: „Gefangene in Biyas Lagern warten weiter“
■ Nach langer Diktatur hat die Regierung des Kamerun beschlossen, Oppositionsparteien zuzulassen. Geht nun die Willkürherrschaft zu Ende?
Das folgende Interview wurde mit einem Vertreter der UPC („Union des Populations du Caméroun“ ) in Deutschland geführt, der anonym bleiben wollte.
taz: Der kamerunische Schriftsteller Mongo Beti hat in den siebziger Jahren Kamerun als „konformistische politische Einöde“ bezeichnet. Die Opposition hat in den letzten Jahrzehnten vor allem versucht, überhaupt zu überleben. Aber wie konkret sind heute die Ereignisse ihrer Arbeit?
UPC: Die Arbeit der Opposition hat seit einem Jahr eine neue Qualität erreicht. Viele Kameruner nehmen jetzt ihr in der Verfassung garantiertes Recht wahr, sich politisch zu organisieren. Dies führte zur Gründung der „Social Democratic Front“ (SDF), der „Union Nationale pour la Démocratie et le Progrès au Caméroun“ (UNDPC), der „Front Patriotique Camérounais“, der „Liberal Party“ und anderer. Wir stellen nach jahrelanger politischer Arbeit fest, daß das politische Bewußtsein und die Risikofreudigkeit in der Bevölkerung gewachsen sind. Die Forderungen nach demokratischen Grundrechten, für die wir immer eingetreten sind, werden nun von den neuen Parteien aufgenommen.
Die Opposition hat sich in einem gemeinsamen Koordinierungsorgan zusammengeschlossen, um folgendes Minimalprogramm bei der Regierung durchzusetzen: die bedingungslose Freilassung aller politischer Gefangenen, die Aufhebung der Notstandsverordnungen, sowie die Respektierung des verfassungsmäßigen Mehrparteiensystems und nicht zuletzt die Eröffnung einer Nationaldebatte zur Revidierung der Verfassung und des Wahlgesetzes sowie die Organisierung von freien Wahlen.
Welche Wirkung hat der Zusammenschluß der Opposition auf die Regierung Biya?
Der Druck auf Biya wächst. Auf dem letzten Parteitag der regierenden RDPC im Juni 1990 sah sich Biya zu ersten Zugeständnissen gezwungen: Er versprach die Einsetzung einer Menschenrechtskommission und kündigte die Aufhebung der Ausnahmegesetzgebung von 1962 und die Einführung von Gesetzen zur Reise-, Presse und Versammlungsfreiheit an. Einen Monat später versprach er eine Generalamnestie, verkündete seine Bereitschaft, zum erstenmal eine Delegation von amnesty international im Land zu empfangen. Das letzte große Zugeständnis ist die am 6.12.90 vom kamerunischen Parlament beschlossene und offiziell verkündete Einführung des uneingeschränkten Mehrparteiensystems. Vorausbedingungen für Parteineugründungen sind, daß Gründer und Führer der Partei in Kamerun wohnhaft sind, die Parteien nicht stammesbezogen seien und nicht vom Ausland finanziert werden dürfen.
Ist mit der Einführung des Mehrparteiensystems der entscheidende Schritt in Richtung Demokratie getan worden?
Ohne Übertreibung kann gesagt werden, daß dies einen Sieg für die demokratischen Kräfte des Landes darstellt. Sollte sich die Entscheidung des Parlaments nicht als eine politische Attrappe erweisen, ist ein neues Kapitel in der kamerunischen Geschichte eröffnet worden. Dennoch erscheint es zu früh jetzt schon davon zu sprechen, daß durch diese Entscheidung in Kamerun die Demokratie eingeführt ist. Skepsis bleibt weiterhin angebracht. Biya hat bisher nur einige der politischen Gefangenen aus den Jahren 1985/86 und 1990 freigelassen. Die Insassen der Lager und Gefängnisse warten weiter auf ihre Befreiung. Die Menschrechtskommission hat bislang ihre Arbeit nicht aufnehmen können. Keine der bestehenden Oppositionsparteien, weder die UPC noch die neugegründeten Parteien, wurde bisher gesetzmäßig zugelassen — die Opposition arbeitet in einer Art Halblegalität.
