dennoch: „Die Anschuldigungen sind für mich eine Ungeheuerlichkeit.“ Denn mit Rüstung habe das Ganze schließlich nichts zu tun. Man könne auf einen Lastwagen schließlich alles laden. „Man kann gelbe Rüben, rote Bete transportieren — und man kann Raketen transportieren.“ Darauf hat der Hersteller schließlich keinen Einfluß, meint Rieger. Nach der Liste des amerikanischen Senats hat der Kunde Irak darauf mobile toxikologische Laboratorien transportiert.

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