piwik no script img

„Es waren 300 Leute auf der Brücke...“

Alliierte Luftangriffe zerstörten drei Euphrat-Brücken in der südirakischen Stadt Nassirija/ Hunderte von Toten und Verletzten/ Auch zivile Hauptverbindungswege von Bagdad nach Basra abgeschnitten  ■ Aus Nassirija Khalil Abied

Die Flugzeuge der Internationalen Allianz haben in der südirakischen Stadt Nassirija — 450 Kilometer von Bagdad und 120 Kilometer von Basra entfernt — ein Massaker begangen. Sie zerstörten die drei Brücken über den Euphrat, die — ebenfalls wie die über dem Tigris in Ammara 200 Kilometer weiter östlich — die irakische Hauptstadt mit dem Süden des Landes verbinden. Nach offiziellen irakischen Angaben und Angaben der Verwaltung des Saddam-Hospitals in der Stadt wurden bei mehreren Bombardements auf die drei Brücken 71 Menschen [andere Angaben sprechen von 135, wieder andere von 200 Toten, d. Red.] getötet und Hunderte verletzt; eine unbekannte Zahl von Personen wird vermißt.

Die schlimmste Attacke richtete sich am 4. Februar nachmittags um drei Uhr gegen die Al-Nasser- Brücke: 47 Menschen kamen ums Leben, 163 wurden verletzt. Viele Leute ertranken.

Im Saddam-Hospital liegt der 13jährige Geifer Said. Er hat bei den Angriffen auf die Brücke sein rechtes Bein verloren: „Ich wollte mit meinem Cousin spazierengehen. Die Brücke wurde vorher mehrmals bombardiert, aber nie so schwer wie diesmal. Als wir auf die Brücke kamen, hörte ich nur eine Explosion. An mehr erinnere ich mich nicht mehr. Ich fand mich im Krankenhaus wieder. Vater sagte, daß sie den Cousin nicht finden können, er ist wie viele andere im Fluß ertrunken.“

Mohamed Nasser, 22 Jahre alt, der aus gesundheitlichen Gründen aus der Armee entlassen wurde, war Augenzeuge: „Es waren fast 300 bis 400 Leute auf der Brücke, als ich die Explosion hörte. Es war furchtbar. Die Leute schrien, überall war Blut auf dem Boden.“

Die Nasser-Brücke wurde von vier Bomben getroffen. Wie Bürgermeister Taha Yassin erklärte, war die Brücke voller Menschen, weil Arbeiter und Beamte Feierabend hatten. Auch benutzten zusätzlich viele Leute diese Brücke, weil die anderen zwei Brücken bereits zerstört waren und es für sie die einzige Möglichkeit war, den Fluß zu überqueren, um im Markt im Stadtzentrum einzukaufen.

Drei Tage vor dieser Bombardierung wurde eine andere kleinere Brücke — Al-Saitoun — bombardiert. Nach irakischen Angaben wurden vier Menschen getötet. Vier Tage zuvor wurde die Brücke, die die Autobahn zwischen Bagdad und Nassirija verbindet, auch bombardiert. 20 Menschen kamen ums Leben, zehn wurden verletzt.

Viele Häuser von Zivilisten neben der Brücke und in der Umgebung wurden bombardiert und zerstört, darunter auch eines, in dem eine Familie von vier Personen, Vater, Mutter und zwei Kinder, umgekommen ist. In der Salam-Gasse, ein paar Meter entfernt von der Brücke, wurden acht bis zehn Häuser zerstört. „Gott sei Dank waren alle Familien nicht zu Hause, weil wir fühlten, daß sie die Brücke bombardieren würden. Deshalb verlassen wir unsere Häuser täglich zum Sonnenuntergang und gehen zu unseren Verwandten in anderen Teilen der Stadt. Viele Familien verbringen die Nächte unter freiem Himmel“, sagt Abu Hussein, ein 60jähriger Bauer, der sein Haus verloren hat.

Mit diesem Brückenkrieg versuchten die USA und ihre Alliierten, die Verbindungen zwischen irakischen Einheiten, insbesondere zwischen denen im Südirak, Basra und in Kuwait, abzuschneiden. Das zweite Ziel ist, das Leben der Bevölkerung härter und schwerer zu machen. So wird dieser Brückenkrieg auch die Verbindung zwischen den irakischen Städten und Provinzen behindern. Die Folge ist, daß die Bevölkerung große Schwierigkeiten haben wird, Nahrungsmittel zu erhalten.

Im Mittel- und Südirak werden hauptsächlich Getreide, Reis und Fleisch produziert, im Nordirak hingegen Gemüse und Früchte. Auf dem Weg nach Nassirija sieht man Hunderte von großen Lastwagen, die, beladen mit Gemüse wie Blumenkohl, Kartoffeln, Tomaten, aus den nördlichen Teilen des Iraks kommen und in die südlichen Städte wie Basra, Nassirija und auch nach Kuwait gehen.

Ich habe bei meiner Rückkehr von Nassirija nach Bagdad Hunderte von Lastwagen gesehen, die auf beiden Seiten der Straße standen und nicht vorankamen, weil die Brücke in Al- Kod — eine Stadt auf dem Weg nach Nassirija — zerstört war.

In einem Interview mit Radio Voice of America hörte ich die Erklärung eines Piloten, wonach sie Befehl hätten, auf jedes ihnen begegnende Ziel auf Autobahnen oder Brücken das Feuer zu eröffnen. Zehn Kilometer vor Nassirija sah ich fünf Busse und zwei Autos, die in der Mitte der Autobahn standen. Ein weiteres Auto war voller Einschußlöcher. Hunderte von Leuten flohen in alle Richtungen. Viele Leute versuchten, einen neben der Straße liegenden Fluß zu überqueren. Ich sah zwei Männer, die zwei blutüberströmte Kinder hinübertrugen. Eine Stunde später erfuhr ich in Saddams- Hospital, daß das eine der beiden Kinder an einer tiefen Wunde im Kopf gestorben war; seine achtjährige Schwester war schwer verletzt. Auch das Zelt einer Beduinen-Familie war bombardiert worden, in dem ein Mann mit seinen zwei Frauen und 15 Kindern lebt. Ein Kind wurde verletzt und zehn Schafe getötet. Die Stadt wurde seit dem 17. Januar nach Angaben des Bürgermeisters 191mal bombardiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen