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Als der Kontrolleur fragte, war schon alles klar

Der DGB hat seine Interessen bei der Liquidierung des FDGB-Vermögens durchgesetzt/ Gewerkschaft beansprucht altes FDGB-Vermögen  ■ Von Martin Kempe

Ein letztes Mal steht Harry Tisch, der ehemalige Vorsitzende des DDR- Gewerkschaftsbundes FDGB, in diesen Tagen im Rampenlicht der Öffentlichkeit — als Angeklagter vor Gericht in Berlin-Moabit. Gegenstand des Prozesses ist der recht freizügige Umgang des FDGB-Bosses mit den Vermögenswerten seiner Organisation. Mehr als 100 Millionen Mark der DDR stehen zur Verhandlung, die er für organisationsfremde und private Zwecke abgezweigt haben soll. Während Harry Tisch, ein gebrochener 63jähriger Mann, seinen letzten, wohl aussichtslosen Kampf vor den Augen der versammelten Presseöffentlichkeit führt, ist hinter den Kulissen mit harten Bandagen um die materiellen Hinterlassenschaften des FDGB gerungen worden — und dabei geht es um weit höhere Werte. Der FDGB war mit seinen fast zehn Millionen Mitgliedern die größte aller SED-abhängigen „Massenorganisationen“ in der DDR. Wer berufstätig war, mußte mehr oder weniger freiwillig beitreten und seinen monatlichen Beitrag abliefern, um die sozialpolitischen Leistungen, zum Beispiel des stets ausgebuchten Feriendienstes, in Anspruch nehmen zu können.

So hat die Gewerkschaftsorganisation im Laufe der realsozialistischen Jahrzehnte ein gewaltiges Imperium aufgehäuft, das nun, nach der Auflösung des FDGB im letzten September, „abgewickelt“ werden muß. Um das Fell des erlegten Bären balgen sich die verschiedensten Interessenten, allen voran allerdings der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB. Der will offiziell rein gar nichts mit dem alten FDGB zu tun haben. Trotzdem hat er nichts unversucht gelassen, sich die Kontrolle über das FDGB-Vermögen zu sichern.

Abgesehen vom Feriendienst mit seinen über 1000 Heimen an den schönsten Plätzen zwischen Erzgebirge und Ostsee gehörten nach einer schon im Frühjahr vom DGB-Justitiar Heinz Gester erstellten Liste zum FDGB-Imperium: 184 Gewerkschaftshäuser, ca. 10 Gewerkschaftsschulen und -hochschulen, rund 20 Kultur- und Gästehäuser, mehr als 70 Wohn- und Geschäftshäuser und schließlich noch diverse Firmenbeteiligungen, zum Beispiel am Treptower Verlagshaus, in dem die ehemalige Gewerkschaftszeitung 'Tribüne‘ erscheint. Der Feriendienst mit seinen meist schlecht ausgestatteten, schäbigen Heimen wurde schon im letzten Jahr vom übrigen FDGB-Vermögen abgetrennt und befindet sich inzwischen in Konkurs. Gerangelt wird um den nicht unbeträchtlichen Rest, der im Auftrag der vom FDGB-Auflösungskongreß im September 1990 eingesetzten Liquidatoren von der gewerkschaftlichen Vermögensverwaltungsgesellschaft „Märkisches Ufer“ (GVVG) verwertet werden soll.

DGB: Keine Ansprüche auf FDGB-Vermögen

Bestandteil dieses Vermögens ist ein Acker an der Stralsunder Straße in Greifswald. Er trägt die Hausnummer 27/28, aber ein Haus gibt es hier schon lange nicht mehr. Auch Am Tivoli 1 in Dessau steht nichts mehr außer ein paar Bäumen. Anders dagegen die Ernst-Thälmann-Straße 24 in Zeitz: Hier steht ein Geschäfts- und Wohnhaus. In Riesa an der Rudolf-Breitscheid-Straße gibt es eine von der Sowjetarmee genutzte Kaserne. Nur das Haus am Steinweg 8 in Eisenberg, früher FDGB-Domizil, wird auch heute noch von den Gewerkschaften genutzt. All diese Objekte stehen auf einer der taz vorliegenden Liste mit insgesamt 107 Posten, auf die der DGB ein Eigentumsrecht geltend machen will. Es handelt sich bei den über die gesamte ehemalige DDR verstreuten Immobilien um alte Besitzstände des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), der 1933 von den Nazis zerschlagen und enteignet wurde.

Der DGB beruft sich bei seinem Anspruch auf diese Objekte auf den Einigungsvertrag. In einer im Dezember vom „Vorstandsbereich Finanzen“ des DGB-Schatzmeisters Helmut Teitzel erstellten Argumentationshilfe für gewerkschaftliche Spitzenfunktionäre wird eine Bestimmung des Einigungsvertrages angeführt, wonach Organisationen, die 1933 von den Nazis zerschlagen und enteignet wurden, bis Ende März dieses Jahres ihre Eigentumsrechte in der ehemaligen DDR geltend machen können. Als anerkannter Rechtsnachfolger des ADGB habe der DGB deshalb das Recht, so heißt es in dem Papier, „die Immobilien zurückzuverlangen, die vor 1933 den Gewerkschaften gehörten, oder er hat Anspruch auf eine entsprechende Entschädigung.“ Als Beispiel wird insbesondere das geschichtsträchtige Berliner Gewerkschaftshaus in der Wallstraße 61-65 angeführt, das am 2. Mai 1933 von den Nazis gestürmt und nach 1945 von der sowjetischen Militäradministration dem FDGB übertragen wurde.

Andere frühere FDGB-Objekte, die heute von DGB-Gewerkschaften genutzt werden, deren Eigentumsverhältnisse aber noch nicht geklärt sind, will der DGB nicht beanspruchen. Sie sollen vielmehr gemietet bzw. neu gekauft werden, um die gewerkschaftliche Arbeitsfähigkeit in den neuen Bundesländern zu gewährleisten. Der DGB legt großen Wert auf die Feststellung, weder politisch noch rechtlich Nachfolgeorganisation des FDGB zu sein. „Der DGB stellt keine Ansprüche auf das Vermögen des FDGB“, heißt es in dem Argumentationspapier eindeutig. Aber mitmischen will man bei der Verwertung der Restbestände sehr wohl: Einer der beiden Geschäftsführer der Vermögensverwaltungsgesellschaft GVVG, Gottfried Feichtinger, ist Vertrauensmann des DGB-Bundesvorstandes.

Gutes Taschengeld für Funktionäre

Bevor Feichtinger allerdings sein Amt antreten konnte, hatten die Funktionäre des alten FDGB sich selbst und andere schon bedient. Bereits im Sommer letzten Jahres, als das Ende ihres Staates und ihrer Organisation absehbar war, hatten sie sich für die rund 8.000 FDGB-Angestellten einen für DDR-Verhältnisse durchaus üppigen Sozialplan genehmigt — auf Basis einer zuvor noch schnell beschlossenen Lohnerhöhung. Rund 90 Millionen Mark kostet dieser Sozialplan, den alle Ex- FDGB-Beschäftigten in Anspruch nehmen können — unabhängig davon, ob sie nach Ende ihres Arbeitsverhältnisses arbeitslos wurden oder nicht.

Hartmut Löschner beispielsweise, früher FDGB-Funktionär und heute Vorsitzender der IG Chemie Ost, darf ebenso seine Hand aufhalten wie Klaus Umlauf, der vor der Wende im Bundesvorstand des FDGB beschäftigt war und heute neben Feichtiger einer der beiden GVVG-Geschäftsführer ist.

Auch die rund 550 GVVG-Beschäftigten, früher allesamt im Dienste des FDGB, dürfen sich über ein zusätzliches Taschengeld zwischen 10 und 20.000 Mark freuen — für sanierungsbetroffene Arbeitslose aus ehemals volkseigenen Betrieben, denen jetzt von der Treuhand die Sozialpläne zusammengestrichen werden, eine Provokation.

Aber auch andere kamen durch Beschluß des Auflösungskongresses in den Genuß eines unerwarteten Geldsegens. Der Solidaritätsfonds des FDGB wurde in einer Anwandlung schlechten Gewissens dem UN- Kinderhilfswerk UNICEF übertragen. Und die inzwischen zurückerstattete Hälfte jener 100 Millionen Mark, die Harry Tisch selbstherrlich der FDJ rübergeschoben hatte, gingen als warmer Regen auf die Volkssolidarität (7,3 Millionen), das Ministerium für Gesundheits- und Sozialwesen (30 Millionen) und andere Sozialeinrichtungen in der noch drei Wochen bestehenden DDR nieder — mit dem Erfolg, daß für die Finanzierung des Sozialplans kein Geld mehr in den Kassen war.

