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WILDE RITEN AUF "LONG ISLAND"

■ Vorehelicher Jungmännerspaß in Dänemark

Vorehelicher Jungmännerspaß

in Dänemark

VONCHRISTOPHBUSCH

Langeland ist lang, dänisch und eine Insel. Rudköbing, im Original mit Strich durchs o, ist die größte menschliche Ansiedlung.

In der Fußgängerzone von Rudköbing steht vor den weißen Tischen eines Lokals ein fahrbarer, schwarzer Käfig, gebaut aus einem dieser hohen, schmalen Supermarkttransportwagen: oben mit einer aufgeschraubten Spanplatte verschlossen, eine Seite als Tür ausgelegt, durch Kette und Vorhängeschloß verriegelt. Darin sitzt auf einem Klobecken ein junger blonder Mann mit schütterem Schnäuzer. Vor ihm sind eiserne Kuhtränken angeschraubt, mit Popcorn gefüllt. Seine Beine stecken in Gummistiefeln, einer ist eingeschnitten, eine Kette durchgezogen, an ihr ein großer Eimer voll Beton angeschlossen. Am Wagen Schilder in dänischer Sprache. Von „svind“ wie „Schwein“ ist die Rede. An der Rückwand außen ein Kindheitsbildnis des jungen Mannes über einer Schweinegraphik.

Seine Kumpels, wie er zwischen 20 und 30, mit Bier am Tisch neben dem Karren, machen lautstark Witze, die auch ohne Kenntnis der dänischen Sprache zu verstehen sind: dämlich und besoffen. Passanten, wenn sie nicht mitspotten, grinsen, als wüßten sie genau, worum es geht. Andere suchen, wie bei einem Stau auf der Gegenfahrbahn, Neugier und Schadenfreude zu verbergen. Das „Schwein“ bewahrt Ruhe und nuckelt gelegentlich an seinem Bier. Aber das Klo gibt Anlaß zur Sorge: Muß der Arme das Bier auch wieder in aller Öffentlichkeit von sich geben, weil er nicht rausgelassen wird?

Jetzt zieht der johlende Jungmännertrupp weiter, den Gefangenen im polternden Wagen hinter sich her in den gepflasterten Hof einer Kneipe. Ich setze mich einen Tisch weiter, traue mich nicht, die fremdsprachige Herrenrunde um Auskunft zu bitten. Zumal ich in diesem Hof vor anderen Gästen und bei guter Akustik plötzlich selbst im Mittelpunkt lautstarker, unverstandener Heiterkeit stehen könnte.

Ein „Schwein“ will Hochzeit machen

Eine Frage klärt sich auch so: Der Gefangene darf zum Pissen aufs Klo. Das aber ist mit dem schweren Eimer, den er allein quer über den großen Hof schleppen muß, eine Quälerei. Anschließend wird er sofort wieder eingesperrt, sein Krug aufgefüllt mit „Öl“, wie der Däne zärtlich zum Bier sagt, und das Spülbecken über dem Kopf mit Wasser aus einer Kanne. Das pladdert dem zeternden „Schwein“ über den Kopf. [die säzzerin ist ganz hingerissen von dem inhaltlich doch so interessanten Text]

Einen Moment lang schlafft die Runde im Bierdunst ab. Ich nähere mich den Eingeborenen. Einer, der ein wenig Deutsch spricht, weiht mich ein: Das „Schwein“ ist ein Bräutigam, will Hochzeit machen am nächsten Tag. In diesem Akt wird an ihm von den Freunden, die ihm vorausgegangen sind oder folgen werden, der Übergang vom Jungmann- in den Ehemannstand, vom Saufen am Tisch zum Saufen im Käfig vollzogen. Wie lange die Zeremonie dauern wird, weiß noch niemand zu sagen.

Beim nächsten Mal ist der Gefangene zu faul, seinen schweren Eimer bis zum Klo zu schleppen, schleift sich in die nahestehenden Büsche im Hof. Der Wirt mag das nicht. Also Aufbruch. Um den Käfig zu bewegen, wird vorne eine Deichsel untergeschoben, die ihn von den Ständern auf die Hinterräder hebelt. Eine wackelige, dreirädrige Angelegenheit, erst recht auf dem holprigen Pflaster aus kleinen Findlingen und mit besoffenen Chauffeuren.

Der Wilde und der Milde

Die Rollenverteilung in der Eskorte wird sichtbar: Der Wildeste, der nicht unbedingt der Besoffenste ist, springt seitlich in die Gitter, rüttelt wie ein Affe daran. Der Wagen schwankt, das Bier aus dem Krug schwappt dem Eingesperrten über die Hose. Der spritzt mit Bier zurück, haut mit einem Kochlöffel auf Finger. Ein Milder versucht die Schaukelei abzufangen. Jetzt reißt der Wilde an der Deichsel, will mit dem Käfig aus dem Hof galoppieren. Das Wägelchen hoppelt, liegt ja nur auf der Deichsel, springt hoch und kippt um. Scherben. Popcorn fliegt durch die Gegend, Geschrei, auch des Wirts.

Jetzt sind wieder alle munter. Mit Gebrüll und so schnell es geht durch die Straßen, immer wieder neue Sturmläufe zum Gaudi der Passanten. Der Gefangene hält sich mit den Händen am Gitter fest, versucht in der Hocke, in den Knien die Stöße abzufangen, sich nicht den Kopf zu stoßen und das Scheuern der Kette an seinem Fuß zu mindern. Das hochrädrige Gefährt in voller Fahrt gerät gefährlich ins Schwanken.

