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Bei Mozarts hellen Kinderaugen

Krämers „Entführung“ an der Deutschen Oper Berlin  ■ Von Elisabeth Eleonore Bauer

Himmel, welch ein Aufruhr! Was für ein herrlicher, lachender, krachender Skandal! So sollte es immer sein am Ende: daß die Leute hell empört ins Gespräch vertieft und innerlich irgendwie hoch zufrieden aus dem Opernhaus gehen. Aber fangen wir ganz vorne an.

Kaufen uns am Einlaß das Programmbüchlein und blättern es auf, derweil das Orchester sich einstimmt. Man hört schon ein Triangel, natürlich: Heute gibt es in der Deutschen Oper die Entführung aus dem Serail. Ein Stück, das jeder im Schlafe kennt. Ein schönes Stück, fast zu schön für unsere Ohren und gewaltig viele Noten, lieber Mozart etc. pp., auch das wissen wir längst und lesen weiter: „Die Mozartsche Melodie ist ... das Ding an sich.“ Geht in Ordnung, Herr Strauß, das kann man so sagen. Altvater Goethe dagegen ging „alles Einfache und Beschränkte“ mit Mozart verloren, und sogar Henze weiß was, daß nämlich in Mozarts Musik „die Sonne niemals untergeht“. Genug der Worte, nun wollen wir (sagt Felix von Weingartner) doch wieder einmal „Mozarts Kunst recht tief in die wunderbar hellen Kinderaugen“ schauen.

Es wird dunkel. Flink perlen die ersten Takte der Ouvertüre aus dem Graben hervor — knisternd werden die ersten Hustenkamellen ausgewickelt. Das Orchester, zierlich wie Zuckerwerk, langt an im lyrischen Mittelteil und sagt es in Moll dem Belmonte vor: „Hier soll ich dich denn sehen, Konstanze“ — ein wohliges Räuspern und Rascheln geht durchs Parkett. Der Vorhang hebt sich, aha, da ist sie ja schon, die Sonne, geht auch wirklich niemals unter, steht vielmehr groß und rund überm See, aus dem dichte Trockeneisnebel ins Publikum wallen, das dann gleich noch einmal so schön hustet, den Belmonte freilich nicht mehr so recht hören kann. Macht nichts, wie gesagt: Jeder weiß auch so, worum 's geht. Für seine nächste Arie setzt sich der Belmonte dann gleich ganz vorne auf die Brüstung und singt ein bißchen lauter, aber kaum schöner. Macht auch nichts, die Musik kennen wir sowieso. Freuen uns vorläufig noch an den schicken, schlichten Bildern, die klar komplementär in Rot und Grün davon zeugen, daß der illustre Krämer, Regisseur des Jahres 89, seine schwarz-weiße Phase nun offenbar endgültig hinter sich hat. Haben Spaß an den kleinen Kinkerlitzchen, an den drei Krokodilen zum Beispiel, die da im See schwimmen und das Maul aufsperren, wenn Osmin sie füttert. Zwanzigtausend Mark sollen sie gekostet haben, das ist nicht billig. Und Matti Salminen singt den Osmin, daß es glatt drei Goldmedaillen wert wäre. Applaus, Applaus.

Trotzdem stimmt etwas nicht mit dieser Entführung. Wo bleibt, bitte schön, der Serail? Wo die Ziergitter und die maurischen Zinnen und all die Muselmänner in ihren bunten Pluderhosen? Die südliche Sonne taucht den See erst in gleißendes Licht und dann in Blut, der Janitscharenchor bleibt lieber gleich im Graben versteckt. Und hier kommt Bassa Selim mit seinem Hofstaat: allesamt splitterfasernackt, o Gott, oder jedenfalls beinahe — nur einen winzigen Schurz tragen sie vor ihrem Ding an sich und tätowiert sind sie von Kopf bis Zeh wie die neuseeländischen Maoris. Das ist wahrhaftig wild und barbarisch mehr als genug. Konstanze aber, die Ärmste, im schwarzen Schador kaum auszumachen unter den übrigen Haremsdamen, muß ihr „Ach, ich liebte, war so glücklich“ anstimmen, derweil der Bassa sich lasziv auf dem Boden herumlümmelt. Er besäuft sich schier körperlich an ihrer engelsgleichen Kantilene, räkelt die Glieder riefenstahlmäßig, das schöne Raubtier, und läßt sich dann gleich von all seinen Boys ein bißchen verwöhnen. Ein Fest für alle Operntunten — aber, bei Mozarts hellen Kinderaugen: eine Schande fürs teutsche Singspiel, wie wir es doch kennen und lieben.

Vorläufig halten die Leute noch die Luft an, lautstarker Protest kommt erst viel später auf — als das Stück fast aus ist. Und wie er dann losbricht, da ist nicht ganz klar, wem der Sturm der Entrüstung eigentlich gilt: den zwanzig nackten Wilden oder vielleicht doch eher dem Umstand, daß da eine Entführung vereitelt wird. Es scheint, als habe man vergessen, daß es so und nicht anders kommen mußte. Als sei der Schock so in die Glieder gefahren, daß es nun wieder möglich ist, der Musik nachzuhören — so, als hörte man sie zum ersten Male. Eben noch sangen die vier Liebesleute ihr berückendes Quartett in die atemlose Stille. Schifften sich ein und schwammen davon im schwarzen Nachen, zu den wundersam antikisierenden Klängen von Pedrillos Romanze — das Licht überm See zauberblau und die Sonnenscheibe mutiert zum bleichen Mond. Dann plötzlich: alle Scheinwerfer an und Action — die Häscher des Bassa brechen brutal ein in die Idylle. Auch ist der Schluß dann nicht mehr ganz dicht: Das Finale klingt wieder genauso verlogen konventionell, wie es komponiert ist. Kaum zu glauben die aufgeklärte Großmut des Bassa, das eitel Glück der Liebenden, das fürs Singspiel nötige Happy-End. Und wer jetzt noch glauben kann, daß sie nicht doch gestorben sind, den seh' man mit Verachtung an.

Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß bloß ein paar Kostüme eingespart werden müssen, um jahrzehntelang eingeübte Hörschäden zu korrigieren. Am nackten Bassa kam die Sache wohl eher beiläufig zum Klappen — und ohne die schönen Anstrengungen der Sänger, ohne die schnelle, sichere Hand des Kapellmeisters (Peter Schneider) und ohne das feurige Orchester hätten die raffiniert einfachen Tableaus der Krämerinszenierung niemanden dazu entführen können, wieder neu hinzuhören. Aber so gab es immer wieder das Glück der Gelegenheit: das Terzett im ersten Akt als Versteckspiel zwischen beweglichen Wänden; das Duett Nr. 9 „Ich gehe“ usw., beschaulich stillgesessen unterm Sonnensegel; die Martern-Arie der Konstanze, eine schwarze Madonna mitten im dunklen Meer — das und noch mehr konnte, auch wenn die Sänger nicht alle so traumhaft auf der Höhe waren wie Salminens Osmin, für ein paar Herzschläge zu einsamem Hochgenuß werden. Kurz: Krämer ist der Musik nicht ins Kreuz gefallen. Und das ist vermutlich mehr, als man von den meisten Neuinszenierungen im Mozart-Jahr wird behaupten können.

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