Können eigentlich Mitglieder einer Exilpartei wie der UPC die Interessen der eigenen Landsleute noch glaubwürdig vertreten? Man müßte annehmen, daß die Jahre im Ausland sie der Wirklichkeit Kameruns völlig entfremdet haben?
Was heißt Exilpartei? Seit dem 4. Kongreß der UPC 1984 befinden sich zwei Drittel des Zentralkomitees in Kamerun. Sie arbeiten im Untergrund wie auch alle anderen Mitglieder, die im Land geblieben sind. Sie organisieren die politische Arbeit und sie sind es auch, die man als politische Gefangene bei den Verhaftungswellen sehr viel härter behandelt als die anderen. Bei den Verhaftungen im vergangenen Jahr wurden zwei Gefangene gefoltert: die Übersetzerin Henriette Ekwé und der Geschäftsmann Anicet Ekané. Beides Mitglieder der UPC. Und dies ist nur ein Beispiel von vielen.
Diese Fälle machen das politische Klima in Kamerun sehr deutlich. Mit welchen Formen der Unterdrückung muß ein Oppositioneller in diesem Land rechnen?
Die Instrumentarien der staatlichen Repression sind Teile eines komplexen Apparates. Sie umfassen eine willkürliche Notstandsgesetzgebung, legitimieren den Einsatz bestimmter paramilitärischer Einheiten und die Anwendung von Folter. Alle diese staatlichen Eigriffe haben zum Ziel, den politischen Willen und die Würde der Oppositionellen zu zerstören.
Mit Hilfe mehrerer Verordnungen wurden schon in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit wichtige in der demokratischen Verfassung verankerte Rechte ausgeschaltet. Es handelt sich um die sogenannte Subversionsgesetzgebung von 1962, wonach Subversion stattfindet „wenn lügenhaftes Gerede, Nachrichten oder Gerüchte in Umlauf gebracht werden, oder wenn richtige Nachrichten mit tendenziösen Kommentaren versehen werden, wenn diese Nachrichten, Gerüchte oder Kommentare dazu geeignet sind, dem Staat zu schaden“. Diese Verordnung legitimierte jede Form von staatlicher Willkür und hob praktisch die Meinungs- und Pressefreiheit auf. Sie wurde am 19. Dezember 1990 durch neue Gesetze ersetzt, die willkürliches Handeln zur „Erhaltung der Ordnung“ weiterhin zulassen. Zwar läßt sich feststellen, daß die journalistische Arbeit in der privaten Presse noch kritischer und offensiver geworden ist, daß aber das kürzlich verabschiedete Pressegesetz wieder eine vorgreifende Zensur vorsieht.
Weiterer Baustein der Notstandsgesetzgebung ist die ebenfalls am 19. Dezember erlassene Neufassung einer Verordnung aus dem Jahre 1963, in der alle sogenannten politischen Straftaten einem Staatssicherheitsgericht übertragen werden. Gegen die Urteile dieses Gerichts gibt es keine Rechtsmittel, keine Berufung und keine Revision.
Bei den staatlichen Repressionsorganen läßt sich eine Zweiteilung feststellen: Zum einen die „normalen“ Polizeikräfte, die Sûreté Nationale und die Gendarmerie. Zum anderen die geheimen Sicherheitskräfte wie die Brigade Mobile Mixte (BMM), die in den Gefängnissen und Konzentrationlagern arbeiten und dem Innenministerium verpflichtet sind. Zum geheimen Polizeiapparat gehört außerdem die CENER (Centre Nationale d'Etude et de Recherche), die unmittelbar vom Staatspräsidenten abhängt und die Funktion einer politischen Polizei wahrnimmt.
Gerade im repressiven Apparat ist die Selbstblockierung der Regierung am deutlichsten. Einer der gefürchtetsten Männer des Regimes, Fochivé, wurde nach einer Zwangspause von sieben Jahren 1989 von Präsident Biya, wieder an die Spitze des CENER berufen. Durch solche Maßnahmen wird Biyas oft beschworener Wille zur Demokratie einfach unglaubwürdig.