Stopp vor der gelb gestrichenen „Washington-Bar“, einer Spelunke wie aus einem englischen Provinzgangsterfilm. Mit Gewalt wird der Wagen über die hohe Türschwelle, durch die schmale Tür gezerrt, droht erst hintenüber, dann vornüber zu kippen. Es ist gegen drei Uhr nachmittags. Der Wirt und die wenigen Gäste, denen die Liebe zum Alkohol anzusehen ist, beobachten den Vorstoß des seltsamen Gefährts bis zur Theke ohne Aufregung, als käme der Schornsteinfeger. Bier für alle, ein voller Krug hinter die Gitter. Wieder wird der Wagen geschaukelt. Bier spritzt zurück, durch den Raum, bis zur Musikbox. Der Wirt grinst. Wieder muß der Gefangene pinkeln. Niemand hilft ihm trotz Bitten. So kann er nur immer einen Schritt tun, muß dann vor dem nächsten erst wieder den Eimer wuchten, durch den langen Billiardraum. Die Kette scheuert. Nach einiger Zeit schaut der Milde nach, wo der Hochzeiter bleibt, hilft auch den Eimer zurückzuschleppen. Sie kommen an einer offenen Tür vorbei, die nach hinten auf die Terrasse führt, von der Theke aus nicht zu sehen ist. Der Gefangenen bittet den Freund, das Schloß der Kette am Fuß zu öffnen. Der Milde hat tatsächlich den Schlüssel, und seine Miene sagt, daß er gerne zur Befreiung schritte, aber die Gruppe wirkt stärker. Also wieder ab in den Käfig, Bier trinken, damit spritzen und bespritzt werden.

Gewiefter Trinker

Der Gefangene ist ein gewiefter Trinker oder besser: Nichttrinker und augenscheinlich der Nüchternste in der Runde. Er lehnt den vollen Krug, das Nachfüllen nie ab, nimmt das Bier, lächelt, und wenn mit „Skal“ und auffordernd erhobenen Flaschen Trinken befohlen wird, dann hebt er brav seinen großen Krug, gibt die Geste zurück, setzt gelegentlich das Glas auch an die Lippen, aber trinkt kaum daraus. So leert sich sein Topf durch Spritzen und das Wackeln während der Fahrt. Er hat wahrscheinlich mehr Bier auf der Hose, in den Stiefeln und im Popcorn als im Magen. Dänisch finde ich das. Denn natürlich sind die anderen nicht so blöd und besoffen, daß sie das nicht mitbekämen. Er darf das. Sie haben auch so genug Spaß und er genug zu leiden.

Kippend und bollernd wieder raus aus der „Washington-Bar“. Jetzt auf Asphalt, aber abschüssig zum Hafen hinab. Der Wilde klappt die Deichsel hoch, springt vorn auf den Wagen, andere von der Seite. Das Gefährt ist so nur schlecht zu steuern, schlingert bergab, entgegenkommende Autos weichen aus. Selbst in vollem Lauf ist kaum mitzukommen. Aber alles geht gut. Bis runter zum Hafen. Ein altes Segelschiff liegt am Kai, Menschen stehen an Deck, singen Gospelsongs zur Gitarre. Das Schild an der Reling klärt auf: Eine christliche Gemeinschaft bittet zu einer Führung, kostenlosem Kaffee und Gesprächen an Bord.

Der Wilde steuert den Gefangenenkarren aufs Schiff zu. Am Kai wieder Kopfsteinpflaster, der Wagen in voller Fahrt aber übertönt rappelnd und polternd die Musik. Eine Gangway, gerade so breit wie der fahrende Käfig, führt steil hoch an Deck. Die Hochzeiter steuern darauf los, reißen den Wagen hoch. Die Räder bleiben auf halber Gangway an den Querlatten hängen. Nichts geht mehr. Schieben und ziehen, jemand klettert hoch auf den Käfig. Der kippt langsam, aber unaufhaltsam hintenüber. Zwei liegen darunter. Der Betoneimer hat den Fuß des Gefangenen eingeklemmt. Zersplitterte Flaschen liegen umher. Ich springe hinzu, aber kriege durch die Gitter und alleine den Eimer nicht hoch.

Die Sing-out-Christen bewahren Ruhe, singen noch lauter weiter. Nur eine Sängerin mit strengem Gesicht macht Miene einzuschreiten, wird aber von den anderen angehalten, geradeauszuschauen und das weltliche Treiben zu ignorieren. Schließlich kümmert sich schon wer: Ein mittelalter Mann mit hellbeiger Dauerbügelfaltenhose und Popelinjackett hat sich aus den Zuschauern und Zuhörern an Land gelöst, steht jetzt betont desinteressiert neben der Gangway mit dem gekippten Käfig, läßt sich von Deck einen Besen reichen und hält sich mit unbewegter Miene einsatzbereit.

Schließlich wird der Käfig wieder aufgerichtet, der Eimer rollt vom Fuß. Gegen die Musik noch ein paar donnernde Runden über die Kaisteine, dann Verschnaufen am Hafenkiosk. Die besoffenen Jungmänner hängen auf den Holzbänken. Ich merke, daß ich Blut auf der Stirn habe. Eine kleine Macke. Weiß nicht, ob ich mir im Eifer den Fotoapparat vor den Kopf gehauen oder mich beim Rettungsversuch an der Gangway gestoßen habe. Kinder, die an Deck des Schiffes waren, nähern sich neugierig. Ihre Eltern scheinen sehr tolerante Christen zu sein. Der Gefangene darf mit Servietten die Spuren des Unfalls abwischen, bekommt eine Wurst durchs Gitter gesteckt. Will man an einem Opfer lange Freude haben, darf man ihm nicht nur die Peitsche geben.

Mir reicht's. Ich nehme die rotgoldene Visitenkarte des Milden entgegen. Sein Freund, das „Schwein“, will alle Bilder.

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