: Einige wollen die »heilige Kuh Akustik« schlachten
■ Keine Einigung bei dem Hearing zur Renovierung der Decke der Berliner Philharmonie/ Architekt will teilweise Renovierung, Bausenator Nagel die völlige Erneuerung/ Philharmonie-Chef Claudio Abbado warnt vor zu langer Schließung
Berlin. Experten und Politiker haben sich am Sonntag bei einem Streitgespräch über die Restaurierung der Saaldecke in der Berliner Philharmonie nicht einigen können. Bei dem vom Bausenator und der Westberliner Akademie der Künste veranstalteten Hearing unter Fachleuten für Akustik und Materialprüfung, Restauratoren, Philharmonikern und Architekten waren vor allem die Folgen für die Akustik umstritten. Die Philharmonie war am 1. Januar geschlossen worden. Sie soll nicht vor Februar 1992 wieder geöffnet werden.
Während der frühere Bauleiter von Hans Scharoun, Architekt Edgar Wisniewski, für eine teilweise Renovierung der unter führenden Musikern als außerordentlichen Konzertsaal geschätzten Philharmonie eintrat, plädierte ein von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) beauftragter Gutachter für die vollständige Erneuerung der »hängenden Drahtputzdecke« (Rabitzdecke). Als Grund gibt er an, das am 28. Juni 1988 herabgestürzte Putzmaterial zeige, daß die Decke bautechnisch nicht sicher sei, weitere Mängel der Konstruktion seien diagnostiziert worden. Ein Drahtgeflecht an der Decke sicherte bislang den Spielbetrieb.
»Dies ist eine der schwersten Entscheidungen in meinem politischen Leben«, sagte Nagel. Er ist für die Schließungsdauer des berühmten Hauses und die Kosten seiner Renovierung verantwortlich. Berlins Kultursenator Ulrich Roloff-Momin forderte im Einklang mit Musikern »den absoluten Vorrang der Kunst«, ohne sich für oder gegen eine Deckenerneuerung auszusprechen. Claudio Abbado, künstlerischer Leiter des Berliner Philharmonischen Orchesters, warnte: »Das Haus darf nicht allzu lange geschlossen bleiben.« Denn für das Orchester bestehe die Gefahr, »von der Weltspitze abzurutschen«, merkte ein Philharmoniker an.
Schäden für die Akustik bei einem Abbruch befürchteten schon vor dem Hearing prominente Künstler wie etwa der Pianist Maurizio Pollini. Eine Reihe von renommierten Akustikingenieuren, die mit dem in Braunschweig angesiedelten Bundesamt für Materialprüfung zusammenarbeiten, wollen die »heilige Kuh Akustik« ohne Rücksicht auf die Einwände des Berliner Landeskonservators Helmut Engel schlachten. Engel will die originäre Architektur Scharouns »mit allen seinen Fehlern« erhalten.
Die Berater des Bausenators, Edelbert Schaffert und Thomas Fütterer, sprachen der vorhandenen Decke nicht in ihrer Form, jedoch in ihrer Oberfläche die schalltechnische Originalität ab und forderten eine Neukonstruktion. Die von Wisniewski behauptete Eigenschaft der »Schwingungsfähigkeit« sei »Humbug«. Raumakustik beruhe allein auf physikalischen Gesetzen. Auch sei die Oberflächenbeschaffenheit von sekundärer Bedeutung für das Reflektieren der Tonfrequenzen. Wisniewski dagegen hatte erklärt, die Decke sei »musikalisch gealtert« und damit unersetzbar.
Das Erneuerungskonzept des vom Publikum teilweise lautstark kritisierten Obergutachters Max Setzer sieht den Ersatz der alten 2.500 Quadratmeter großen Rabitzdecke durch »Kalkputz auf Streckmetall« vor. Auch sollen die Aufhängevorrichtungen unter der tragenden Betondecke sowie die im Zwischendeck angebrachten Laufgänge erneuert werden, die für die Wartung notwendig sind. Dafür müßte die in die Philharmonie eingebaute Orgel auseinandergenommen werden. dpa
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