Ihr Hinweis auf die Folter entspricht nicht dem Bild, das jahrelang durch die Presse ging und Kamerun als „Insel des Friedens“ zeichnete. Wie erklärt sich das?
Die Menschenrechtsfrage in Kamerun war und ist das Produkt der französischen Afrika-Politik. Die Franzosen haben während des Unabhängigkeitskampfes die ersten Konzentrationslager gebaut. Sie bildeten später im Rahmen der militärischen Kooperation die Folterer aus — sie sind es, die das Sprechen über Menschenrechtsverletzungen zu verhindern suchten. Aus diesem Grund wurde zum Beispiel das Buch Main basse sur le Caméroun des kamerunischen Schriftstellers Mongo Beti 1972 in Frankreich verboten und konnte erst 1977 in Kanada wieder aufgelegt werden. Dieses heute noch aktuelle Buch zeigt die Verbindungslinien zwischen politischer Unterdrückung in Kamerun und verschiedensten französischen Regierungsstellen, die für diese Politik verantwortlich zeichnen. Natürlich ergänzt auch die kamerunische Regierung diese systematische Verschleierung. Erst 1986 fiel in der regierungstreuen Zeitung 'Cameroon Tribune‘ zum erstenmal der Begriff „politische Gefangene“. Nur Organisationen wie amnesty international dokumentieren die Existenz von Konzentrationslagern in Kamerun, beschreiben die dortigen Haftbedingungen, die Foltermethoden.
Sie operieren sehr selbstverständlich mit dem Begriff „Konzentrationslager“.
Ich respektiere zwar die Gefühle von Menschen, die auf diesen Begriff mit Unverständnis reagieren. Dieser Begriff ist sehr eng mit dem Faschismus in Deutschland verbunden. Dennoch bezeichnet er auf internationaler Ebene eine bestimmte politische Methode. Aus der Sicht der kamerunischen Gefangenen, die in diesen Lagern überleben müssen, aus der Sicht ihres weiteren Schicksals ist eine andere Bezeichnung fehl am Platz. Ich wehre mich zum Beispiel gegen Euphemismen wie Internierungslager. In einem Internierungslager werden Menschen nicht gefoltert und umgebracht. Die Familienmitglieder eines Gefangenen werden nicht mit eingesperrt, wie das bei Samuel Zézé der Fall war. UPC-Politiker Zézé hatte nach jahrelangem Exil Präsident Biyas Versprechen von Meinungsfreiheit Glauben geschenkt und war 1985 nach Kamerun zurückgekehrt. Dort nahm er den Präsidenten beim Wort, setzte seine politische Arbeit in der Öffentlichkeit fort und verkaufte die UPC-Zeitung 'La Voix du Caméroun‘ in Mbalmayo, Biyas Geburtsort. Zézé, drei seiner Kinder und zwei weitere Familienangehörige wurden daraufhin verhaftet und in das Lager Nkondengui/Yaoundé verschleppt. Erst im Jahre 1987 kamen sie wieder frei.
Könnten Sie uns genauere Informationen zur Lage der Konzentrationslager und zu den dort herrschenden Haftbedingungen geben?
amnesty international in Frankreich konnte bereits in den siebziger Jahren die wichtigsten Lager lokalisieren. Es handelt sich unter anderem um Mantoum/Foumban und Manengouba/Nkongsamba im westlichen Kamerun, Mokolo und Tcholliré im Norden, Yokadouma im Osten, sowie Nkondengui/Yaoundé, New- Bell/Douala und das Kindergefängis von Betamba/Yaoundé. Viele der Lager befinden sich in unzugänglichen Gebieten und die dort herrschenden Haftbedingungen sind sehr hart. Die Ernährung der Häftlinge liegt oft allein bei den Familien, die Tag für Tag zum Gefängnis kommen müssen, um die Essensrationen dort abzugeben. Wer nicht über die Familie versorgt werden kann, was bei den abgelegenen Lagern meist der Fall ist, hungert. Die Häftlinge werden oft jahrelang in Untersuchungshaft gehalten, Prügelstrafe und Folter (Elektroschocks) sind allgemein üblich. Interview: V. Eggersglusz
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