Die Liquidatoren des FDGB fühlten und fühlen sich trotz der offensichtlichen Selbstbedienung an die Beschlüsse des Auflösungskongresses gebunden. Auch die von der Volkskammer eingesetzte Sonderkommission zur Kontrolle des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen erhob keine Einwände und genehmigte das Verfahren. Und so fädelten die Funktionäre angesichts der leergefegten Konten des FDGB schon im Sommer ein Geschäft mit der gewerkschaftsnahen Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) ein: Die Bank gewährte der GVVG einen Kredit in Höhe von 90 Millionen Mark und ließ sich dafür als Sicherheit vier zweifelsfrei im FDGB- Besitz befindliche Gebäude in Berlin übereignen. Später kamen den Westbankern allerdings Bedenken, und so zahlten sie vorerst nur 37 Millionen Mark aus und erhoben Anspruch auf weitere Immobilien.

Noch interessanter für den DGB dürfte allerdings eine Abmachung sein, die mit der gewerkschaftseigenen BG-Immobiliengesellschaft (BGI) getroffen wurde. Diese Gesellschaft, seinerzeit im Zuge der Abwicklung des Neue-Heimat- Skandals gegründet, um Sozialwohnungen im Werte von 2 Milliarden Mark auf dem freien Markt zu verscherbeln, soll nun die Verwaltung und den Verkauf der FDGB-Immobilien übernehmen.

Über diese Kontruktion hat sich der DGB das alleinige Bestimmungsrecht über die weitere Verwendung und Verwertung der FDGB-Immobilien gesichert — unabhängig von den bei vielen Objekten noch ungeklärten eigentumsrechtlichen Verhältnissen. Der DGB braucht nun keine Angst mehr zu haben, irgendwo plötzlich ohne Büroraum dazustehen, denn es ist schwer vorstellbar, daß die BGI sich einem Kauf- oder Mietwunsch des DGB verschließen wird.

Vermögen verteilt — Kontrolleur ausgetrickst

Das meiste ist also geregelt, das Fell des FDGB-Bären ist zer- und verteilt. Die entscheidenden Vereinbarungen wurden schon im Sommer letzten Jahres festgeklopft. Die empörte „letzte Mahnung“, die der Vorsitzende der Ost-Berliner Regierungskommission zur Überprüfung des Vermögens der DDR-Parteien und Massenorganisationen, Rechtsanwalt Reinicke, am 13. August 1990 an den Sprecherrat des Gewerkschaftsbundes schrieb, kam folglich viel zu spät.

Seit nunmehr zehn Wochen, klagte Reinicke, stehe der angeforderte Bericht des FDGB über seine Vermögenslage und deren Veränderungen nach der Wende aus. Der Regierungsbeauftragte betonte, die Berichtspflicht des FDGB sei „voll zu erfüllen“. Und weil der FDGB bislang die gesetzlich geforderte Transparenz seiner Vermögensverhältnisse nicht hergestellt habe, werde die Kommission vorerst keinerlei Genehmigungen für irgendwelche Vermögenstransaktionen erteilen.

Die FDGB-Funktionäre, an ihrer Spitze Berndt-Peter Rothe, Vorsitzender des Sprecherrats der FDGB- Einzelgewerkschaften, und Klaus Umlauf, damals noch Mitglied des geschäftsführenden FDGB-Vorstandes, konnten gelassen reagieren. Erst zwei Wochen später bemühten sie sich zu einer gemeinsamen Beratung mit der Regierungskommission und erklärten in aller Ruhe, den von Reinicke gesetzten Termin bis zum Ende des Monats könnten sie „auch bei größerer Anstrengung nicht halten“. Man verständigte sich darauf, daß die Liste aller FDGB-Objekte an die Kommission eine Woche später, dafür aber „persönlich“, übergeben werden solle. Mit dieser treuherzigen Versicherung im gemeinsamen Sitzungsprotokoll wurden die gutgläubigen Kontrolleure abgespeist.

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