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Die Kamera als Phallus

■ „Der Straß“, ein Film von A. Höntsch

Ein nackter Frauenpo (zum Anfassen nah) wird gegen den Mauerbau geschnitten. Das zu Anfang des Films: ein auf zwei überdeutliche Zeichen gebrachter Konflikt. Am Ende kriegt der Held die nackte Frau seiner Träume nicht, dafür ist die Mauer gefallen. Die Lösung! Natürlich als Erlösung gefeiert — aus Unfreiheit, Verklemmung und Pubertät; Sexuelles fällt mit Politischem zusammen. Wie schon bei den Eltern, in den Sechzigern.

Andreas Höntsch glaubt, mit Videoclip- und Fernsehwerbeästhetik die verstaubte Konstruktion ironisch brechen oder auffrischen zu können. Und vermag doch nicht, die Substanzarmut zu kaschieren oder den Rhythmus seiner Bilder zu organisieren. Fürs Product placement (Trabant und DDR-Bier neben einer echten „Canon“) hat bestimmt keiner bezahlt und wird's auch nicht mehr tun. Und die Veralberung weggewischter Riten, politisch plumper Clownerie, die Verkrampfung von feisten SED-Chefs wirkt nur noch fade und kraftlos. Witze von vorgestern.

Was bleibt, ist die Geschichte der sexuellen Frustration eines infantilen Photoreporters, eines DDR- Yuppies, und seiner Liebe zu einer Stripteasetänzerin (im Sozialismus als Kautschukmensch legitimiert). Sie macht ihn an und ist nicht zu haben: entweicht mal nach Amsterdam, mal in die Umarmung eines Zirkusakrobaten. Einige Westkritiker feiern diese „individualistisch ausgelebte Liebe als subversiven Akt gegen das System“. Folgt man dieser Logik, so hat der Mauerfall wenigstens eine reale Befreiung gebracht: In der Mittagspause kann sich der Held schnell mal bei Beate Uhse ent- oder aufladen. Um eine andere therapeutische Wirkung, etwa des befreienden Lachens, bringt sich der Film selbst, indem er letztendlich, wie alle DEFA-Filme, selbstbemitleidend und weinerlich wird. Der erwachte Photograph steht in der Menschenmenge, die in Richung Westen zieht.

Auch „das“ hat er verschlafen während seines erotischen Traums. Die Kamera legt sich mal unter den Trabant, mal erklimmt sie die ganze Höhe eines Krans, die Perspektiven wechseln, nur der Standpunkt bleibt unbeweglich. Alles beim Alten: alte Witze, Selbstbedauern, Ersatzbefriedigung. Totaler Sieg von Second hand: ein Anspruch, der die DDR nicht überdauert hat. Oksana Bulgakowa

Andreas Höntsch: Der Straß . Mit Thomas Pötzsch, Sylvia Franke u.a., DEFA 1990.

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