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DERMIGRÄNE-MUSIK-TIP ■ THE SILOS
Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben und sei's nur für die Dauer eines Zigarettenzugs: Zwei Schulfreunde treffen sich 1000 Meilen entfernt von ihrer Heimat an einer lärmigen Straßenecke in Brooklyn, an der vielleicht gerade ein Raubmord oder ein Drogendeal über die Bühne läuft, was aber angesichts des pfundigen Gefühls des Wiedersehens zur belanglosesten Belanglosigkeit verkommt. Man hat sich tatsächlich wiedergesehen. Nach fünf Jahren. Nenne es Vorhersehung oder sonstwas: scheißegal. Es war auf alle Fälle der Beginn einer Mikro-Genesis archetypisch New Yorker Subkultur: eine Band, die sich The Silos nennt. Walter Salas-Humara und Bob Rupe haben sich auf der High School in Fort Lauderdale, Florida kennengelernt. Um der High School immanenten Langeweile zu entkommen, gründen sie eine Band, die aber selbst wiederum nur Langeweile produziert. Eine Band, die es vielleicht gerade einmal dazu brachte, bei Jimmy Buffett als Vorgruppe zu spielen, und wenn nicht das, so zumindest Jimmy Buffett-Platten gemeinsam anzuhören.
Nicht aufregend eben. In dieser zwanglosen Jim Jarmush-Zufälligkeit verliert man sich aus den Augen, um schließlich 1984 in Brooklyn... »Die ersten Monate in New York waren wirklich trostlos«, erinnert sich Walter, »einmal spielten wir irgendwo im East Village. Die PA bestand aus einem Lautsprecher und einem Mikrofon.« In diesem Low-Budget-Sound wird dann auch die erste LP »About Her Steps« eingespielt, und mit einer lächerlichen 1000er Auflage — selbst eine schwäbische Provinzband hätte sich mehr zugetraut — gepreßt. Zumindest ist man so schlau, den Großteil der Auflage der gelangweilten New Yorker Musikkritiker-Meute vorzuwerfen, was dann z.B. den Village Voice (New Yorker Stadtzeitung, für die auch Tom Wolfe schrieb) zu dem Tom Wolfe-mäßigen Statement bringt: »Stellen Sie sich Velvet Underground als Country Rock vor. Zarte Worte mit Fidel und Pedal-Steel verziert, der harten Realität des Alltags abgerungen.« Und so dumm das klingt, es ist gar nicht einmal so dumm: Die Musik der Silos ist tatsächlich von dieser schlichten, aber spröden Schönheit durchzogen, wie man sie von den Folkharmonien von Cale und Reed kennt.
Eine Schönheit, die in ihrer Grundhaltung Bands wie Souled American oder auch Giant Sand entspricht. Im Kern schöne Songs, die absichtlich nachlässig, aus einer gewissen Verweigerungshaltung gegenüber den Formen, wie sie wahrscheinlich nur ein Kunststudent versteht, schludrig interpretiert, dahingerotzt werden. Walter Salas-Humara sagt selbst: »Zunächts muß man gute Songs schreiben, soweit das möglich ist, und dann herausfinden, wie man sie am besten präsentiert. Passende Arrangements und Instrumentierungen muß man wie ein Architekt entwerfen.« Bei den Silos ist die Architektur schief und brüchig, immer kurz vor dem Einsturz, so wie die derzeit angesagteste Architekturströmung, der Dekonstruktivismus. Die Umkehrung von Schöner-Fassade-aber-nichts-dahinter sozusagen. Ein verwirrendes Puzzlespiel musikalischer Kniffe, Glanzlichter und Melodien. Sinister und simpel, archaisch und abgründig. Hillbilly-Tonkunst aus der Metropole des 21.Jahrhunderts.
Ein musikalischer Migräneanfall, den sich die Industrie, aus welchen Gründen auch immer, seit ihrer letzten LP leistet. Diese dritte Platte wurde 1990 Zen- buddhistisch vom Cowboy Junkies-Produzenten Peter Moore unter Mitwirkung mehr oder weniger namhafter Musiker (u.a. Kenny Margolis, der mal bei Mink de Ville war) in Szene gesetzt. Und der Rolling Stone darf die ganze Wahrheit über diese LP aussprechen: »There's nothing hip about The Silos... but I doubt The Silos care, and neither should you.« Bleibt nur noch anzumerken, daß die Silos mit dieser Tournee zum ersten Mal in Berlin sind. Vorband werden die Beatitudes sein. Joseph Pichelmaier
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